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Alltag einer Schornsteinfegerin: »Ich brauche kein Fitnessstudio«
Schornsteinfegerin Sarah Wagner über ihren Alltag, Vorurteile und die Freiheit im Handwerk
Frau Wagner, wie lange sind Sie schon Schornsteinfegerin?
Ich habe mit 16 direkt nach der Realschule meine Ausbildung angefangen. Seitdem bin ich Schornsteinfegerin, also jetzt seit 15 Jahren. Gut, mit einer kleinen Unterbrechung, als ich Work and Travel machen wollte in Kanada, aber wegen Corona abbrechen musste. Aber seitdem bin ich Schornsteinfegerin, das ist mein Traumberuf.
Wie sind Sie als Jugendliche auf diesen Beruf gekommen?
Ich hatte den Beruf gar nicht auf dem Schirm. Für mich war klar, es muss was Handwerkliches sein. Büro – das ist nichts für mich, viele Mädchen aus der Schule wurden Hotelfachfrau. Dann war in den Ferien der Schornsteinfeger bei uns zu Hause. Er hat mir von seinem Berufsalltag erzählt, und ich fand ihn so ultracool mit meinen 16 Jahren. Dann bin ich ihm bei seiner Arbeit gefolgt und war begeistert. Meine Mutter hat mich dann mehr oder weniger zum Praktikum geschubst. Am ersten Tag habe ich gewusst: Das ist mein Traumberuf. Ich habe gleich den Ausbildungsvertrag unterschrieben und bin seitdem eine glückliche Schornsteinfegerin.
Sarah Wagner ist 30 Jahre alt und seit 15 Jahren Schornsteinfegerin in Süddeutschland. Jedes Jahr nimmt sie im italienischen Santa Maria Maggiore am internationalen Schornsteinfeger*innen-Treffen teil. Während in vielen Branchen über Fachkräftemangel geklagt wird, hat sie ihren Traumberuf früh gefunden – und erzählt, wie es ist, als Frau in einem traditionellen Männerberuf zu arbeiten.
Was hat Sie daran so fasziniert?
Für mich waren es die Interaktionen mit der Kundschaft, das Soziale, man ist ständig im Gespräch und immer in Bewegung. Gerade viele ältere Menschen freuen sich, wenn die Schornsteinfegerin kommt, das ist für sie ein Highlight, da sie doch manchmal vereinsamen. Man tut ein bisschen was Gutes und wird gerne gesehen – Schornsteinfeger sind Glücksbringer für die Menschen. In welchem Beruf hat man so etwas?
Haben Sie nie an Ihrer Entscheidung gezweifelt?
Klar gibt es Tage, an denen ich mir denke: Mensch, jetzt wäre es doch schön, im Büro zu sitzen, vor allem wenn es draußen richtig regnet oder das Wetter einfach unangenehm ist. Dann muss ich von Haus zu Haus, immer raus in Wind und Regen. Trotzdem würde ich meinen Job nie gegen einen Bürojob tauschen.
Wie reagieren die Kundinnen und Kunden, wenn eine junge Frau vor ihnen steht?
Überwiegend positiv. Ich bin die allererste Frau in meinem Kehrbezirk. Das ist was anderes. Oft wird mir zum Beispiel eine Leiter getragen. Manchmal denke ich: Das hätte ich jetzt auch gekonnt. Aber ich sehe das nicht so eng. Es sind nette Gesten, man wird wertgeschätzt. Natürlich gibt es auch Vorurteile. Manche glauben, dass ich die Arbeit nicht richtig mache oder nichts in einem Handwerksberuf zu suchen habe. Das gibt es leider immer noch, vor allem bei jüngeren Männern, die mir unterstellen, dass ich das nicht so gut mache wie ein Mann und sie sagen das auch so. Ältere schauen eher ein bisschen genauer hin, ob alles passt, das nehme ich ihnen aber nicht übel, die machen das eher auf eine niedliche Art und Weise. Aber überwiegend sind die Erfahrungen sehr positiv.
Wie war das in der Ausbildung – gab es viele Frauen?
Nein, wir waren in der Unterzahl. In Ulm an der Berufschule waren wir 60 Schüler aus ganz Baden-Württemberg, vielleicht sieben oder acht Mädels. Aber es war eine positive Stimmung, niemand hat gesagt: ›Was willst du hier als Mädchen?‹ Es werden auch immer mehr Frauen, inzwischen gab es sogar mal eine ganze Mädchenklasse.
