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Kreislaufwirtschaft: Umlenken und umdenken
Bei der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie treffen große Ambitionen auf verkürzte Perspektiven
Schon bald dreht sich alles im Kreis – zumindest, wenn wir den wirtschafts- und umweltpolitischen Visionen der Europäischen Kommission und der Bundesregierung glauben wollen. Das Zauberwort heißt zirkuläres Wirtschaften und ist die Vision einer Ökonomie und Industrie, die die Nutzungsdauer von extrahierten Ressourcen und hergestellten Produkten enorm verlängert, indem sie diese im Kreis führt. Das Versprechen ist dabei groß: Produktion, Konsum und Wiederverwertung sollen sich zu einem geschlossenen Kreislaufsystem vereinen, das natürliche Ressourcen, Biodiversität und Klima schont.
Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.
Die Europäische Kommission verabschiedete 2020 den Circular Economy Action Plan in der Hoffnung, die europäische Wirtschaft bis spätestens 2050 in ein zirkuläres System zu überführen. Ein hehres Ziel, denn in der Konsequenz geht es nicht nur um ein großes Umlenken der Produkt- und Ressourcenströme, sondern vor allem – noch viel schwieriger – um ein großes Umdenken. Über lange Zeit haben sich Wirtschaft und Industrie an die schier grenzenlose Verfügbarkeit der Natur gewöhnt, konnten sich weltweit billig Ressourcen aneignen und das Abfallproblem größtenteils auf den Staat übertragen. Nun ein System anzustreben, das Natur und Umwelt schonen und nicht mehr ausbeuten soll, ist ein umfassender Paradigmenwechsel. Neben inhaltlich ambitionierten, aber regulatorisch wenig wirksamen Initiativen ist seit der Proklamation des Action Plans allerdings wenig passiert.
Die Bundesregierung hat nun den Ball aufgenommen und erarbeitet die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS). Dabei wurde ein mehrgleisiger Dialogprozess gestartet, der laut dem federführenden Ministerium alle relevanten Akteure der Gesellschaft einbezieht. Klingt gut, doch bereits das Grundlagenpapier enttäuscht: Das Ambitionsniveau ist hoch, doch vom großen Umdenken keine Spur, denn weiterhin wird bei den zentralen Strategien auf Technologieförderung, Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlich-industrielle Innovation gesetzt. Die relevanten »Akteure der Gesellschaft« rekrutieren sich zum großen Teil aus Industrie und Wirtschaft, auch wenn zivilgesellschaftliche Akteure mitreden dürfen. Wenig verwunderlich ist es daher, dass das 29 Umwelt- und Nachhaltigkeitsorganisationen umfassende Netzwerk Ressourcenwende kürzlich ein Forderungspapier mit deutlicher Kritik an der NKWS veröffentlichte: fehlende verbindliche Reduktionsziele, die Vernachlässigung internationaler Perspektiven sowie relevanter Bedürfnisfelder wie Verkehr und Mobilität, um nur einiges zu nennen.
Eklatant ist zudem die politische Verstümmelung der Gesellschaft auf eine Ansammlung von Verbrauchern im Grundsatzpapier zur NKWS: Nachhaltiger Konsum bedeutet hier vor allem, nachhaltige Produkte und Dienstleistungen zu erhalten. Entsprechend wird unter sozialer Gerechtigkeit die Bezahlbarkeit dieser Angebote verstanden. Das ist beides nicht unwichtig, gleichzeitig aber eine sehr reduzierte Auffassung von demokratischer Teilhabe und Gerechtigkeit.
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Dass die Gesellschaft nicht nur Empfängerin, sondern sogar Trägerin und Mitgestalterin einer zirkulären Wende sein kann, scheint für die Vordenker*innen der NKWS wohl jenseits aller Vorstellbarkeit. Dabei muss die zirkuläre Ökonomie Teil einer zirkulären Gesellschaft sein, in der nicht nur Produkte und Ressourcen zirkulieren, sondern – wie es ein weiteres Forderungspapier des Netzwerks Circular Society formuliert – auch Wissen, Teilhabechancen, Macht und Produktionsmittel gerechter verteilt sind. Beim großen Umdenken muss die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Umwelt und Wirtschaft mit der Neuordnung gesellschaftlicher Verhältnisse einhergehen, denn zirkuläre Wirtschaft ist vor allem eines: eine riesige Gemeinschaftsaufgabe, in der Kooperation und nicht Wettbewerb im Vordergrund stehen muss.
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