Ehemaliger Landrat wird nach Ahrflut nicht angeklagt

Staatsanwalt: »Nicht unsere Aufgabe, moralische Werturteile abzugeben«

Mario Mannweiler, Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Koblenz, bei der Pressekonferenz zur Einstellung der Ermittlungen.
Mario Mannweiler, Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Koblenz, bei der Pressekonferenz zur Einstellung der Ermittlungen.

Fast zwei Stunden hat Mario Mannweiler am Donnerstagmittag gesprochen. Mannweiler ist Leitender Oberstaatsanwalt in Koblenz und er hatte eine Botschaft zu überbringen, die für sehr viele Menschen unverständlich ist. Die Staatsanwaltschaft stellt die Strafverfahren gegen den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler und den Leiter der Technischen Einsatzleitung ein. Es ist keine Anklageerhebung geplant. Dabei ist klar, dass der Katastrophenschutz im Ahrtal in der Flutnacht an zahlreichen Stellen versagt hat.

Bevor der Oberstaatsanwalt in seinen Vortrag einsteigt, bittet er um Verständnis. Man wisse um das »Leid« und die »Traumatisierung« der Betroffenen, habe großes Verständnis für ihre Frage nach den Verantwortlichen für die Katastrophe mit 135 Toten allein im Ahrtal. Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft sei es aber, eine »rein strafrechtliche Überprüfung« vorzunehmen. Dabei gehe es um individuelle Schuld und nicht etwa um die Strukturen des Katastrophenschutzes. Dieser Aufgabe habe man sich »emotionslos, objektiv und nüchtern« gestellt. Es sei nicht »Aufgabe der Staatsanwaltschaft, ein moralisches Werturteil abzugeben«.

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Mannweiler erklärt, man habe drei wesentliche Punkte überprüfen müssen: generelle Verantwortlichkeit, mögliche Fahrlässigkeit und sich daraus ergebende Kausalitäten. Für die Prüfung habe man Szenarien entwickelt, die von einer kompletten Evakuierung des Tals, bis zur besseren Nutzung der Warninfrastruktur gereicht haben. Die Ergebnisse oft eindeutig, aber fraglich, ob sie umsetzbar gewesen wären. Bei einer Evakuierung hätte niemand sterben müssen, führt der Staatsanwalt aus. Dafür hätte man aber einen erheblichen Vorlauf gebraucht. Der sei nicht gegeben gewesen, das Ausmaß der »Naturkatastrophe« sei allgemein unterschätzt worden.

Ein weiteres Beispiel dafür: Noch am späten Flutabend hätten Einsatzkräfte Menschen vom Ufer der Ahr vertreiben müssen, die nach der Flut schauen wollten. Bessere Warnungen, so die These des Staatsanwalts, hätten bei einigen möglicherweise nicht gewirkt. Deswegen sei schwer zu bewerten, was die Einsatzzentrale hätte verhindern können. Versäumnisse seien an vielen Stellen erkennbar. Aber für seine Behörde gälte die Frage nach der strafrechtlichen Relevanz. Diese müsse negativ beantwortet werden, so Mannweiler.

Bei Angehörigen von Flutopfern und Bewohnern des Ahrtals sorgt die Entscheidung für Fassungslosigkeit. Schon am Mittwoch hatten sie ihre Kritik an der Staatsanwaltschaft formuliert. Diese sei befangen und habe potenziellen Nebenkläger*innen keine ausreichende Akteneinsicht gewährt. Ein weiterer Kritikpunkt: Ein Gutachten zum Katastrophenschutz, das die Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben hatte, gilt als unzureichend und wurde deshalb schon im Untersuchungsausschuss des Landtages bemängelt. Die Staatsanwaltschaft stützte sich jetzt auch auf dieses Gutachten.

Für eine strafrechtliche Aufarbeitung der Flut bleibt den Betroffenen jetzt noch ein Klageerzwingungsverfahren. Die Generalstaatsanwaltschaft sieht sich in diesem Fall die Akten noch einmal genau an und kann die Staatsanwaltschaft dazu anweisen, Anklage zu erheben.

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