Art Basel in Florida: Mit BH, Kreditkarte und Leinensack

Ein Erfahrungsbericht von der – kein Fehler – Art Basel Miami Beach 2023

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 6 Min.

Wir sind fast eine halbe Stunde zu spät. Der Stau begann schon auf der Brücke, die Miami mit Miami Beach verbindet; das Hupen ist ohrenbetäubend, die grellen Porsches, darunter einer, dessen Karosse komplett mit knallpinkem Plüsch bezogen ist, machen es schwer, sich auf den Verkehr zu konzentrieren; vor Ort sind Polizei, Parkanweiser, Security-Männer, VIP-Kleinbusse. Auf dem 75-Dollar-Ticket steht, man solle sich tunlichst an sein einstündiges Zeitfenster halten – das haben wir aufgrund schlechter Planung verpasst. Das Internet mahnt, neue Tickets gebe es nicht, die Nerven liegen blank. Das überteuerte Parkhaus ist fast voll, aber ganz oben finden wir doch noch einen Parkplatz. Die Schlange ist bunt und halb nackt, die Stimmen schrill, die Sprachen vielfältig. Wir kommen allen Widrigkeiten zum Trotz problemlos rein. Die Emotionen übermannen mich: Fühlt sich das so an, wenn man es ins Berghain schafft?

Miami Beach, eine Inselstadt mit 80 000 Einwohnern, ist facettenreicher, als es der Name erahnen lässt. Die mit dieser Region assoziierten weißen Strände, Palmen und strahlender Sonnenschein sind reichlich vorhanden, der Wohlstand an vielen Ecken sichtbar. Aber Miamis kleine Schwester bietet auch eine architektonisch außergewöhnliche Art-déco-Innenstadt, zahlreiche kulturelle Einrichtungen und eine Diversität, von der andere Orte nur träumen können: Die Hälfte der Miami-Beach-Bewohner hat lateinamerikanische Wurzeln, die jüdische Community floriert, zudem gilt die Stadt als »Gay Mecca.« Seit 2002 findet hier, in der Partnerstadt Basels, der Ableger der Art Basel statt. Nur ahnt keiner, dass das überhaupt ein Ableger ist.

Für die Bewohner Miamis und Südfloridas ist »Basel« – auf English ausgesprochen wie »Basil«, also Basilikum – eine Party, zu der jährlich Zehntausende Menschen pilgern. Die Messe dauert drei Tage, mit zwei sogenannten Preview-Tagen für Berühmtheiten und Superreiche; die dazugehörigen Events eine ganze Woche. Ich sprach mit zwei Künstlern, die ihre Werke schon mal in Miami Beach gezeigt haben – beide wussten nicht einmal von der Existenz der Art Basel in Basel.

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Seit 2008 gibt es auch eine Basel-Version in Hongkong, nach Paris kam sie letztes Jahr, aber die Miami-Beach-Basel ist eine Institution: Die gesamte westliche Kunstindustrie scheint sich an dem einen Wochenende Anfang Dezember in Florida einzufinden, die vier Megagalerien Hauser & Wirth, David Zwirner, Gagosian und Pace Gallery lenken den Publikumsgeschmack, die Kunstpreise und die Trends. Drei andere Messen – Design Miami, Untitled Art Fair und Nada Miami finden gleichzeitig mit und in der Nähe der Art Basel statt; eine geschätzte halbe Milliarde Dollar werden so in einer Woche in Miami Beach generiert.

Die Art Basel sei wie die New York Fashion Week, sagte die Miami-Influencerin Alex Earle. Damit hat sie nicht ganz unrecht, wenn Modehäuser wie Louis Vuitton oder Dior die Afterparties ausrichten. Aber sie bestätigt auch das in intellektuellen Kreisen herrschende Vorurteil, es gehe den meisten statt um Kunst nur um Pomp, Partys und Posing.

Die Messe sorgt Jahr um Jahr für Skandale oder zumindest Schlagzeilen: 2019 war es Maurizio Cattelans Bananenkunstwerk »Comedian«, 2022 war es ein Bankautomat des Künstlerkollektivs MSCHF, der den Kontostand aller Besucher, die ihre Bankkarte einführten, der Höhe nach einordnete (und die mit niedrigem Vermögen mobbte). »Art news«-Journalistin Shanti Escalante-De Mattei beklagte das Fehlen eines solchen »viralen« Kunstwerkes in diesem Jahr und führte dies auf die Wirtschaftskrise zurück. Doch die Zahl der amerikanischen Milliardäre wächst, der Kunstmarkt ist nicht in Gefahr. Und ist es wirklich so schlimm, dass dieses Jahr kein Obst an der Wand hing? Stattdessen gab es hängende Socken, Seile und Leinensäcke!

