Nahost-Konflikt: Zwist in Netanjahus Regierung

Israels Verteidigungsminister Gallant hält nichts von Gaza-Siedlungsplänen der Religiösen Zionisten

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Drei Monate nach Beginn des Kriegs zwischen Israel und der Hamas ist die Lage im Gazastreifen dramatisch: Es drohen eine Hungersnot, der Ausbruch von Krankheiten, warnte Martin Griffiths, Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen (Uno) am Wochenende: Der Gazastreifen sei unbewohnbar geworden. Israels Militär bestreitet das: Es würden ausreichend Nahrungsmittel eingeführt, auch die Wasserversorgung sei in den vergangenen Wochen stark verbessert worden, heißt es in einer Stellungnahme, in der man auch den Ball an die Uno zurückspielt: Für mehr Lieferungen und eine bessere Verteilung müsse die Uno ihre Kapazitäten aufstocken.

Sicher ist: Seit Kriegsbeginn wurden über 20 000 Menschen im Gazastreifen getötet; rund eine Million Menschen flüchtete aus dem Norden des extrem dicht bevölkerten Landstrichs in den Süden, wo sie nun in Zeltstädten und überbelegten Wohnungen ausharren, versorgt von den Vereinten Nationen. Doch die Hilfsgüter müssen per Lastwagen über lange Strecken über die Sinai-Halbinsel transportiert werden. Und dafür sind die Häfen, Flughäfen und Straßen dort nicht ausgelegt.

Schlechte Aussichten auf Kriegsende

Am Wochenende meldete nun die israelische Militärführung, man habe die Strukturen der Hamas im Norden des Gazastreifens zum größten Teil zerstört: Eine Mitteilung, die auf beiden Seiten die Hoffnung auslöste, dass das Ende des Krieges nah sein könnte. Doch die Aussichten sind schlecht. Nach der Sitzung des israelischen Kabinetts am Donnerstag wurde deutlich: Man hat immer noch keinen Plan für die Zukunft. Stattdessen sind nun die tiefen Differenzen innerhalb der Regierung in ihrer ganzen Bandbreite ans Tageslicht gekommen. Die Kabinettsmitglieder des ultranationalistischen Parteienbündnisses »Religiöser Zionismus« fordern nicht weniger als eine dauerhafte Besatzung des Gazastreifens, eine Vertreibung der Bevölkerung vor allem nach Ägypten und den erneuten Bau von israelischen Siedlungen dort. Bei der eigenen Wählerschaft kommt das gut an: 2005 waren alle Siedlungen in Gaza geräumt worden; die Hoffnung auf eine Rückkehr hatte die Siedlerbewegung nie aufgegeben. Und nun sieht man die Chance gekommen.

Schon vor der Kabinettssitzung hatte Bezalel Smotrich, Finanzminister und einer der Spitzenpolitiker der »Religiösen Zionisten« bei Facebook geschrieben: »Eine Lösung für Gaza erfordert die Förderung von freiwilliger Migration und die volle Kontrolle über die Sicherheit, einschließlich eines erneuten Siedlungsbaus.« Verteidigungsminister Joaw Gallant hingegen will nach dem Krieg den vollen Handlungsspielraum fürs israelische Militär, aber keine dauerhafte Militärpräsenz in Gaza. Auch einen Siedlungsbau schließt er aus. Einig ist sich die Regierung überhaupt nicht.

Regierungschef Benjamin Netanjahu steht mit dem Rücken zur Wand. Er kann die Forderungen der rechten Koalitionspartner keinesfalls erfüllen. Ohne sie hat er aber auch keine Chance, im Amt zu bleiben. Bislang hatten er, aber auch Oppositionsführer Benny Gantz, der Teil des dreiköpfigen Kriegskabinetts ist, bei den Umtrieben der Rechten dezent weggesehen, um eine Koalitionskrise und mögliche Neuwahlen mitten im Krieg zu vermeiden.

Siedlungsausbau im Westjordanland

So wurde es möglich, dass Smotrich, der auch die Kontrolle über die israelische Zivilverwaltung im Westjordanland hat, und der »religiöse Zionist« Itamar Ben Gvir, Minister für innere Sicherheit, den Siedlungsbau im israelisch besetzten Westjordanland kräftig ausweiteten. Die israelische Menschenrechtsorganisation »Schalom Achschaw« (Peace Now) hat seit Kriegsbeginn neun neue Siedlungsaußenposten und 18 neue Straßen gezählt. Aber vor allem sind die Siedler gewalttätiger geworden: 1225 Übergriffe auf Palästinenser oder deren Besitz hat die Organisation »Jesch Din« seit Oktober gezählt. Und Smotrich und Ben Gvir unternehmen alles, um ein effektives Vorgehen dagegen zu verhindern. Mitarbeiter der Polizei beklagen einem Bericht des TV-Senders KAN zufolge, dass Ben Gvir versuche, rechtswidrige Befehle zu erteilen und dann gegen Offiziere vorgehe, wenn seine Wünsche nicht erfüllt werden.

All dies hat auch dafür gesorgt, dass der internationale Druck auf Netanjahu massiv gestiegen ist: Jene arabischen Regierungen, mit denen Israel diplomatische Beziehungen unterhält, sind auf Distanz gegangen. Und aus den USA weht ein eisiger Wind: »Diese aufstachelnden und unverantwortlichen Aussagen müssen sofort aufhören«, sagte Matt Miller, Sprecher des US-Außenministeriums: »Der Gazastreifen ist palästinensisches Land und bleibt palästinensisches Land.«

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