Siegen wird am Ende die Rechte

30 Millionen Polen wählen am Sonntag ein neues Parlament / Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Bürgerplattform und Kaczynskis PiS / Linke ohne Chance

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 5 Min.
24 Stunden vor dem morgigen Urnengang herrscht zwischen Oder und Bug die gesetzmäßig angeordnete politische Stille. Der Wahlkampf zuvor war ebenso kurz wie schrill.

Eine vorausgesagte fast 60-prozentige Wahlbeteiligung scheint Wunschdenken angesichts der Quoten bei fünf Sejm- und Senatswahlen seit 1990. Doch wie viele Politiker und Publizisten meinen, seien die Polen wie noch nie zuvor zur Stimmabgabe motiviert. Es soll nämlich eine »Entscheidungsschlacht« zwischen der III. und der IV. polnischen Republik geschlagen werden, wie Jacek Zakowski in »Polityka« und die Publizisten der »Gazeta Wyborcza« schrieben. Der diesjährige Wahlgang sei ihrer Meinung nach noch wichtiger als die Juni-Wahlen 1989, als nach dem zwischen Februar und April abgehaltenen »Runden Tisch« das »kommunistische Regime« mit der »demokratischen Opposition« in halbwegs freien Wahlen konfrontiert wurde und die »Solidarnosc« in dem ihr zugestandenen politischen Raum haushoch gewann.

Die im Wahlkampf von allen Akteuren des politischen Theaters strapazierte Losung »III. oder IV. Republik« ist jedoch im Grunde genommen eine große Mystifizierung. Auf der Zielgraden geht es beim Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) und der »Bürgerplattform« (PO) keineswegs um echte gesellschaftspolitische Alternativen. Vielmehr ist es so, dass zwei Rechtsparteien mit differenzierten Vorstellungen von der kapitalistischen Gesellschaft im Clinch liegen.

Beide sind auf die Maximierung der Profite, auf die Ausbeutung der Werktätigen eingeschworen. Die PO, radikal neoliberal eingestellt, sagt das fast offen, die PiS dagegen beschwört populistisch den »armen Mann«, dem sie unter die Arme greifen will. Sie beabsichtigt, mit einem alles kontrollierenden Staat den Einfluss der bisherigen Eliten in Wirtschaft und Politik zu begrenzen oder gar ganz zu liquidieren, um eigene Seilschaften zu etablieren. So gesehen ist es bei allem Gerede über die Demokratie und bei der unaufhörlichen Strapazierung national-christlicher oder humanistischer Werte durchaus ein Machtkampf. Weltanschauliche, ideologische Differenzen zwischen den rechten Matadoren sind da nur oberflächlich und zweitrangig.

Zwar redet man dem Wahlvolk ein, dass die Abwahl der Kaczynski-Partei der Rettung der Demokratie gleichkomme. Aber alle Institutionen, die angeblich die IV. Republik ausmachen – das verschärfte so genannte Lustrationsgesetz zur politischen Beerdigung der »Postkommune«, die Etablierung des Zentralen Antikorruptionsbüros mit seinen provokativen Arbeitsmethoden, der neue militärische Aufklärungs- und Abwehrdienst –, sind mit parlamentarischer Zustimmung der PO zustande gekommen. Wenn jetzt Tadeusz Mazowiecki, der erste nichtkommunistische Premier nach 1989, sagte, ein Sieg der PiS würde deren absolute Macht bedeuten, dann muss doch gefragt werden, ob es in der III. Republik so anders war. Und ob die damalige soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung von Millionen Menschen durch die Balcerowicz-Reformen es den Kaczynskis nicht allzu leicht gemacht hat, die populistische Trommel zu schlagen. Die Grundfesten der IV. Republik sind mit Hilfe der Parteien der III. Republik gelegt worden.

Außenpolitisch sitzen PiS und PO in einem Boot: absolute »Treue« zur imperialistischen Politik der Bush-Administration, »Ja« zur Kriegsbeteiligung in Irak und in Afghanistan. Und was die angeblich »sture Europapolitik« der gegenwärtigen Regierung betrifft, darf man nicht vergessen, dass es die PO (Jan Maria Rokita) war, die die Parole »Nizza oder Tod« in die Welt gesetzt hat. Die Kaczynskis hielten sich daran, und Lech K. konnte vom Lissaboner EU-Gipfel einen Erfolg melden.

