Pointer Sisters - Böse Synthies, gute Synthies

Vor 40 Jahren demonstrierten die Pointer Sisters, wie aufregend Hightech klingen kann

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 4 Min.
Jazz, Country oder Disco? Die Pointer Sisters egalisierten die Konventionen.
Jazz, Country oder Disco? Die Pointer Sisters egalisierten die Konventionen.

Heute, in Zeiten von Autotune, dem Gesangsperfektionierer, sind Synthesizer kein Thema mehr. Wo selbst menschliche Stimmen wie Roboter klingen, fallen Rhythmusmaschinen und künstliche Klangkulissen nicht weiter ins Gewicht.

Damals aber, Anfang der 80er, als sich die günstig gewordenen Synthies flächendeckend durchsetzten, galten sie unter Anhängern von »echter Musik« als Teufelszeug. Vor allem Fans der klassischen Rockmusik, die das handgezupfte Gitarrensolo für den Ausdruck höchster Kunstfertigkeit hielten, sahen in dem elektronischen Tonerzeuger ein Instrument der Zerstörung.

Und sie hatten – wirtschaftspolitisch betrachtet – nicht mal Unrecht. Der Synthesizer war für die Musikbranche das, was der mechanische Webstuhl für die Textilindustrie gewesen war: ein Arbeitsplatzvernichter. Denn die Plattenfirmen nutzten mit ihm ein effizientes Werkzeug, um komplette Studioorchester einzusparen. Vorbei waren die Zeiten, da US-Disco-Produzenten wie Kenny Gamble und Leon Huff sich Dutzende von Streichern und Bläsern leisteten, um den legendären »Philly Sound« zu erzeugen. Jetzt genügte ein einziger Synthesizer, um das gleiche Ergebnis zu einem Bruchteil der Kosten zu erzeugen.

Wobei das mit dem »gleichen Ergebnis« in den 80er Jahren nicht stimmte. Wenn Bläser und Streicher elektronisch nachgeahmt wurden, klang das Resultat schauderhaft. Der Soul ging auf diese Weise vor die Hunde. Sogar eine Band wie Earth, Wind & Fire, deren Ruhm auf den Trompeten der Phenix Horns gründete, machte 1983 mit – nomen est omen – »Electric Universe« den Fehler, sich in synthetischen Klängen zu verlieren. Danach waren Ruf und Karriere ruiniert.

Dabei gab es weiterhin einen Markt für traditionellen Rhythm & Blues. Das bewies ausgerechnet der Nietenhosenhersteller Levi’s, der seine Werbespots mit Soulklassikern wie »A wonderful world« (Sam Cooke), »Stand by me« (Ben E. King) und »When a man loves a woman« (Percy Sledge) unterlegte. Das kurbelte nicht nur den Jeansverkauf an, sondern katapultierte auch die Originalsongs Jahrzehnte später wieder in die Charts.

Mit ollen Kamellen kannten die Pointer Sisters sich aus. Ihre ersten beiden Alben von 1973 und 1974 hätten auch den Swing- und Dixieland-Fans der 1930er und 1940er Jahre gefallen. Doch für Furore sorgten sie ausgerechnet mit einem Country & Western-Song. In einer Zeit, als die Hautfarbe noch die Wahl des Musikgenres mit bestimmte, kam es einer Sensation gleich, dass sich PoC an einem Country-Schunkler versuchten. Und wie die Geschwister Pointer das taten! »Fairytale« (1974) brachte ihnen nicht nur einen Grammy für die beste Country-Gesangsdarbietung einer Gruppe ein, sondern auch eine Einladung nach Nashville. Die Pointer Sisters waren die ersten Schwarzen, die in der legendären Country-Liveshow »Grand Ole Opry« auftreten durften.

Auch in den Folgejahren egalisierten sie die Konventionen. Ihr größter Hit »Fire« (1978/79) war eine Komposition von Bruce Springsteen. Mit dem massenhaften Aufkommen der Synthesizer Anfang der 80er vollzogen sie einen erneuten Schwenk. Die Single »I’m so excited« (1982) war technoide Hi-NRG-Disco – nichts erinnerte mehr daran, dass die Pointer Sisters als altmodisches Jazzquartett begonnen hatten.

»Break Out«, das vor 40 Jahren erschien, ging dann noch einen Schritt weiter. Nicht weniger als neun Produzenten sorgten dafür, dass dieses Werk zu einer Leistungsschau der damaligen analogen Synthesizertechnik wurde. Bis heute wird in Internetforen darüber debattiert, ob hauptsächlich der Roland Jupiter-8 und Sequential Prophet-5 oder die Oberheim-Modelle DSX, DMX und OB-X8 zum Einsatz kamen. Mit dabei war auf jeden Fall die Mutter aller Kompaktsynthesizer, der Moog minimoog, der zwischen 1970 und 1981 hergestellt wurde und die moderne Popmusik prägte.

Was »Break Out« von vielen schlecht gealterten Synthie-Platten jener Zeit unterscheidet, war die Herangehensweise der Produzenten. Diese hatten begriffen: Gut klingen Synthesizer dann, wenn sie nicht als billiges Imitationswerkzeug, sondern als eigenständiges Instrument verstanden werden. So entstanden neue Sounds, die nicht nur Diskothekenbesucher, sondern auch das Radiopublikum begeisterten – das Album warf fünf Hitsingles ab.

Zu Höchstform läuft die neue Technik auf »Automatic« auf; da wird kein Knalleffekt ausgelassen, um den Zuhörer zu packen und auf die Tanzdiele zu schleudern. Doch erst im Zusammenspiel von Mensch und Maschine wird daraus ein Dance-Klassiker. Das sahen die Grammy-Juroren genauso. Sie zeichneten den Song für das beste Stimmenarrangement aus. So war sich die einstige Vocal-Jazz-Formation am Ende doch treu geblieben.

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