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Nino Haratischwili: Nichts knistert

An der Gegenwart vorbei inszeniert: Am Deutschen Theater Berlin besieht Nino Haratischwili mit »Penthesilea: Ein Requiem« einen allzu fernen Krieg

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Pathos trieft: »Penthesilea: Ein Requiem«
Das Pathos trieft: »Penthesilea: Ein Requiem«

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine sowie mit dem Terror der Hamas und dem folgenden Einmarsch israelischer Truppen hat sich hierzulande die Perspektive auf Krieg verändert. Zuvor entbehrte er eines Artikels, war schlicht »Krieg«, ein Thema wie viele andere auch, dem man sich theoretisch, historisch oder mit Blick auf kulturell und geografisch weit entfernte Länder widmen konnte. Freilich ohne es zu müssen, denn sowohl gedanklich, emotional als auch politisch schien nichts daran besonders dringlich. Nunmehr verhält es sich ganz anders, fordert man doch von jeder abstrakten Beschäftigung mit Krieg, sie möge eine Aussage über den bedrohlich spezifischen Krieg treffen, sei es der in der Ukraine oder der in Nahost.

Diese Erwartung schürt auch die Uraufführung des neuen Stücks von Nino Haratischwili in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Die in Tiflis geborene Autorin ist vor allem für ihre Romane bekannt. Besteller wie »Das achte Leben (Für Brilka)« oder »Das mangelnde Licht« brachten der deutschen Leserschaft die Geschichte und Gegenwart Georgiens nahe. Nun führt sie selbst Regie bei ihrer Neudichtung des Penthesilea-Stoffs, ein Nebenstrang der Geschichte um Troja. In »Penthesilea: Ein Requiem« kommen die Amazonen den belagerten Trojanern zu Hilfe und greifen die Griechen an. Während die Armeen sich in immer neuen Schlachten aufreiben, treffen sich ihre Anführer zum Zweikampf. Doch töten wollen die Amazonenkönigin Penthesilea und Achill einander nicht, denn sie haben sich ineinander verliebt.

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Eine Geschichte über Krieg also – von einem deutsch-georgischen Ensemble zum Jahrestag der russischen Invasion erzählt. Da wird doch, da muss doch ein aktueller Bezug versteckt sein irgendwo! Aber nichts da, die Suche bleibt vergeblich. Wenn an diesem Abend überhaupt eine politische Aussage über den Ukraine-Krieg getätigt werden soll, dann die, dass man ungeachtet seines Wütens weiterhin im Theater sehr allgemein über organisierte Gewalt sprechen und nachdenken können sollte.

Zu Beginn sitzt Almut Zilcher schwarz gekleidet inmitten eines Bergs weißen Stoffs, ist Braut und Witwe zugleich. Sie berichtet, wie die Amazonen und Griechen Penthesilea und Achill einkreisen, wie sie die beiden zwingen, gegeneinander zu kämpfen, und wie sie schließlich dem Anspruch folgen und einander töten. Das Pathos trieft, wie Zilcher da vor sich hin deklamiert. Ihr Monolog ist eine einzige Forderung danach, den Trojanischen Krieg für die Dauer der folgenden zwei Stunden ernster zu nehmen als jedes reale Blutvergießen.

Ein moralisches Verfehlen folgt daraus nicht. Denn was brächte es Soldaten, wenn sich deutsche Bildungsbürger in ihre Schützengräben hineinfühlten? Wohl aber halst sich Haratischwili ein ästhetisches und ein intellektuelles Problem auf, wenn sie so knallhart an der Gegenwart vorbei inszeniert. Denn tatsächliche Kriege nehmen ja spätestens seit zwei Jahren durchaus Platz in den Köpfen des Publikums ein, weshalb einige Szenen auf der Bühne im Vergleich ganz schön läppisch wirken.

Zilcher schleicht später über die Bühne, erzählt die Geschichte weiter, beschwört mit ihrer rauchigen Stimme den Lärm der Schlachten hinauf, bricht dann aber immer wieder Haratischwilis dräuende Mythos-Prosa, indem sie das Geschehen kommentiert oder mit skeptischem Blick das Liebesspiel des Kriegerpaars beäugt. Und zwar mit gewissem Recht.

