Alkohol im TV: Prost!

Seit Jahrzehnten ist die fatale Wirkung von Alkohol Allgemeinwissen. Im Fernsehen wird dennoch fröhlich weitergesoffen

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Schreien, saufen, singen, das ist der Kern der Sendung »Inas Nacht«.
Schreien, saufen, singen, das ist der Kern der Sendung »Inas Nacht«.

Fanny van Dannen kann man ja eigentlich immer zitieren. Aber wenn der Berliner Liedermacher »das Geld liegt auf der Straße / so große Haufen« singt und als Alternative zur Bereicherung »saufen, saufen, saufen« empfiehlt, sollten Fernsehzuschauer kurz mal innehalten angesichts dieser Ironie. Denn »saufen, saufen, saufen« sehen und erleben wir tagein tagaus am Bildschirm, seit – tja, im Grunde seit es Bildschirme gibt.

Warum das hier erwähnenswert ist? Weil die trockene Shiv in der irischen ARD-Serie »The Dry« wahrscheinlich als erste Hauptfigur überhaupt dem Alkohol entsagt und ihrer Umgebung damit den Spiegel einer benebelten Normalität vorhält wie keine Fiktion zuvor. Seltsam eigentlich. Erhielt Billy Wilders Suchtdrama »The Lost Weekend« doch schon 1946 vier Oscars dafür, einen Säufer (Ray Milland) anderthalb Stunden am Abgrund zu zeigen. Wohin Alkohol führt, vermitteln fiktive Unterhaltungsformate also beinahe acht Jahrzehnte.

Acht Jahrzehnte, in denen Wissenschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft bestens über die Folgen ethanolhaltiger als »geistig« verniedlichter Getränke Bescheid wissen. Aber auch acht Jahrzehnte, nach denen Film und Fernsehen die Abstinenz vom tödlichsten aller Rauschgifte weiterhin als ulkigen Ausnahmefall behandeln. »The Dry« ist (zum Glück) humorvoll, verschwindet aber (zum Unglück) im Meer des Hochprozentigen. Die Serie ist wie ein gutes Tröpfchen auf dem heißen Stein der Verharmlosung.

Während ein globaler Feldzug Zigaretten vom – lange Zeit völlig vernebelten – Fernseher verstoßen hat, sind illegale Drogen darin zum Unterschichtsphänomen importierter (»Clan«-)Kriminalität geschrumpft, während Marihuana trotz alters-, schichten- und statusübergreifender Verbreitung fiktional antriebslosen Losern vorbehalten bleibt. Das allermeiste Suchtverhalten bleibt im Fernsehen also beharrlich am Rand der Gesellschaft verhaftet, wohingegen es sich das Nervengift Alkohol unverdrossen in der Mitte aller Sach- und Lachformate gemütlich macht.

Zum Beleg reicht »Inas Nacht«, wo die trinkfeste Moderatorin sich und einen Gaststar Woche für Woche bei Shantys und Smalltalk in ihrer heiteren Hafenspelunke abfüllt. Ein geselliger Joint am Tresen würde statistisch gesehen zwar definitiv weniger vernichtete Existenzen inklusive verprügelter Familien nach sich ziehen als drei Promille, aber schlagen Sie das mal dem NDR-Rundfunkrat vor.

Noch 2018 – zwei Jahre vor einer Pandemie also, die den privaten Konsum explodieren ließ – belegte eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums in aberwitzigen 96 Prozent aller Spielfilmen Alkoholgebrauch, der meistens ein Missbrauch ist. Auch bei Serien lag der Anteil bei drei von fünf Episoden und wird dabei nur in zehn Prozent inhaltlich bewertet – negativ, aber durchaus auch positiv. Wobei Letzteres naturgemäß jede Werbung für Niedrig- bis Hochprozentiges kennzeichnet.

Sofern sie sich nicht an Kinder richtet, Leistungssteigerung suggeriert oder Maßlosigkeit propagiert, darf Reklame laut Paragraf 6 Abs. 5 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag noch immer fröhlich Bier und Schnaps lobpreisen. Das abendliche Bierchen am Nordseestrand steht ungeachtet der Menge noch immer für Coolness statt Kontrollverlust. Gut, dass wir die drei wortkargen Säufer nicht nach der elften Buddel sehen, wenn sie sich um den nächsten Baum wickeln oder ihre Frau verdreschen.

Letzteres tat J.R. Ewing zwar mehrfach, wirkte buchstäblich »volle« 357 Folgen von »Dallas«, in denen er Bourbon trank wie andere Wasser, aber nie berauscht. Verglichen damit ist der Alkoholkonsum heutzutage handlungsbezogener also weniger beiläufig. Wirkung allerdings zeigt er auch beim »Tatort«-Duo Ballauf und Schenk nie, wenn es beim rituellen Imbiss-Kölsch Fälle bespricht.

36 Jahre, nachdem das DDR-Fernsehen die »flüssige Waffe« erstmals zum Thema eines »Polizeiruf« machte, ist sie auch im wiedervereinten Deutschland vor allem eines: normal. Da wirkt es geradezu aufrichtig, wie sich Familie Gallagher in der US-Serie »Shameless« elf Staffeln lang durch ihr prekarisiertes Leben bechert. Unerträglich, unverblümt, ohne erhobenen Zeigefinger.

Umso mehr gilt das Klischee: Süchtige sind arm, kriminell, oft beides. Regelkonsum dagegen – das Rotweinglas bei Biolek, der Gipfel-Obstler im Heimatfilm, die Sektflöte in drolligen Beziehungsklamotten – geht gesittet vonstatten und sichert dem bürgerlich benebelten Mittelstand somit zu, wie unbedenklich sein Alltagsalkoholismus ist. Ausnahmen wie Joachim Króls Kommissar Steier, der sich vor laufender »Tatort«-Kamera zerstört, bestätigen nur eine Regel, mit der die CSU zumindest in Bayern bisher immer gewinnt: drei Maß Bier machen erst gesellig. Drei Promille für den Wahlsieg dank saufen, saufen, saufen.

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