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»Pudels Kern«: Als Tobias zum King wurde

Wie wird man erwachsen, ohne blöd zu werden? Mit »Pudels Kern« erzählt Rocko Schamoni seinen Erfolgsroman »Dorfpunks« weiter

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 4 Min.

Lütjenburg, 1986: Der 19-jährige Tobias Albrecht hat soeben seine Lehre als Keramiker beendet. Statt sich aber in der beschaulichen Kleinstadt an der westlichen Küste Schleswig-Holsteins nach einer Festanstellung umzusehen, steht nun das an, wonach er sich bereits seit Jahren gesehnt hat: Das Verlassen des Elternhauses und der Umzug nach Hamburg – die pulsierende, weniger geografisch als vielmehr kulturell ferne Metropole an der nördlichen Elbe.

Der Sog der Großstadt, den er spürt, als er ankommt. Da ist etwa Uta, die er bereits vom Land kennt, und mit der er seine erste, selbstredend schäbige Wohnung bezieht. Oder Frenchy, seine Geliebte, die ebenfalls aus Lütjenburg stammt und bereits einige Zeit vor ihm den Absprung aus der Provinz geschafft hat. Und dann wäre da noch Schorsch Kamerun, Sänger der bereits damals legendären Goldenen Zitronen, der ebenfalls von der Küste kommt und der schon nach kurzer Zeit zu einem treuen Wegbegleiter wird, und mit dem er später den Pudel Club eröffnen wird. Wie eine emsige Hausspinne baut sich Tobias innerhalb kurzer Zeit ein belastbares Netz auf. Statt wehrloser Insekten verfangen sich darin Erlebnisse, Eindrücke, Bekanntschaften und Abenteuer. Sie werden in jenen Jahren zu seiner Grundnahrung.

20 Jahre nach »Dorfpunks« knüpft Rocko Schamoni mit seinem neuen Buch »Pudels Kern« an seinen damaligen literarischen Überraschungserfolg an und erzählt mit viel Witz und zugleich großer Ernsthaftigkeit, wie aus Tobias in jenen Jahren Rocko wurde. So schreibt er über das Hamburger Nachtleben jener Zeit, den Beginn seiner Laufbahn als Musiker und Künstler, flüchtige und enge Bekanntschaften mit Akteuren wie den Toten Hosen oder den Einstürzenden Neubauten, über aufreibende Tourneen und exzessiven Drogenkonsum, höchste Höhen und tiefste Tiefen. Dabei verschont Schamoni niemanden, weder andere noch sich selbst.

Besonders spannend lesen sich Schamonis Ausführungen über seinen Kurzausflug ins Epizentrum der Kulturindustrie. Denn nachdem die damaligen Berliner Teenie-Idole Die Ärzte im Jahr 1988 ihren Abschied von der Bühne bekannt gegeben hatten (und dies dann keine fünf Jahre später schon wieder zurücknahmen), wurde ausgerechnet Schamoni von der damals mächtigen Plattenfirma Polydor samt ihres aufstrebenden Managers Tim Renner auserkoren, das entstandene Vakuum zu füllen. So wurde kurzerhand ein finanziell üppig ausgestatteter Deal unterschrieben, der Schamoni für zwei Alben an die Firma band. Doch bereits sein 1990er-Album »Jeans und Elektronik« blieb weit hinter den kommerziellen Erwartungen zurück, genauso wie das ein Jahr darauf veröffentlichte »Disco«.

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Schonungslos beschreibt Schamoni seine innere Achterbahnfahrt: Denn einerseits träumt er von einer Karriere als Musiker. Andererseits fürchtet er die Erwartungen der Außenwelt, die ihn als Künstler zu korrumpieren drohen. Und so überwiegt am Ende die Freude, als Polydor ihn schließlich wie eine heiße Kartoffel fallen lässt und er wieder sanft im Schoß seiner Clique und Szene landet.

Konsequent setzt Schamoni im Laufe des Buches seinen in den vergangenen Jahren mit Werken wie »Fünf Löcher im Himmel« oder »Große Freiheit« eingeschlagenen Weg fort und verknüpft den humoristischen Unterhaltungsstil seiner frühen Bücher mit Einblicken in sein mitunter abgründiges Seelenleben. So schreibt er in »Pudels Kern« derart offen wie vielleicht noch nie über wiederkehrende Depressionen, tiefsitzende Selbstzweifel, regelmäßigen Kontrollverlust im Drogenrausch und lange Gesprächstherapien, die sich als Kehrseite seines exzessiven Lebensstils herauskristallisieren. Ausführlich schreibt er dabei über den schwierigen Prozess des Erwachsenwerdens, berichtet von Irrwegen und Erlösungsfantasien, von Kunst, Rausch, Spiritualität und der Erkenntnis, dass homosoziale Männergruppen Teil seines Problems sind.

Das alles hat man inhaltlich so ähnlich schon oft gelesen in den vergangenen 30 Jahren. Wer möchte, kann das Buch daher als ein weiteres autofiktionales Coming-of-Age-Werk unter vielen betrachten. Doch wird man unter ihnen nur wenige Bücher finden, in denen die Klaviatur des Tragischen und Komischen so perfekt bespielt und synthetisiert wird wie hier. Wer nach guter und kurzweiliger Unterhaltung sucht, ist daher auch anno 2024 gut aufgehoben bei Rocko Schamoni.

Rocko Schamoni: Pudels Kern. Hanserblau, 304 S., geb., 24,30 €.

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