Hannah Gadsbys »Gender Agenda«: Spezieller Content

Ist die diverse Comedy-Show »Gender Agenda« auf Netflix nur ein Feigenblatt für den homophoben Rest, der sonst so läuft?

  • Paula Irmschler
  • Lesedauer: 5 Min.
Die richtigen Leute beim falschen Anbieter. Aber ohne Streamingkanal auch keine große Bühne. Es ist vernetflixt.
Die richtigen Leute beim falschen Anbieter. Aber ohne Streamingkanal auch keine große Bühne. Es ist vernetflixt.

Als 2021 Dave Chappelles Special »The Closer« auf Netflix erschien, war einiges los. Einerseits war der US-amerikanische Comedian damit sehr erfolgreich, andererseits zog es viel Kritik und sogar Proteste von Netflix-Mitarbeiter*innen nach sich. Der Grund: Es war sehr schlecht. Nein, leider war nicht nur das der Grund, auch wenn es wahr ist. Das Ding war voller (schlechter) Witze über trans Menschen.

Es ist mittlerweile ein gängiges Mittel von Menschen, die patriarchale Verhältnisse um jeden Preis aufrechterhalten wollen: Sie nähren den Mythos, dass Queer- und Trans-Sein Mainstream sei und sie (mittlerweile?) die Minderheit. Jede Person, die nur fünf Minuten am Tag in der realen Welt verbringt, weiß natürlich, dass das unendlich weit von der Wahrheit entfernt ist, auch keine Statistik dieser Welt stützt diese Behauptung. Nur Menschen, die sich verschanzt und verbubbelt haben und ein paar rechten Meme-Seiten im Internet folgen, können auf diese Idee kommen, so zum Beispiel Chappelle und sein Comedy-Bruder Louis C. K., bei dem die Witze mittlerweile gänzlich der Hängengebliebenheit gewichen sind. So sagen diese Typen nun auf der mittlerweile größten Bühne für Stand-upper, die es gibt (eben Netflix), was man heutzutage nicht mehr sagen darf.

Andere Leute kritisieren das dann – und Kritik, so lernen wir seit Jahren von diesen Drama-Kings, ist quasi wie Knast. Und andere Leute kritisieren nicht nur – nein, sie wollen selbst auf Bühnen stehen, wollen selbst von ihren Lebensrealitäten erzählen. Sie wollen sich dagegen wehren, dass ihre Identitäten und Existenzen infrage gestellt oder ihnen direkt abgesprochen werden. Denn es gibt einen Unterschied, ob man für ein paar schlechte Witze kritisiert wird oder ob man angegriffen, bedroht oder, ja, sogar getötet wird, einfach nur, weil man ist, wie man ist. Etwas, das trans Menschen leider tatsächlich passiert – oder wie es eine der demonstrierenden Mitarbeiter*innen von Netflix während der Proteste sagte: »Trans lives are not a joke.«

Dass trans Menschen deswegen nicht unlustig sind, dass ihre Leben selbstverständlich voller Humor sind, braucht keinen Beweis. Sehen kann man es aber aktuell mal wieder – dank des Specials »Gender Agenda«, das Hannah Gadsby (der Durchbruch kam 2018 mit dem Special »Nanette«) kuratiert und moderiert hat. Dabei wirkt Gadsby nicht mal besonders stolz darauf, nein, eher zynisch, traurig und unsicher. Der Grund: Eigentlich wollte Gadsby mit dieser ganzen Chappelle-Netflix-Diversity-Diskussion nichts zu tun haben, wurde dort aber durch den CEO Ted Sarandos einfach reingezogen. Der nannte nämlich Gadsbys Namen, um den Kritikern zu beweisen, dass Netflix doch voll divers ist.

Gadsby ist bis heute wütend darüber und will kein Feigenblatt sein. Dadurch entstand dieser schlaue Move: Bei »Gender Agenda« wurden sieben junge queere und/oder trans Menschen versammelt, und zwar: Mx. Dahlia Belle, Jes Tom, Asha Ward, DeAnne Smith, Chloe Petts, Krishna Istha und ALOK. Statt also ein weiteres Solo-Special beizusteuern, teilt Gadsby die Bühne, fächert auf, verwehrt sich dem Umstand, weiterhin das einzige Diversity-Testimonial zu sein. Gadsby weiß, dass eine Person niemals eine so große Gruppe repräsentieren könnte, stellt dar, dass die Community eigentlich Communitys sind – und oft auch nur Einzelne, sogar Einsame – und sicher nicht das, was Chapelle und Konsorten in sie projizieren wollen. So könnten es alle machen: Bühnen teilen, unterschiedliche Realitäten darstellen, Vielfalt zelebrieren. Aber so mancher will eben nichts anderes als eine alte, starre Welt erhalten.

»Last time Netflix brought this many trans people together was for a protest« (Das letzte Mal, als Netflix so viele trans Menschen zusammenbrachte, ging es um Protest), scherzt Gadsby und leitet damit eine Stunde voller origineller Witze ein, von unterschiedlichen jungen Menschen, die über Hormone, Körper, über den Hass, den sie erleben, über Dating, Herkunft, Drogen scherzen, über alles, was eben ihre Realität ist.

Rache ist das alles aber nicht, dafür ist es viel zu wholesome, selbstbewusst und fast niemals zynisch. Dieses Potpourri lustiger Leute ist so divers, wie sie die Comedy-Keller dieser Tage in jeder größeren Stadt sind. Alles normal, alles schön, alles lustig, alles gut? Ein Geschmäckle hat das Ganze schon, und ein bisschen fühlt sich dieses Special nach den Nummern der letzten Jahre wie ein Pakt mit dem Teufel an.

Das weiß Gadsby selbst und wirkt während der Zwischenmoderationen dementsprechend nur halb überzeugt. Für Netflix ist das alles natürlich Win-win. Auf allen Seiten werden Zuschauer*innen eingeheimst und damit Kohle gemacht. Die Kritik am Konzern wird einfach selbst kapitalisiert, indem man den schärfsten Kritiker*innen eine Plattform gibt – ohne die konservativen Heinis fallen zu lassen oder zu rügen. Es läuft alles parallel, es beflügelt sich. Jede*r will wissen, was die jeweils andere Seite jetzt wieder Irres gesagt hat. Reaktionär, progressiv, scheißegal.

»Gender Agenda« ist vielleicht eine Art Pflaster, ja, und auch Genugtuung – darüber hinaus ist es aber auch großartige Comedy. Unter den Youtube-Trailern zu dem Special schäumen rechte, misogyne und transhassende Vollidioten vor Wut, und das, obwohl es eher harmlos geworden ist – oft wurden Konservative gar nicht adressiert (vermutlich haben sie es sich sowieso nicht angesehen, allein die Existenz dieser Menschen stört sie ja).

Es ist offensichtlich noch ein sauweiter Weg und vielleicht muss man aufhören, Leute mitnehmen zu wollen, die sich sowieso nicht mitnehmen lassen wollen. »It won’t fix it, it’s not enough« (Es wird nicht reichen, es ist nicht genug), konstatiert Gadsby. Aber eben auch: »We need content too.« Man möchte ergänzen: Selbst sollten wir aber unbedingt mehr sein wollen als Content für große Konzerne.

Verfügbar auf Netflix.

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