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Venezuela: Maduro zielt auf die Opposition

Im Gebietsstreit zwischen Venezuela und Guyana kommt es zum Treffen der Präsidenten

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 5 Min.

Ralph Gonsalves und Luiz »Inácio« Lula da Silva bemühen sich, den Territorialkonflikt zwischen Guyana und Venezuela beizulegen, bevor er zu eskalieren droht. »Tatsache ist, dass unsere Region eine Zone des Friedens war und ist, und wir hätten gerne, dass das so bleibt«, sagte Gonsalves, der den nördlich von Venezuela gelegenen Karibikstaat St. Vincent und die Grenadinen seit 22 Jahren regiert. Die Folgen eines offenen Konfliktes wären entsetzlich. »Es würde jeden Einzelnen in den entlegensten Dörfern unserer Karibik und auch Lateinamerikas negativ betreffen«, warnte er.

Am Donnerstag wollen sich die Präsidenten Venezuelas und Guyanas, Nicolás Maduro und Irfaan Ali, auf der Karibikinsel St. Vincent und die Grenadinen zum Gespräch treffen. Ralph Gonsalves, der zurzeit den Vorsitz der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac) innehat, sowie der brasilianische Präsident Lula haben dieses Treffen vermittelt. Es könnte die Vorstufe zu einem Dialog sein, um den Territorialstreit um den rohstoffreichen Esequibo zu lösen. Auf das dünn besiedelte, knapp 160 000 Quadratkilometer große Gebiet erheben beide Länder Anspruch, kontrolliert und verwaltet wird es bis auf eine Flussinsel von Guyana

Zwei Länder, zwei Meinungen

Beide Länder machten im Vorfeld deutlich, an ihren jeweiligen Positionen festhalten zu wollen. Guyana beruft sich darauf, dass ein Schiedsgericht die Esequibo-Region 1899 der damaligen Kolonie British Guyana zusprach. Venezuela hingegen pocht auf den »Vertrag von Genf« aus dem Jahr 1966. Darin erkannte Großbritannien kurz vor der Unabhängigkeit Guyanas an, dass der Konflikt durch Verhandlungen gelöst werden solle. An Brisanz gewann der Konflikt ab 2015, als ein Konsortium um den US-Konzern ExxonMobil, an dem auch ein chinesischer Staatskonzern beteiligt ist, große Erdölvorkommen vor der Küste entdeckte.

Nach dem umstrittenen Referendum, das Venezuela am 3. Dezember über die Esequibo-Region abgehalten hatte, spitzte sich der Territorialkonflikt in der vergangenen Woche zu. An der rechtlich nicht bindenden Abstimmung hatten sich laut offiziellen Angaben 10,43 Millionen Wähler*innen beteiligt. Die Opposition wirft der Regierung angesichts vielfach leerer Wahllokale vor, die Zahlen maßlos zu übertreiben, um das Referendum als Erfolg darstellen zu können. Infolge des Votums verkündete Maduro am vergangenen Dienstag, das völkerrechtlich umstrittene Gebiet künftig als venezolanisches Staatsterritorium zu behandeln und den Bundesstaat »Guayana Esequiba« zu schaffen. Zudem wies Maduro die staatlichen Erdöl- und Schwerindustriekonzerne PDVSA und CVG an, Ableger für den Esequibo zu gründen sowie Förderlizenzen für Erdöl, Gas und Mineralien zu vergeben.

Die Kriegsgefahr ist eher gering

Der guyanische Präsident Ali bezeichnete die von Maduro verkündeten Maßnahmen als »direkte Bedrohung für Guyana«. Die guyanischen Streitkräfte seien in Alarmbereitschaft versetzt worden und stünden in Kontakt mit militärischen Partnern, darunter auch dem US-Südkommando (US Southcom). Die venezolanische Regierung warnte davor, US-Militärbasen in der Region zu installieren. Am Donnerstag bestätigte die US-Botschaft in Guyana die Durchführung gemeinsamer Übungsflüge des US-Southcom und der Guyana Defense Force (GDF). Die brasilianische Regierung stärkte ihrerseits die Militärpräsenz im Grenzgebiet. Am Freitag beriet der UN-Sicherheitsrat auf Antrag Guyanas hinter verschlossenen Türen über den Fall – vorerst ohne Ergebnis.

Wenngleich das Treffen von Maduro und Ali am Donnerstag wohl keinen Durchbruch bringen dürfte, ist die Gefahr eines Krieges eher gering. Kleinere militärische Zusammenstöße im Grenzgebiet sind zwar denkbar. Das schwer zugängliche Esequibo-Gebiet von Venezuela aus militärisch einzunehmen, ist aber kaum möglich. Die einzige Straßenverbindung verläuft über brasilianisches Staatsgebiet.

Für die venezolanische Regierung spielen in dem Streit vor allem innenpolitische Beweggründe eine Rolle, um ihre Anhänger*innen vor der Präsidentschaftswahl 2024 zu mobilisieren. Anders als bei anderen Themen sind sich Regierung und Opposition bei den grundsätzlichen Ansprüchen auf den Esequibo weitgehend einig. Kritiker*innen des Referendums werden jedoch von venezolanischen Behörden ins Visier genommen. Generalstaatsanwalt Tarek William Saab erließ am vergangenen Mittwoch wegen »destabilisierender und konspirativer Aktionen« und »Vaterlandsverrats« Haftbefehle gegen 13 oppositionelle Politiker*innen. Darunter befinden sich mehrere Personen aus dem Umfeld der designierten Präsidentschaftskandidatin der Opposition, María Corina Machado, die dem rechten Rand der Regierungsgegner*innen angehört. Ebenso betroffen sind bekannte exilierte Oppositionspolitiker wie Leopoldo López, Juan Guaidó und Julio Borges sowie die prominenten chavistischen Ex-Minister Rafael Ramírez und Andrés Izarra, die beide in Europa leben.

Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl ringen Regierung, Opposition und die USA derzeit um Wahlbedingungen. Am 17. Oktober hatten die Maduro-Regierung und ein Großteil der Opposition in Barbados ein Abkommen über transparente Wahlen unterzeichnet. Im Gegenzug lockerten die USA zunächst temporär die Sanktionen gegen den Rohstoffsektor. Eine kriegerische Eskalation würde diese Lockerung aufs Spiel setzen und die venezolanische Regierung einer wichtigen Einnahmequelle für den Wahlkampf 2024 berauben.

Machado, die die internen Vorwahlen der Opposition am 22. Oktober klar gewann, darf sich aufgrund eines vom Rechnungshof verhängten Antrittsverbots nicht zur Wahl stellen. Bis Mitte Dezember soll das Oberste Gericht auf Antrag sämtliche Antrittsverbote prüfen. Die Antragsteller*innen müssen jedoch persönlich erscheinen und erklären, die Institutionen anzuerkennen, auf Gewalt zu verzichten, die Interessen des Landes zu verteidigen und sich dem Urteil zu beugen. Machado hat noch nicht entschieden, ob sie sich auf das Verfahren einlassen will. Da sie sich in der Vergangenheit offen für eine US-Militärintervention ausgesprochen hat, dürften ihre Chancen auf eine Rücknahme des Antrittsverbotes gering sein.

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