American Angst

Manchmal hilft in Texas nur der Schutz vor sich selbst

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 4 Min.
Wer sich eine Alarmanlage anschafft, sollte neben Anxiety nicht auch noch an Stupidity leiden.
Wer sich eine Alarmanlage anschafft, sollte neben Anxiety nicht auch noch an Stupidity leiden.

Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,

als der Spanier Pedro Almodóvar 1988 »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruches« filmte, hatte er, der Visionär, wohl schon die texanischen Frauen von 2024 im Blick. Denn wir drehen hier kollektiv am Rad. Meine Nachbarin schickt mir hanebüchene Nachrichten zu KI-Waffen, die willkürlich Menschen töten sollen. Die Kollegin meines Mannes bemerkt: »Wer sein Kind auf dem Spielplatz frei rumlaufen lässt, kennt keine Angst.« Eine gut situierte Bekannte erzählt von einer Geiselnahme in ihrem Reichenviertel – die lateinamerikanische Crew, die Reparaturarbeiten in einem Nachbarhaus durchführte, wurde von einer rivalisierenden Mafiabande des Baumaterials beraubt und im Anschluss in ebendiesem Haus angekettet und geknebelt. »Nehmt eure Kinder mit aufs Klo, auch wenn sie Teenager sind, die Entführer lauern überall!«, mahnt eine Frau in der lokalen Facebook-Gruppe; dort ist man sich einig, dass unsere Einkaufsmall das Zentrum des nordtexanischen Menschenhandels darstelle.

Mein Mann muss oft arbeitsbedingt verreisen. Einst hatte ich keine Probleme, ein paar Tage ohne ihn zu verbringen. Ich genoss die Ordnung, die nur ich einhalte, die Duftkerzen, die nur ich mag, das sogenannte Girl Dinner (Ofenkäse, Datteln im Speckmantel, Baguette), das nur mir schmeckt, Kunstraub-Dokus, die ihm zu langweilig, oder Reality-Sendungen, die ihm zu doof sind. Doch nach all den Gruselgeschichten um mich herum entwickele ich Ängste – oder auf Neudeutsch: Anxiety. Was, wenn unsere einstige Renovierungscrew uns ebenfalls einen Besuch abstattet? Mein Mann ist zu ihnen gar nicht so nett gewesen, hat mit seiner deutschen Wasserwaage rumgefuchtelt. Was, wenn sie wiederkommen, mich knebeln und den neuen Boden rausreißen?

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Ich gewöhne mir also an, alles abzuschließen, wenn mein Mann verreist ist. Als ich einmal spätabends den Müll rausbringe, knallt die Tür hinter mir zu, das Schloss rastet ein, ich bin ausgesperrt. Ich habe keinen Schlüssel dabei, nur mein Handy, durch das ich hysterisch meinen Mann anschreie. Mein Mann schreit seinerseits zurück durch den Babymonitor unseres nicht mehr babyhaften Kindes. Meine Tochter solle aufwachen und mir die Haustür öffnen. Er schreit 20 Minuten, ohne Erfolg. Sie schläft eben sehr fest – eine Gabe, die ich ihr vererbte und auf die ich normalerweise sehr stolz bin.

Plan B ist, durchs Fenster ins Haus zu gelangen. Das amerikanische Fensterbausystem ist definitiv minderwertiger als das deutsche, was sich in diesem Fall als hilfreich erweist: Ich klappere alle Fenster ab, sehe ein entsperrtes, trete das Moskitonetz mit dem Fuß ein und steige wie ein Verbrecher ins eigene Wohnzimmer ein. Das ist die erste Nacht, in der ich schlecht schlafe.

Sodann besorgen wir uns ein Alarmsystem: Der Haustürschlüssel ist nun passé, man öffnet und schließt die Tür in der App. Nur dass ich mich letztens nicht mehr in die App einloggen konnte, ausgerechnet als mein Mann in einem Flugzeug saß! Ich versuche, das Haus manuell abzuschließen, löse aus Versehen den Alarm aus und kann ihn nicht mehr ausschalten. Ein unerträglich grelles Warngeräusch tönt durch unser Heim, ohne jedoch meine Tochter zu wecken.

Sofort ruft die Alarmfirma an – eine unangenehm entspannte Frau weist mich an, ich solle allen Alarmgeräten den Stecker ziehen. Stille. Es werde in ein paar Minuten wieder piepen, warnt die entspannte Frau, ich solle die Batterien aus dem Hauptlärmmacher entfernen. Dafür wiederum bräuchte ich einen Schraubenzieher – für den ich in die Garage muss: Das Türöffnen wird ein neues Signal triggern!

»Versuchen wir es doch manuell«, zaubert die Alarmfrau, die merkwürdigerweise nicht am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht, als Idee aus dem Hut. Als sie mir erklärt, wie ich den Alarm entsperren soll, wird mir klar, dass ich nicht nur an Anxiety, sondern auch an Stupidity leide: Ich hatte die ganze Zeit den falschen Knopf gedrückt! Wahrscheinlich hatte mir mein Mann das Alarmsystem erklärt, während ich eine Kunstraub-Doku schaute. Als ich auflege, klingelt es an der Tür: Polizei! Sie wollten checken, ob alles in Ordnung sei, das machten sie bei einem aktivierten Alarm immer. Mit einem Mal bin ich von jeglicher Angst befreit.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal