Geburt und Grab

Spendenaktion für ein Kirchenbild aus dem 16. Jahrhundert mit einem erschütternden Motiv

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Kirchengebäude und sakrale Kunst erfreuen sich seit der Wende staatlicher Zuwendungen. Als Kulturministerin Manja Schüle (SPD) am Mittwoch auf ein zu rettendes Epitaphgemälde aufmerksam machte, hatte sie aber einen Spendenaufruf im Sinn. »Weil die vorhandenen Mittel oft nicht ausreichen, um das wertvolle Inventar zu sichern und zu restaurieren, rufen wir wieder zu Spenden für vergessene Kunstwerke auf«, sagte sie. In diesem Jahr gibt es die Aktion »Vergessene Kunstwerke brauchen Hilfe« zugunsten eines wertvollen Epitaphgemäldes der Kirche St. Marien in Wiesenburg (Potsdam-Mittelmark). Es zeigt ein erschütterndes Motiv.

Der berühmten Definition von Karl Marx zufolge ist die Religion nicht nur »das Opium des Volkes«. Sie ist auch »der Seufzer der bedrängten Kreatur« und ebenso das »Gemüt einer herzlosen Welt«. Immer suchten und fanden Menschen mit ihren Alltagssorgen und dem Druck unbegreiflicher Tatsachen in der Religion Trost und Beistand. Das zu rettende Bild stammt laut Christin-Maria Bammel, Pröpstin der Evangelischen Kirche, aus dem 16. Jahrhundert und stellt ein Motiv dar, »das wohl so unbekannt und selten« sei, dass es »dadurch noch mehr an Welt gewinnt«. Auf dem »zu Herzen gehenden« Gemälde zu sehen ist eine junge Frau, die sterbend im Kindbett liegt und als Letztes ihr soeben geborenes Kind den trauernden Verwandten übergibt.

Für Pfarrer Stephan Schönfeld lässt das Bild »neben dem schweren Schicksal
der jungen Mutter die Welt des 16. Jahrhunderts mit vielen Details und Symbolen lebendig werden«. Gestiftet wurde das Bild 1568 von Kirchenpatron Friedrich III. Brandt von Lindau für seine nach der Geburt ihrer Tochter gestorbene Frau Margarethe. Das Kind wurde nicht älter als zwei Jahre.

Gemalt wurde das Bild mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Werkstatt von Lucas Cranach dem Jüngeren in Wittenberg. Der Vater des trauernden Ehemannes habe im Schmalkhaldischen Krieg die erfolgreiche Verteidigung Wittenbergs geleitet, berichtete der Pfarrer. Die katholischen Truppen Karls V. hatten sich danach auf Wiesenburg gestürzt und es verwüstet. Aus diesem Grund sei in Wiesenburg Platz für ein später gebautes Schloss frei geworden, während Belzig und Raben ihre mittelalterlichen Burgen bis auf den heutigen Tag behalten haben.

Menschlichkeit und Nächstenliebe seien weniger das, was heute in den sozialen Medien Konjunktur habe, sagte Ministerin Schüle. Dort gehe es eher darum, »dass die Krisenspirale sich weiterdreht«. Die Evangelische Kirche habe derzeit auch interne Konflikte, die es auszutragen gelte. Doch als Ministerin werde sie dazu nichts sagen. Umso wichtiger sei es, Gelegenheiten zu ergreifen, die zur Besinnung auf die Tugenden führen.

Warum die Restauration dieses mit 1,60 Meter mal 1,40 Meter allenfalls mittelgroßen Bildes so aufwendig sein kann wie eines von mehreren Metern im Geviert, erläuterte Restauratorin Dörte Busch. Auf dem Bild sei eine »ganze Lebenswelt« zu entdecken, und es gelte, jeden Quadratmillimeter genaustens zu bearbeiten. Vor 60 Jahren sei das Bild letztmalig restauriert worden, aber heutigen Ansprüchen an eine solche Arbeit genüge das nicht. Zum Teil sei das Original »ungeschickt übermalt« worden, und ein gemeinhin als Holzbock bekanntes gefräßiges Insekt habe sein zerstörerisches Werk fortgesetzt. Der besorgniserregende Zustand des Bildes, bei dem die Farbe abplatzt, zeigte sich, als es als Leihgabe erbeten worden war und man feststellte, dass es unter keinen Umständen transportfähig ist.

Nicht nur der Trauer wegen, sondern auch weil die Sitte in der strengen protestantischen Frühzeit es so forderte, tragen alle dargestellten Personen bis auf die Sterbende schwarze Tracht. Ministerin Schüle und Pröpstin Bammel trugen am Mittwoch orange. Diese Einheitlichkeit habe keine liturgische Bedeutung, erklärte Schüle. »Das ist einfach unser Modegeschmack.«

Seit 15 Jahren ergeht in der Vorweihnachtszeit unter dem Motto »Vergessene Kunstwerke brauchen Hilfe« der Ruf, für die Restaurierung eines bedrohten kirchlichen Kleinods zu spenden.

Spendenaktion »Vergessene Kunstwerke«,
Förderkreis Alte Kirche Berlin-Brandenburg, IBAN DE94 5206 0410 0003 9113 90, Stichwort: Wiesenburg

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