Linksruck bei Österreichs Sozialdemokraten

Parteichef Andreas Babler fordert unter anderem die Einführung von Vermögensteuern

  • Dieter Reinisch, Graz
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit so viel Leidenschaft hat schon lange kein SPÖ-Parteichef »Die Internationale« gesungen. Die Erleichterung war Andreas Babler am Sonntagnachmittag in der Grazer Messehalle ins Gesicht geschrieben, als das historische Lied der Arbeiterbewegung zum Abschluss des 46. Ordentlichen Parteitags der SPÖ angestimmt wurde.

Im Juni war der Vertreter des linken Parteiflügels als chancenloser Außenseiter in das Rennen um den Vorsitz der tief zerstrittenen Partei gegangen. Nach öffentlichen Kämpfen um den Wahlmodus und einer peinlichen Panne bei der Auszählung setzte sich Babler überraschend durch. In den folgenden Monaten gelang ihm, was wohl kaum jemand erwartet hatte: Er entfachte eine Aufbruchstimmung in der von Krisen gebeutelten Partei.

Am Wochenende trafen sich Österreichs Sozialdemokraten in der steirischen Landeshauptstadt Graz, um den zukünftigen Weg unter Babler zu beschließen. In welche Richtung er gehen sollte, war bereits am Samstagmorgen ersichtlich: minutenlange stehende Ovationen, als Babler zu den Red Hot Chili Peppers den Saal betrat.

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»Das ist schon toll, das hätte ich mir nie gedacht«, sagte eine Delegierte aus Wien gegenüber »nd«. Babler ist ein begnadeter Redner: In den 50 Minuten bringt er etwa doppelt so viel unter wie andere in derselben Zeit. Babler spricht wie immer viel zu schnell und mit enormer Leidenschaft. Es ist die Verve eines Arbeiterführers des 20. Jahrhunderts, Babler kennt die Probleme der Menschen: Millionärssteuer, Arbeitszeitverkürzung, Beibehaltung des Pensionsalters, verpflichtende Lohntransparenz, damit »wir nicht mehr jedes Jahr den Equal Pay Day« begehen müssen, gerechte Asylpolitik, Frieden und Neutralität.

Begeisterung auf dem Parteitag

Mehrmals wird Babler vom Applaus unterbrochen. Unternehmen wie Starbucks und die Signa-Holding greift er direkt an: »Sie müssen mehr Steuern zahlen.« Die Marktradikalität des Kapitalismus sei gescheitert, daher müsse es Regulierungen der Lebensmittelpreise und des Wohnungsmarktes geben.

Während der Rede ist die Stimmung unter den 600 Delegierten und rund 500 Gästen prächtig. Das ist auch in der Mittagspause bei Schnitzelsemmel und vegetarischem Gulasch zu bemerken. An den runden Stehtischen zeigen sich alle von Babler begeistert. Manche hätten »Tränen in den Augen, wenn sie Babler auf der Bühne reden sehen«, erzählen Delegierte im Gespräch mit »nd«.

Tränen hat dann auch Babler in den Augen: Am Nachmittag bestätigen ihn fast 89 Prozent der Delegierten als Parteichef. »Wir waren stolze Arbeiterkinder«, erzählt er. Er wolle »nach 130 Jahren im ehrwürdigen Haus der SPÖ frischen Wind hineinlassen«.

Babler kommt aus einer kommunistischen Familie. In den 70er Jahren wären Arbeiterkindern wie ihm dank der Politik von Bruno Kreisky Möglichkeiten eröffnet worden: »Dahin wollen wir zurück, aber wir wollen es noch besser, noch schöner machen.« Jahrzehntelang war Babler Mitglied der Stamokap-Strömung am linken SPÖ-Rand. Mit seinem linkssozialdemokratischen Programm will er die Partei 2024 wieder zur Nummer eins machen.

SPÖ braucht Wahlerfolge

Nach der innerparteilichen Einigung gilt es für Babler, in den Umfragen zuzulegen. Die SPÖ liegt laut einer Umfrage des »Profil« vom 11. November knapp vor der ÖVP, aber immer noch neun Prozentpunkte hinter der rechtspopulistischen FPÖ. Ob dieser Rückstand an der Wahlurne aufgeholt werden kann, hängt vom Verhalten der Wiener SPÖ ab: Nur wenn in Wien ein Ergebnis nahe oder über 40 Prozent erreicht wird, kann sich die SPÖ im Bund Chancen ausrechnen. Doch erst vergangenen Monat trat Wiens Bürgermeister Michael Ludwig aus den Bundesgremien aus, was als Widerstand gegen Babler gewertet wird.

Die enorme Zustimmung der Basis für Bablers linken Kurs auf dem Parteitag in Graz könnte das Wiener Parteiestablishment aber zwingen, den Widerstand gegen den neuen Parteichef ruhigzustellen – zumindest bis nach den Nationalratswahlen im Herbst 2024. »Ich hoffe so sehr, dass Andi das gelingt. [FPÖ-Chef] Kickl darf nicht Kanzler werden«, sagte eine Delegierte zu »nd«. Im Juni hatte sie noch für Bablers Gegenspieler Hans-Peter Doskozil gestimmt.

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