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Geistesmenschen in der Geisterbahn

Frank Castorf inszeniert Thomas Bernhards »Heldenplatz« zur letzten Spielzeit des geschassten Burgtheater-Intendanten Martin Kušej neu

  • Nikolaus Kohlberger
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein bisschen Werbung Coca Cola, viele gestreckte rechte Arme, ein ordentliches Bügelbrett: So baut Frank Castorf seine Interpretation von Thomas Bernhards Skandalstück »Heldenplatz« zusammen.
Ein bisschen Werbung Coca Cola, viele gestreckte rechte Arme, ein ordentliches Bügelbrett: So baut Frank Castorf seine Interpretation von Thomas Bernhards Skandalstück »Heldenplatz« zusammen.

Gleich mit der ersten Szene sollte sie belohnt werden: Die österreichische Medienlandschaft hat in der letzten Woche auf die Wiederkunft ihres NS-Vergangenheits-Staatskrisenstücks von 1988 hingefiebert, denn Frank Castorf, langjähriger Intendant der Berliner Volksbühne inszeniert Thomas Bernhards »Heldenplatz« in Wien. Vor 36 Jahren, wiederum genau 50 nach Österreichs Anschluss an Nazideutschland, sorgte das Stück für den größten Theaterskandal der Landesgeschichte.

Per Direktansprache von Schauspieler Marcel Heuperman wurden von der Bühne herab gleich zu Beginn auffordernde Buhrufe an das Publikum ausgegeben. So wurden Gäste wie der amtierende Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) oder der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) auf einen Skandal eingeschworen. Der kam aber nicht zustande. Der Staatsakt fiel wesentlich unspektakulärer aus als zur Uraufführung in der Regie von Claus Peymann, der an diesem Abend auch zugegen war. Kein Misthaufen wurde vor dem Burgtheater abgeladen. Ein Spitzenpolitiker verließ mehrmals den Saal, aber nicht aus Schrecken, sondern mit dem sich anmeldenden Smartphone in der Hand. Statt durch die korrumpierte, zahnlos gewordene österreichischen Presse, die in Bernhards »Heldenplatz« in ihrer Mickrigkeit ausgestellt wird, schwappte an diesem Premierenwochenende die Schockmeldungswelle vom Zweiten Deutschen Fernsehen die blaue Donau hinab: Jan Böhmermanns Zusammenfassung der rechtsextremen Kontaktpflege der FPÖ war die Ursache.

Bernhardtypisch beginnt der Abend mit einer sich wiederholenden, zerfasernden Szene über richtiges und falsches Bügeln und die ordnungsgemäße Vorschriftenerfüllung bei der Faltung von Hemden. Die Haushälterin Zittel geht in der Normerfüllung gegenüber ihrem verstorbenen Professor Schuster gebrochen auf, lässt auf individueller Ebene das Thema des Stücks anklingen: zwanghafter Nachhall falscher Normbestände. Insgesamt wird der Abend mit seinen vielen thesenreichen Monologen und Einschüben aus Texten, etwa Reiseberichte des US-Schriftstellers Thomas Wolfe oder von John F. Kennedy, die weniger Zusammenhänge als Monolithen bilden, von starken Einzelauftritten des gesamten Ensembles getragen.

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Bühne und schrille Kostüme: Bananenkleid, Einwegzelte, Lack und Leder, Federboa nehmen Anleihen an einem verschwundenen Amerika. Die überdimensionalen Beine der gestürzten Marilyn Monroe im ikonischen Rock ragen neben dem Eingang zur Brooklyner »Borough Hall Station« aus dem Boden. Coca-Cola-Reklame und ein Pepsi-Automat sind die wenigen leuchtenden Todesüberwinder dieser Untergangsatmosphäre. Im Hintergrund unausweichlich niederdrückend: eine enorm vergrößerte Fotografie einer Versammlung auf dem Reichsparteitagsgelände, mit tausendfach ausgestreckten rechten Armen.

