Weihnachtsskandal um Stalin

Georgien diskutiert über ein Heiligenbild mit dem Sowjetdiktator

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 3 Min.
Ikone des Antoßes: Diese Abbildung Stalins in der Hauptkirche des Landes ist für einige Georgier ein Skandal.
Ikone des Antoßes: Diese Abbildung Stalins in der Hauptkirche des Landes ist für einige Georgier ein Skandal.

»Das ist ein weiterer Erfolg der russischen Informationskriegsmaschine«, entrüstete sich Giorgi Kandelaki in einem Video am Wochenende. Das Video, das der Politiker der Partei Europäisches Georgien und Forscher des Sovlab, einer von Deutschland finanzierten Organisation zur Erforschung der sowjetischen Geschichte Georgiens, in sozialen Medien teilte, zeigt eine Ikone in der Sameba-Kathedrale von Tiflis, dem Sitz des georgisch-apostoloischen Patriarchen. Zu sehen ist eine Ikone, auf der Josef Stalin, Georgier und langjähriger Diktator der Sowjetunion, abgebildet ist. Dem »Initiator der Zerstörung der Unabhängigkeit Georgiens, Mörder Tausender Geistlicher und Erschaffer des totalitären Sowjetsystems« ausgerechnet in einer Kirche zu huldigen – für Kandelaki ein Skandal. Ebenso wie für viele Internetnutzer, die das Video am Wochenende teilten.

Kirche versteht Aufregung nicht

In der Kirche kann man die Aufregung hingegen nicht verstehen. Dass Stalin sich auf einer Ikone wiederfindet, sei nichts Ungewöhnliches, erklärte der Pressesprecher der Kirche, Andrij Dschagmaidse, gegenüber georgischen Medien. Schließlich gehe es bei dem Heiligenbild nicht um den Sowjetführer, sondern um Matrona von Moskau, eine Heilige der Russisch-Orthodoxen-Kirche. Der Legende nach soll Stalin sie aufgesucht haben, als die Deutschen vor Moskau standen. Dabei habe sie ihm gesagt, dass das russische Volk siegen werde, wenn es Stalin folgt.

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Außerdem, so erklärt es Dschagmaidse, gäbe es bereits Beispiele, in denen es »große Kirchenverfolger« auf Ikonen geschafft hätten, wie etwa der römische Kaiser Diolektian. Nur weil jemand auf einem Heiligenbild abgebildet sei, bedeutet dies nicht, dass er auch verehrt werde, meint der Pressesprecher. Die russische Spur in der Stalin-Zeichnung sei ohnehin eine »zweitrangige Frage« lässt die Kirche in einer Erklärung verlautbaren.

Ikone ist Parteigeschenk

Wann die Ikone genau in der Kathedrale auftauchte, will die Kirche nicht verraten und sieht in Kandelaki eher einen Provokateur. Dass der Politiker das Video zum orthodoxen Weihnachtsfest veröffentlichte, deute darauf hin. »Nicht zum ersten Mal will man das Fest mit einem Skandal überschatten, um in den Herzen der Menschen statt Freude Hass zu säen«, kommentierte Dschagmaidse den Vorfall. Irma Inaschwili, Generalsekretärin der Allianz der Patrioten, bezeichnete diejenigen, die ein Problem mit der Stalin-Abbildung hätten, als »ignorant«. Kurz zuvor hatte ihre konservativ-populistische Partei zugegeben, das Heiligenbild der Kirche gespendet zu haben.

Während die Regierungspartei Georgischer Traum sich auch drei Tage nach dem Erscheinen des Videos nicht äußert, melden sich immer mehr Politiker zu Wort. Gegenüber Radio Swoboda sprach Lewan Berdenischwili, sowjetischer Dissident und Gründer der Republikanischen Partei Georgiens, von einem ernsthaften Skandal. »Wenn die Menschen glauben, Stalin sei ein Heiliger, sind diese Menschen selbst keine Heiligen.«

Stalin-Kult erlebt Renaissance

In seiner Heimat Georgien genießt Sowjetführer Stalin immer noch eine gewisse Popularität. Der Mythos, der frühere Priesterschüler sei heimlich immer ein Christ geblieben, ist im Land weitverbreitet. Georgien erlebt eine Wiedergeburt des Stalin-Kults, ist Kandelaki überzeugt. Davon zeugen unter anderem das Stalin-Museum in seiner Heimatstadt Gori, aber auch mindestens elf Denkmäler und Büsten, die in den vergangenen Jahren teils mit finanzieller Unterstützung lokaler Behörden aufgestellt wurden. Stalin-Devotionalien werden in Tiflis an vielen Ecken angeboten, darunter etwa Socken mit dem Konterfei des Diktators.

In Russland sorgte eine Matrona-Ikone mit Stalin bereits 2008 für erhebliche Aufregung. Nach öffentlicher Kritik entfernte ein Geistlicher sie aus der Kirche in Sankt Petersburg und nahm sie mit nach Hause. Später tauchten ähnliche Ikonen in mehreren russischen Städten auf, stets begleitet von heftigen Diskussionen.

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