Die Liebesszenen zwischen Penthesilea und Achill erinnern teilweise an Provinz-Musicals. Etwa wenn Eka Nizharadze und Manuel Harder einander tänzerisch umwerben, während Musikerin Nestan Bagration-Davitashvili immer wieder »Rette mich« in ihr Mikrofon schnulzt. Schon zu Beginn ist das nicht unbedingt ein Paar, bei dem man verstehen würde, warum man seiner über die Jahrtausende hinweg gedenkt. Harder gibt seinen Achill im Stile eines abgebrühten Actionhelden, der keinen Sinn mehr im Töten findet, aber nichts anderes gelernt hat. Nizharadze fügt sich ins Hollywood-Klischee, indem sie sich eine Weile des schmutzigen Charmes des Helden erwehrt, sich dann aber doch zur eifersüchtigen Furie entwickelt.

Wenn die beiden vor ihrem ersten Liebesakt züchtig eine weiße Stoffbahn über sich ausbreiten, bleibt es dem Publikum zumindest erspart, den beiden beim fortgeschrittenen Versuch der Imitation von Intimitäten zuzusehen. Denn nein, da knistert nichts. Anziehung und Erotik ist hier nicht zu spüren, sondern nur zu dechiffrieren. Es mag an der Sprachbarriere liegen, dass Nizharadze und Harder nicht gut ins Spiel miteinander kommen. Die Inszenierung wird ständig übertitelt, sie spricht Georgisch, er antwortet auf Deutsch.

Dieses Hindernis befördert noch Haratischwilis recht hölzerner Regiestil. Stimmungen oder Atmosphären entstehen bei ihr nicht aus der Dynamik des Bühnengeschehens heraus, sondern sind immer auf ihre Ursachen rückführbar. Die Handlung ist bei ihr gleichbedeutend mit einer Strecke von Vorgängen. Wenn Jens Koch als Achills Diener Thersites von diesem getötet wird, dann geht er in den hinteren Bereich der Bühne, schnallt weiße Stoffbahnen an ein Geschirr, das ein Stück hinaufgezogen wird, bis es Koch verdeckt. Fällt der Stoff kurz darauf herunter, ist der Schauspieler nicht mehr auf der Bühne zu sehen. Der Tod, das ist in dieser Inszenierung ein Zaubertrick, eine technische Herausforderung. Die ins Eskapistische reichende Begeisterung der Dramatikerin für den Mythos mitsamt seiner grellen Metaphorik – überall Blut, Herzen, Fleisch – trifft bei der Regisseurin auf die Freude einer Handwerkerin beim Blick in ihren Werkzeugkasten. Gefühle, Schicksale, Flüche – alles findet hier seinen Ausdruck und sei es, indem man auf sture Behauptung setzt.

Auch der Klassenkampf findet seinen Platz in dem zweistündigen Abend. Achill bringt seinen Diener nicht ohne Grund um. Thersites hatte dessen Liebe zu Penthesilea zuvor durchschaut und ihn gedrängt, dennoch zum Schwert zu greifen. Nur so könne der Krieg endlich ein Ende finden. Die Liebenden sind, so betrachtet, nicht die Helden des Stücks, die ihr reines Begehren gegen die Gesetze des Krieges in Schutz nehmen. Sie bilden – im Gegenteil – eine höhere Kaste, deren Schwärmerei das Elend des Fußvolks auf dem Schlachtfeld verlängert. Bei diesem Gedanken wäre man gerne noch etwas länger geblieben, aber dann reißt die Regie den Plot wieder an sich und gibt sich erneut der Action hin. Da schwingen dann Nizharadze und Harder an Seilen über die Bühne, treten, schlagen und küssen einander. Wie der selige Thersites ist man ein bisschen froh, wenn sie sich endlich mit Kunstblut bewerfen.

Nächste Vorstellungen: 7., 8. und 28. März
www.deutschestheater.de

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