Nicht nur dies scheinen die mit der PO sympathisierenden ausländischen Medien vergessen zu haben. Die beiden im Wahlkampf führenden Parteien entstammen derselben »Solidarnosc«-Wiege. Beide haben sich mehrmals verpuppt. Die PiS, aus dem ehemaligen »Zentrum Verständigung« (PC) und der »Christlich-Nationalen Vereinigung« (ZChN) sowie weiteren Kanapee-Parteien entstanden, war an fünf »Solidarnosc«-Regierungen teilweise ebenso beteiligt wie die aus Politikern des »Demokratischen Kongresses« (KD), der Demokratischen und Freiheitsunion (DU–UW) sowie der Wahlaktion Solidarnosc (AWS) zusammengeschmiedete PO. Es waren und sind miteinander um die Macht ringende bürgerliche Kräfte, deren Klientel sich in bestimmten Punkten (Bildung, Stadt und Land, Besitz und Einkommen, Alter) unterscheidet.

Die im Regen stehende dritte Kraft, die Mitte-Links-Formation »Linke und Demokraten« (LiD), die als Wahlkoalition aus Demokratischem Linksbündnis (SLD), Sozialdemokraten (SDRP), der Union der Arbeit (UP) und den Demokraten (PL) antritt, hat zwar gute Chancen auf ein zweistelliges Ergebnis, wird derzeit aber weder von der PiS noch von der PO als möglicher Koalitionspartner gesehen. Als solcher gilt eher die PSL-Bauernpartei, die wohl wieder in den Sejm einziehen wird.

Nach den letzten Umfrageergebnissen haben dagegen die Samoobrona wie die Liga Polnische Rechte (LPR) schlechte Aussichten. Und auch die einzige linke Partei, die Polska Partia Pracy, die mit ihrer Losung »Dosc wyzysku« (Genug der Ausbeutung) die Interessen der Arbeiter repräsentiert, kann davon nur träumen. Das Rennen – so oder so – macht die Rechte. Nicht ausgeschlossen, dass sie sich auch etwas einfallen lässt, um gemeinsam zu regieren.


Zahlen und Fakten

• Im sechstgrößten EU-Land stimmen am Sonntag rund 30 Millionen Wahlberechtigte über ein neues Parlament ab. Für zwei Millionen emigrierte Polen wurden Spezialwahllokale eingerichtet.

• Fast 96 Prozent der Bevölkerung bekannten sich bei der Volkszählung 2002 zur polnischen Nationalität. 173 000 Bürger gelten als »Schlesier« (als Minderheit nicht anerkannt), 152 000 als Deutsche; hinzu kommen Belorussen, Ukrainer, Roma und Litauer. Eine Sejm-Vertretung haben mit zwei Sitzen nur die Deutschen, die von der Fünf-Prozent-Sperrklausel ausgenommen sind.

• Um die 460 Sitze im Sejm bewerben sich 58 000 Kandidaten von sieben Parteien, die in allen 41 Wahlkreisen des Landes mit ihren Listen vertreten sind. Weitere 4000 Kandidaten treten für Parteien an, die nur in einigen Wahlkreisen angemeldet sind. Bei der Wahl zur zweiten Kammer, dem Senat, bewerben sich etwa 1000 Kandidaten um 100 Mandate. Es gilt das Verhältniswahlrecht (D'Hondt-System).

• Die Wahlbeteiligung lag zuletzt bei 46 Prozent, den schlechtesten Wert gab es 2005 mit 40,5 Prozent. Davon profitierte vor allem die Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), die mit 26,99 Prozent stärkste Kraft (155 Mandate) und mit der Regierungsbildung betraut wurde. Die »Bürgerplattform« (PO) erreichte 24,14 Prozent (133 Sitze). Im Parlament waren außerdem vertreten: Samoobrona (11,41 Prozent), Demokratisches Linksbündnis SLD (11,31 Prozent), Liga Polnischer Familien (7,97 Prozent) und PSL-Bauerspartei (6,96 Prozent).

• Die genannten Parteien treten auch am Sonntag an, wobei das SLD gemeinsam mit den Sozialdemokraten (SDRP), der Union der Arbeit (UP) und den Demokraten (PL) die Wahlkoalition »Linke und Demokraten« (LiD) bildet. Daneben bewerben sich in diesem Jahr noch die Polska Partia Pracy (auf der Basis der Gewerkschaft Sierpien 89), eine Frauenpartei (PK) und die Partei der Rentner. Um den Wahlsieg kämpfen PiS und PO; die LiD peilt Rang drei an, für den auch der PSL-Bauernpartei Chancen eingeräumt werden. JB

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