Was würden Sie jungen Frauen sagen, die überlegen, Schornsteinfegerin zu werden?
Es ist ein sehr selbstständiger Beruf. Man kann die Arbeitszeiten recht flexibel legen. Ich habe zum Beispiel Tiere zu Hause – wenn eines krank ist, gehe ich zum Tierarzt und arbeite an einem anderen Tag länger. Das ist ein Vorteil. Und wenn irgendwann Kinder da sind, kann man problemlos halbtags arbeiten. Schornsteinfeger werden immer gesucht, man hat gute Chancen. Und das Besondere bei mir ist das persönliche Verhältnis: Mein Chef und ich sind nur zu zweit, da kann man immer alles besprechen und es gibt Verständnis für alle Lebenslagen. Im Freundeskreis höre ich immer, dass man im Voraus Anträge stellen muss. So etwas gibt es bei uns nicht. Ich rufe meinen Chef an und er sagt eigentlich immer, dass es in Ordnung ist.
Wie genau sieht Ihr Alltag aus?
In meiner 38,5-Stunden-Woche fege ich nicht nur Schornsteine. Ich überprüfe auch Heizungen und Öfen, messe Abgaswerte und andere technische Dinge, damit alles sicher funktioniert. Ein großer Teil meiner Arbeit ist auch, die Leute zu beraten: Wie kann man Energie sparen, wie die Heizung richtig einstellen, damit es effizient läuft. Für jeden Tag gibt es so ein grobes Fenster, wie viele Häuser ich schaffen sollte, damit alles erledigt ist.
Viele junge Menschen wählen den Beruf auch aus Klimaschutzgründen. Spielt das bei Ihnen eine Rolle?
Ja. Man kann im Kleinen etwas bewirken, etwa indem man Kunden Tipps gibt, wie sie Energie sparen können. Heizungen niedriger einstellen, trockenes Holz verwenden – das trägt dazu bei. Mit 16 war das für mich noch kein Thema, aber inzwischen bin ich stolz, dass ich so einen Beitrag leisten kann.
Sie arbeiten in einem kleinen Betrieb, nur Sie und Ihr Chef. Spielt das Geschlecht da überhaupt eine Rolle?
Gar nicht. Wir wechseln uns ab, zum Beispiel bei anstrengenden Arbeiten in Räucherkammern bei Metzgereien. Wenn dem Chef die Kraft ausgeht, mache ich weiter – und umgekehrt.
Hält der Beruf fit?
Ja. Ich brauche kein Fitnessstudio. Ich laufe so viele Treppen am Tag, das ist Wahnsinn. In Island war ich mit einer Freundin wandern – für mich waren die Treppenstufen kein Thema, sie war schnell außer Atem. Da merkt man, wie sehr der Beruf die Beine auf Trab hält.
Arbeiten Sie in der traditionellen schwarzen Kleidung?
Nein, eigentlich nicht. Dieses Outfit trage ich nur bei solchen Events wie dem Schornsteinfeger-Treffen hier. Ich gehe in schwarzem T-Shirt und Arbeitshose raus. Es muss funktional sein. Beim Arbeiten wird man eh schwarz – ich zumindest – da nützt auch die schönste Uniform nichts. Die traditionelle Mütze ist auch nur im Weg, da stoße ich überall an. Wichtig ist, dass die Häuser der Leute sauber bleiben und ich die Wände nicht verschmutze.
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Wie erleben Sie die Gemeinschaft auf Schornsteinfeger-Treffen wie diesem hier?
Das hier ist jetzt mein fünftes Treffen. Mein Chef hat mich gleich am Anfang gefragt, ob ich mit will. Erst wollte ich nur mal schauen, ob das was für mich ist. Und seitdem bin ich Feuer und Flamme. Es ist schön, weil man Kolleginnen und Kollegen trifft, sich austauscht und merkt: Wir sind viele. Es ist eine Mischung aus Tradition, Freundschaft und dem Gefühl, dass der eigene Beruf weit über den Alltag hinausreicht. Man kommt mit Schornsteinfegern aus anderen Ländern ins Gespräch, redet über Unterschiede bei den Regelungen, gerade beim Umweltschutz und bei der Technik – das finde ich total spannend.
Nutzen Sie die Kontakte nach dem Treffen das ganze Jahr über?
Es ist eher einmal im Jahr, aber über Social Media bleibt man gelegentlich auf dem Laufenden, sieht, was andere machen, wer Schornsteinfeger-Content teilt.
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