»Die ganze Gründungsgeschichte ist dubios«

Benedikt Frank über die neue Gewerkschaft der Postkonkurrenten, die PIN AG und den Mindestlohn für Zusteller

  • Lesedauer: 4 Min.
Der 37-jährige Benedikt Frank ist Fachsekretär für die neuen Briefdienste beim ver.di-Landesverband Berlin-Brandenburg. Der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann beschäftigt sich seit nunmehr drei Jahren mit dem Thema. Mit dem in Berlin Geborenen sprach Ina Beyer.
ND: Unlängst protestierten Angestellte der PIN Mail in Berlin gegen Mindestlohn. Wie lässt sich dieses absurde Szenario erklären?
Frank: Ich habe mir die Demonstration vom Rand aus angeschaut. Dort sind Betriebsräte aufgetreten, die den Eindruck vermittelten, sie sprächen im Namen des Betriebsrats. Dem war aber nicht so – es gab keinen Beschluss und die dort gehaltenen Reden waren nicht mit dem Betriebsrat abgesprochen. Es wirkte außerdem so, als fühlten sich viele Angestellte unter Druck gesetzt – ein Mittel, das wir von der PIN Mail in Berlin schon kennen.
»Die ganze Gründungsgeschichte ist dubios«

Letzte Woche wurde die Gründung der »Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste« (GNBZ) bei den Postkonkurrenten bekannt, die für geringeren Mindestlohn eintritt. Das klingt dubios ...
Die ganze Gründungsgeschichte ist dubios. Es ist zum Beispiel sehr seltsam, dass die erste Information überhaupt über diese neue Gewerkschaft von Florian Gerster, dem Arbeitgebervertreter bei den Postkonkurrenten, kam – und nicht von den Arbeitnehmern. Siemens und AUB lassen grüßen!

Mitgliedsbeiträge können erst ab Ende des Monats eingehen, trotzdem gibt es schon Büroräume. Die müssen irgendwie bezahlt werden, genau wie etwa Publikationen. Der Homepage ist zu entnehmen, dass es schon hauptamtlich Beschäftigte gibt. All das wirft Fragen danach auf, wo das Geld herkommt.

Es gibt sogar schon einen Vorstand ...
Gewerkschaften wählen Vorstände auf Delegiertenkonferenzen – dazu wird sechs Wochen vorher eingeladen. Scheinbar wurde der Vorstand zur Gründung gleich mitgebracht. Eine längere Vorbereitung ist zumindest nicht offensichtlich. Und auch die Mitglieder dieses Vorstands – Thomas Glückstein zum Beispiel ist mitnichten ein normaler Arbeitnehmer, sondern Abteilungsleiter Aus- und Weiterbildung, Lager und Finanzen bei der PIN Mail AG hier in Berlin.

Der Arbeitgeberverband der Postkonkurrenten argumentiert, der vereinbarte Mindestlohn gelte nicht für die Mehrheit der Branche – er selber vertrete mit 270 000 Angestellten mehr als die Hälfte der dort Beschäftigten. Taxifahrer, Kurierdienste inklusive. Wie bewerten Sie seine Argumentation?
Gerster rechnet alle ein, die irgendwann mal einen Brief in der Hand haben. Beim Mindestlohn geht es aber konkret um die Zusteller. Gerster behauptet auch, dass der Arbeitgeberverband, mit dem ver.di den Mindestlohn ausgehandelt hat, nur 117 000 Arbeitnehmer vertritt: Allein die Post hat aber schon 148 000 Angestellte. Auch diese Zahl ist also falsch. Die Argumentation ist daher nicht ernstzunehmen.

Die Gewerkschaft will bis Ende 2007 einen eigenen Tarifvertrag mit dem Arbeitgeber aushandeln. Gibt es dagegen eine rechtliche Handhabe?
Zunächst muss der Status dieser »Gewerkschaft« geprüft werden. Sie muss eine gewisse Mächtigkeit haben – sprich Mitglieder. Ich könnte mir vorstellen, dass der Arbeitgeber da auch wieder Druck macht und eventuell tatsächlich Angestellte in die GNBZ eintreten.

Es muss aber auch eine Gegner-unabhängigkeit bestehen, heißt also, die Organisation darf nicht vom Arbeitgeber geschaffen sein. Sonst darf sie keine Tarife abschließen – und selbst wenn sie es täte, hätten diese keine Gültigkeit.

Der Arbeitgeberverband Neue Briefdienste droht mit Verlust von 50 000 Arbeitsplätzen, wenn der Mindestlohn kommt. Wie steht ver.di dazu? Bei der hohen Lohnsteigerung sind Outsourcing oder versuchte Umgehung von Tarifvereinbarungen ja nicht auszuschließen?
Dieses Szenario wird von der Arbeitgeberseite aufgebaut. Ich halte es für Blödsinn. Außerdem hat ver.di ernsthaft versucht, zu Tarifgesprächen zu kommen. Wir haben am 29. Januar 2007 ein Abkommen mit der PIN Group unterzeichnet, wonach diese einen Tarifvertrag mit uns abschließen wollte. In Berlin schien damals das Vergabegesetz zu drohen. PIN hat dann so getan, als wollten sie Tarifverhandlungen aufnehmen. Real sind diese aber nie zustande gekommen. Man hat mit uns nicht verhandelt.

Erst daraufhin versuchte ver.di, auf anderen Wegen Bedingungen für einen Mindestlohn in der Branche zu schaffen. Das wurde über die Aufnahme der Zusteller ins Entsendegesetz realisiert. Wir haben also verhandelt, PIN dagegen nicht. Es ist der PIN AG deshalb mittlerweile gerichtlich untersagt, zu behaupten, wir hätten nicht ernsthaft versucht, in Tarifgespräche zu kommen. Praktisch war es genau andersrum.


GNBZ ? »Gerechte Löhne tun nicht weh« ...

Die Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste hat ihren Sitz in der Kölner Universitätsstraße 71. Als Vorstand werden Arno Doll und Thomas Glückstein angegeben.

Auf ihrer Webseite stellt die GNBZ unter dem Slogan »Gerechte Löhne tun nicht weh« ihre Forderungen vor. Nach eigenen Angaben streitet sie für eine »effektive Vertretung der Arbeitnehmerinteressen«. Weitere Forderungen beinhalten:

• Erhalt von 50 000 Arbeitsplätzen

• Chancengleichheit am Markt

• Marktorientierter Wettbewerb

• Regional angepasste Lohnmodelle

• Faire Briefmarkt-Liberalisierung

• Verfassungsschutz der Gleichbehandlung

Dagegen richtet sich die Gewerkschaft gegen die Erhaltung des Postmonopols (dazu gibt es 25 Thesen und Fakten), gegen Dumpinglöhne (!), Wettbewerbsverzerrung und ein »pauschales Ost-West-Gefälle«.

Aufnahmeanträge können von der Seite heruntergeladen werden. Die GNBZ ist nach ver.di-Angaben bisher nicht ins Vereinsregister eingetragen.

• Zum Weiterlesen: www.gnbz.de
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