Hart und stabil?

Eine kleine Sprachkritik im Dienste der guten Sache

  • Henning Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.
Bambus als Baumaterial: Biegsam, aber fest
Bambus als Baumaterial: Biegsam, aber fest

Ein Freund berichtete mir neulich in einer Nachricht von einem »stabilen Typen«, eine Genossin ist öfter von etwas »hart genervt«, ein*e ander*e hat mehrfach etwas »hart gefeiert«. Letzteres bedeutet, für alle Leser*innen, die diesen Ausdruck noch nicht gehört haben: ein Ereignis in größtem Ausmaß befürworten. Diese Beispiele aus meinem Bekanntenkreis sind nur ein Ausschnitt aus einem von verschiedenen politisch-sozialen Milieus einer Stadt unter sehr vielen. Aber sie sagen etwas aus.

Früher waren Dinge »far out«, habe ich gehört, in meiner Jugend galten sehr gute Angelegenheiten als »derbe« oder »phren«, die zweite Hälfte von schizo. Wenn nun in den 2020er Jahren »hart« nicht mit der Bedeutung von »kaum nachgebend« oder als Gegenteil von »weich« verwendet und dabei zu einer feststehenden Redewendung wird, können offenbar viele Leute mit dieser Bedeutungsverschiebung etwas anfangen. Aus negativen Assoziationen – harte Oberflächen verursachen Verletzungen, ein hartherziges Verhalten ist unfreundlich bis egoistisch, in der männlichen Variante mackerig – werden positive: das Harte bestärkt und verstärkt. Etwas defensiver ist da noch »das Stabile«. Es hält Belastungen und Angriffen stand, ist aber trotzdem, wie das Harte, festgefügt und versichernd; ist etwas Eigenes. Vielleicht gehört hier noch der sprachliche Neuzugang »based« hinein, wenn in ihm das Verlangen ausgedrückt wird, mit einem festen Untergrund verbunden zu sein.

Die Zeiten scheinen, gerade aus einer linken Perspektive, diese Qualitäten zu erfordern. Klimadesaster, Rechtsentwicklung, das Verschwinden von emanzipatorischen politischen Strukturen und überhaupt von gesellschaftlichen Verbindungen, Entfernung von Nahestehenden durch Corona, Krieg in der Ukraine, Krieg in Israel und Gaza. Es sind harte Zeiten, die Härte erfordern, bei sich selbst und bei anderen. Aber da schwappt auch etwas hinüber von der menschenverachtenden, gewaltvollen neuen rechten Rhetorik, die eigentlich alt ist: »Hart« sein gegen die anderen, die angeblich da draußen sind.

Das ist fürchterlich – zum Fürchten. Für solidarische Beziehungen, politische Kämpfe und Organisationen, für Prozesse von Reflexion und Zweifel ist Stabilität nicht ausreichend und Härte schädlich. Für uns alle. Wir brauchen doch offene Strukturen, durch die etwas hindurchdringen, sich miteinander verbinden kann? Wir müssen doch unsere Perspektive und ihre Grundstruktur verändern, auch instabil machen können, wenn es gute Gründe dafür gibt? Es stimmt weiterhin, dass eine schlecht eingerichtete Welt Wut und Verachtung verdient und kompromisslose – also harte – Kritik. Aber die Kritisierenden sollten darüber nicht vergessen, was sie als Menschen brauchen, die etwas Besseres wollen. Dazu gehören Fantasie und der Blick ins Offene, die sich von der blinden Gewalt der Gegenwart nicht zerhauen lassen, dazu gehört absichtliches Weichsein, die Fähigkeit, elastische Beziehungen einzugehen. Oder? Hippie-Kram? Besser in jedem Falle als die brutale Rede von »hart, aber notwendig«, mit dem der grüne Sandkastenphilosophenkönig die rassistische Asylpolitik seiner Regierung verkauft.

Und nicht vergessen: Hartes bricht leichter.

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