277 Galerien aus 33 Ländern präsentierten letzte Woche ihre besten oder zumindest kommerziellsten Künstler in Miami Beach. Diese kann man in vier Kategorien unterteilen: Klassiker, Superstars, Schwellenkünstler und Zombies. Zur ersten Kategorie gehören Werke von verstorbenen Meistern der Moderne wie Pablo Picasso oder Jean-Michel Basquiat. Diese Werke erzielten das größte Publikumsinteresse. Viele, darunter auch ich, hätten wohl zu gern gewusst, an wen und für wie viel diese Werke verkauft wurden.

Zur zweiten Kategorie gehören Künstler wie Publikumsliebling Kehinde Wiley, der spätestens nach seinem Obama-Porträt Starstatus erreicht hat. Auch wenn seine Werke inhaltlich immer gleich sind – unterprivilegierte Schwarze in kunsthistorisch relevanten Posen –, so kann sich kaum einer seiner Einfühlsamkeit und Raffinesse entziehen. Ai Weiweis riesige Legokopie von Emanuel Leutzes »Washington überquert den Delaware« (1851) war ebenfalls sehr beliebt, auch wenn ihr tieferer Sinn sich mir nicht erschließen wollte.

Es ist erfreulich, dass immer mehr Frauen die Riege der Superkünstler erreichen – da wäre beispielsweise die mit mehreren Werken vertretene Japanerin Yayoi Kusama, an deren Infinity Rooms heutzutage kein Museumsgänger vorbeikommt, oder die Afroamerikanerin Mickalene Thomas, die für diese Art Basel in einer Kooperation mit dem Google-Shop eine Kleiderkollektion herausbrachte.

Die dritte Künstlerkategorie steht auf der Schwelle von Bekanntheit zu Ruhm. Hier findet sich wohl die größte Bandbreite an Themen und Stilen: Devin N. Moss zeigt in seiner Installation den afroamerikanischen Alltag, die Deutsche Cosima von Bonin weist mit einer ihrer bekannten anthropomorphen Haifiguren humorvoll auf die Wichtigkeit der Meere und ihrer Bewohner hin, die indigene Jaune-Quick-to-See Smith setzt sich mit den Folgen der US-amerikanischen Eroberungspolitik auseinander, die nigerianisch-amerikanische Künstlerin Njideka Akunyili Crosby verbindet die Themen Heimat und Identität in einer Mischform aus Gemälde und Collage.

Die letzte Gruppe besteht aus Künstlern, die sich an etwas abarbeiten, das Kunstkritiker »Zombie-Formalismus« nennen, also die Reproduktion einer immer gleich aussehenden Abstraktionsform: einfarbige Leinwände mit Flecken oder Spritzern, begleitet von einem aufwendigen Künstler-Statement über Materialität, Umweltschutz oder Vergänglichkeit. Zur gleichen Kategorie zählen auch komplex wirkende, aber bedeutungsleere Installationen wie ein auf dem Boden ausgebreitetes Tischgedeck oder die bereits erwähnten wie Lappen herumhängenden Stoffe und eine hohe Anzahl an Kitsch (überdimensionale Kreditkarten, Selfie-Spiegel mit witzigen Aufschriften). Doch auch die Zombies werden nicht am Hungertuch nagen müssen. Ich belauschte eine Preisnachfrage: 50 000 Dollar wurden für eine besonders dilettantisch aussehende silberne Leinwand mit Pünktchen verlangt!

Die Art Basel Miami Beach ist trotz ihrer Schweizer Wurzeln eine äußerst amerikanische Angelegenheit, daher dominieren hier Pluralität und Optimismus – ob echt oder gespielt. Der Ruinart-Champagner zum Preis von 33 Dollar pro Plastikflûte fließt in Strömen; die Besucher wirken berauscht von der Kunstschau und besessen davon, ein möglichst gutes Foto für ihre Onlinepräsenz zu schießen. Sie selbst sind spannender anzusehen als manch ein Ausstellungsobjekt.

In den vier Stunden meines Messebesuches sichtete ich eine komplett nackte Frau unter einer ziemlich durchsichtigen Tunika, zahlreiche Büstenhalter (ohne etwas drüber, versteht sich), Männer mit It-Taschen, die mich vor Neid erblassen ließen, sowie Männer in pinken, grünen und violetten Anzügen – nur langweilige Europäer tragen noch Blau und Beige.

Ich sehe meine Erfahrung auf der wichtigsten amerikanischen Kunstmesse als einen würdigen Ersatz für den Berghain-Besuch, der mir niemals vergönnt war. Du ahnst, dass die Wirklichkeit der Fantasie nicht gerecht wird. Aber du willst es trotzdem, weil du Party liebst. Und im Fall der Art Basel Miami Beach, weil du Kunst liebst. Und Party.

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