Zur Handlung: Der auf Wunsch des Wiener Bürgermeisters aus der erzwungenen Emigration zurückgekehrte Professor Josef Schuster hat sich durch einen Sprung aus dem Fenster der Wohnung mit der Adresse Heldenplatz umgebracht – jenem Aufmarschfeld zur Anschlussrede Hitlers, mit dem berühmten Balkon. Vom Nachwuchs der freiheitlichen Partei wird er noch heute als sehnsuchtsbehafteter Fluchtpunkt in ihre Social-Media-Clips hineinmontiert. Extremismusforscher*innen sehen darin keinen Zufall. Schusters Leiden an der Welt ertönt von überall her: aus der provinziellen Verfassung, dem Judenhass, der faden, verkommenen Zeitungslandschaft, der Massenbegeisterung während des Anschlusses 1938. Unter diesen erbarmungslosen Umständen beschreibt Bernhard einen für »Geistesmenschen« unmöglich lebbaren Zustand. Sich auszulöschen erschien dem Professor als harmonisierende Strategie gegenüber dem Geschrei.

Der Bruder Schusters, Robert, als Mumie verpackt, wienerisch grantelnd gespielt von der phänomenalen Birgit Minichmayr, flieht in die reine Harmonielehre. Der Musikverein gilt ihm als Hort eines adretten, unveränderlichen Österreichs, das konservativ und katholisch, k. u. k. als Farce einfach weiterhin und konsequent ignorant am Leben erhält.

Die Verwandtschaft drängt Robert, doch wenigstens einen Protestbrief gegen den Straßenbau durch den Apfelgarten der Familie in Neuhaus (ein Ort im Wienerwald) zu unterschreiben. Diese Bitte wird von dem der Welt Abhandengekommenen mit dem skandalumwitterten Monolog über »sechseinhalb Millionen Debile und Todsüchtige«, gemeint sind die Österreicher*innen, von der bandagierten Minichmayr unnachahmlich, sich auf einem Stuhl grotesk verrenkend, negativ quittiert. Die resignative Haltung wird gegenüber Veränderungsimpulsen als letztmögliche und radikalste Widerstandsform ausgegeben.

In den ersten Teil wird ein Reisebericht des jungen John F. Kennedy eingeflochten, mitsamt einer Diashow über seinen Roadtrip durch das faschistische Deutschland 1937: Er erinnert sich nur an das »lovely weather«, deutsche Kleinstadtanlagen, welche denen der Italiener überlegen seien ... und wohlgezüchtete Dackel.

Die Inszenierung kennt insgesamt keine stringente Erzählung, nur wiederkehrende Kalauer, sie stellt Textquellen nebeneinander, nimmt ausgerollte Fäden nicht wieder auf. So entsteht eine ausweglose Verrücktheit, eine nicht durchdringbare Verschlungenheit des Weges in den Holocaust: Unzählige Kostümwechsel, Schaufensterpuppenhaufen mit stramm erhobener Armausrichtung, der wiederkehrende traurige Gesang vom brennenden Schtetl, gemeinsames Erdäpfelschälen als Leichenschmaus sind einzelne Bausteine, die zusammengedacht eine »schmerzhafte Dialektik, aus der das Komische entsteht« (Frank Castorf), über viereinhalb Stunden herausbilden.

Der Soundtrack des Abends verzeichnet ironisch verwendet die Anfälligkeit der Kulturindustrie für ideologische Führungsansprüche: »Es fährt ein Zug nach nirgendwo«, »Blond wird groß geschrieben« und »Opernring Blues« des Wiener Rappers Bibiza, mit der Textzeile: »Zwei schöne Damen und Kokain. Ich zieh das durch, bis ich groß verdien’.« Die Kameraarbeit während langer sinnierender Bahnfahrten und in einem klaustrophoben Bunker, aus dessen Kronleuchter zum Schluss Gas ausströmt und damit die Trauergemeinschaft auflöst, erzwingen trotz einiger Längen des Abends den Eindruck einer allgemeinen panischen Ohnmacht – insbesondere in diesem österreichischen Superwahljahr.

Nächste Vorstellungen: 24.2., 3.3., 28.3.

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