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Implantat-Allergien auf der Spur
Wenn Gelenkprothesen Probleme bereiten, kann eine Allergie dahinterstecken
Schmerzen, Schwellungen, Bewegungseinschränkungen: Wenn Gelenkprothesen Probleme bereiten, kann das viele Gründe haben. Liegt eine Infektion vor? Passt das Gelenk nicht optimal oder wurde es nicht richtig eingesetzt? Haben die Beschwerden vielleicht gar nichts mit der Prothese zu tun? »Erst wenn alles andere abgeklärt ist, fällt der Verdacht auf eine Implantat-Allergie«, sagt der Humanbiologe Burkhard Summer von der Arbeitsgruppe AllergoMat der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). »Das liegt daran, dass sie selten sind.« Schätzungsweise kommen die Unverträglichkeiten bei 0,5 bis ein Prozent aller Patienten mit Gelenkersatz vor.
Allergische Reaktionen können durch Metalle wie Nickel, Cobalt und Chrom ausgelöst werden, die in vielen Implantaten enthalten sind. Für Knieprothesen werden meist Chrom-Cobalt-Legierungen verwendet, da sie besonders stabil sind. Das wäre kein Problem, wenn durch Korrosion und Abrieb nicht Metallionen freigesetzt und in den Körper gelangen würden. »Erst dadurch kann es überhaupt zu einer allergischen Reaktion kommen«, sagt der Greifswalder Orthopäde Georgi Wassilew, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik.
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Unabhängig davon sind hohe Konzentrationen solcher Metallionen ein Risiko für den Körper. Dieses Problem wurde bis vor einigen Jahren insbesondere bei Großkopf-Hüftgelenken beobachtet, bei denen der Knorpel der Hüftpfanne sowie der Hüftkopf durch Metall ersetzt wurden: Bei ihnen konnte es zu einem Abrieb kommen, der lokale Reaktionen am Gelenk, etwa Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, in sehr seltenen Fällen auch Vergiftungserscheinungen im ganzen Körper auslöste. Solche »Metall auf Metall-Gleitpaarungen« werden heute kaum noch eingesetzt. Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, wie wichtig es ist, das Prothesen-Material im Blick zu haben.
Einer Implantat-Allergie auf die Spur zu kommen, ist Detektivarbeit. »Wir können sie nicht beweisen, sondern nur Hinweise sammeln«, erklärt Summer. Haut- und Bluttests können zwar Anhaltspunkte für eine Sensibilisierung auf bestimmte Metalle geben, belegen aber nicht, dass tatsächlich eine Allergie vorliegt. Wichtige Anhaltspunkte kann zudem eine Gewebeprobe liefern, doch ist dazu ein operativer Eingriff nötig. »Der beste Beweis ist, wenn ein Patient mit einem anderen Material keine Probleme mehr hat«, sagt der Experte.
Seine Arbeitsgruppe bietet eine Spezialsprechstunde zu Implantat-Allergien an, die massenhaft Anfragen aus ganz Deutschland bekommt. Aus Personalgründen kann sie pro Jahr nicht mehr als 300 Patientinnen und Patienten beraten, von denen manche »einen extrem langen Leidensweg« hinter sich haben, wie Summer berichtet. Bei etwa einem Viertel von ihnen bestätigt sich der Verdacht. Sie bekommen normalerweise ein neues Implantat, das aus einem anderen Material besteht.
Lässt sich das verhindern? Nein, sagt Wassilew: »Es lässt sich nicht vorhersagen, wer eine Implantat-Allergie entwickelt.« Eine Kontaktallergie auf Nickel oder andere Metalle bedeutet noch lange nicht, dass jemand ein Kunstgelenk nicht verträgt, das solche Materialien enthält. Dabei handelt es sich nämlich um eine allergische Reaktion der Haut, die zum Beispiel durch nickelhaltigen Modeschmuck ausgelöst wird. Solche Nickel-Kontaktallergien sind extrem häufig: Laut Deutschem Allergie- und Asthmabund sind zehn bis zwölf Prozent der Bevölkerung betroffen. »Bei einer Implantat-Allergie liegt dagegen eine Überempfindlichkeit im tiefen Gewebe, etwa im Knochen oder der Gelenkkapsel, vor«, sagt Wassilew. Ein Hauttest, bei dem sich eine Sensibilisierung gegen ein Metall abzeichnet, sei daher kein Grund, ein hypoallergenes Spezial-Implantat zu empfehlen.
Dennoch werden Patienten grundsätzlich nach Allergien gefragt, bevor ein künstliches Gelenk eingesetzt wird. Ist eine Kontaktallergie auf ein Metall nachgewiesen, wird mit ihnen besprochen, ob ein hypoallergenes Implantat sinnvoll ist. Bei Hüftprothesen lassen sich Metalle wie Cobalt und Chrom leicht vermeiden, indem man Titan und moderne Keramiken verwendet. Heutzutage sind künstliche Hüftgelenke ohne Kobalt und Chrom Experten zufolge »Goldstandard«. Bei Knieprothesen ist das anders, da sie stärkeren Belastungen ausgesetzt sind. Sie bestehen in der Regel zumindest teilweise aus einer stabilen Cobalt-Chrom-Molybdän-Legierung. Bei hypoallergenen Modellen ist sie mit einer Titannitrid-Beschichtung überzogen, um zu verhindern, dass Metallpartikel freigesetzt werden. Alternativen sind Prothesen mit einer Oxiniumbeschichtung, einer Spezialkeramik aus Zirkonium sowie vollkeramische Gelenke.
Ob es Vorteile hat, solche hypoallergenen Implantate einzusetzen, ist unklar. In Ländern wie den USA würden sie üblicherweise nicht verwendet, sagt Wassilew: »Es handelt sich um ein deutsches Phänomen.« Dabei muss man verschiedene Aspekte berücksichtigen. Bestellt ein Operateur ein spezielles Implantat, mit dem er keine Erfahrung hat, ist das Risiko beim Eingriff höher, wie Wassilew erklärt. Zum Beispiel kann es zu Fehlpositionierungen der Komponenten kommen. Außerdem ist bisher unklar, ob hypoallergene Modelle genauso langlebig und sicher sind wie herkömmliche.
Immerhin schnitten beschichtete Knie-Prothesen bei einer Studie der Uniklinik Dresden im Vergleich zu herkömmlichen Gelenken nicht schlechter ab: Die Metallionenkonzentrationen waren bei beiden Prothesentypen auch nach fünf Jahren vergleichbar gering und die Patientenzufriedenheit war ähnlich hoch. Psychologische Aspekte könnten für ein hypoallergenes Modell sprechen, meint die Orthopädin Anne Postler, Hauptautorin der Studie: Patienten, bei denen eine Metall-Allergie nachgewiesen wurde, haben möglicherweise eine negative Erwartungshaltung, wenn sie ein herkömmliches Implantat bekommen. Daher ist in jedem Fall eine gute, umfassende Beratung wichtig.
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