Susanne Kennedy: Blick ins Hamsterrad

Mit »The Work« kreiert Susanne Kennedy an der Berliner Volksbühne eine Retrospektive ihrer bisherigen Arbeitenfür ein postindividuelles Theater

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
Einmal mehr erweist sich Susanne Kennedy als Meisterin des artifiziellen Bühnentableaus.
Einmal mehr erweist sich Susanne Kennedy als Meisterin des artifiziellen Bühnentableaus.

Wer steht da auf der Bühne? Diese Frage lässt Susanne Kennedy seit vielen Jahren ungeklärt. Ihre Darsteller tragen Latexmasken, sind kaum voneinander zu unterscheiden, ihre Texte kommen vom Band, sie bewegen nur die Lippen synchron zur Aufnahme. Auch wenn Kennedy in ihren Settings immer wieder von herausragenden, mithin geradezu messianischen Persönlichkeiten erzählt, hat sie keinen Sinn für das Individuum.

Sie ist nicht am Einzelschicksal interessiert und auch nicht an der Figur und ihrer Ausdeutung. In ihren Settings rücken Sprechtext und Aktion stattdessen in weite Ferne, in die Abstraktion. Das Klein-Klein des Kanons wie der Gegenwartsdramatik – all die Intrigen, die spezifischen Motivationen für spezifische Handlungen, die Katastrophen und politischen Statements –, all das interessiert sie nicht. Bei ihr geht es ums Ganze, um Themen wie den Tod, das Leben, das Sein oder die Zeit. Wenn überhaupt bei ihr etwas ganz unmittelbar zur Darstellung gebracht wird, dann ist es eine Gattung, die sich auch ein paar Hunderttausend Jahre nach dem Erwachen ihres Bewusstseins nicht zurechtfindet in der Welt mit ihren Gesetzmäßigkeiten.

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Nun kam am Donnerstag ihre neue Produktion an der Berliner Volksbühne heraus. »The Work« entstand einmal mehr in Kooperation mit dem Multimedia-Künstler Markus Selg. Zu erleben ist eine doppelte Retrospektive. Zum einen nimmt »The Work« Elemente aus früheren Produktionen Kennedys wieder auf, zum anderen geht es in der gewohnt lose erzählten Handlung um eine Künstlerin, die auf ihr Werk und ihr Leben zurückblickt.

In der ersten Szene interviewt ein Journalist diese Frau mit Namen Xenia. Man ist zunächst geneigt, in ihr auch ein Alter Ego der Regisseurin zu erkennen, zumal der Journalist ihr einige Fragen stellt, die an jene Kritiker Kennedys erinnern, die lediglich sehr teure Esoterik in ihren Bühnentableaus erkennen wollen. Ab und zu brandet, wie bei einer Sitcom, Publikumsgelächter vom Band auf. Im tatsächlichen Publikum regt sich derweil Vorfreude, denn das könnte ein sehr unterhaltsamer Ansatz sein: wenn Kennedy und Selg den Humor, der in ihren spirituell inspirierten Arbeiten immer auch steckt, auf sich bezögen, wenn sie sich also in dieser Retrospektive souverän über sich selbst lustig machen würden.

Der Spaß ist dann aber schnell wieder vorbei, als der Kritiker dazu einlädt, Xenias Arbeit nun einmal von Nahem zu betrachten. Das Publikum tritt jetzt in Xenias Unbewusstes ein, entert die Bühne und bewegt sich frei durch ein Ensemble aus Bauten und Videoinstallationen, die man teils auch schon aus früheren Arbeiten von Selg und Kennedy kennt. Eine Stele mit leuchtenden psychedelischen Mustern hängt über der Bühne. In einem futuristisch kühl eingerichteten Wohnzimmer sitzt eine Gestalt mit Maske auf einem Sofa und beobachtet die Zuschauer um sie herum. Auf einem Video fliegt ein Drache über ein sich endlos drehendes Rad. Man fühlt sich an das sprichwörtliche Hamsterrad erinnert, nur sehr existenziell verstanden: das Leben als ewiger Kreislauf.

Die kleinen Szenen, die das Ensemble inmitten der Menge spielt, behandeln traumatische Kindheitserinnerungen, Schulderfahrungen und das Aufwachsen Xenias als Frau. In einer Hütte windet sie sich in Todesqualen auf einem Bett, neben ihr sitzt strickend eine Greisin. Der Verdacht, dass es nicht die Mutter der Sterbenden ist, sondern die Todgeweihte selbst, liegt durchaus nahe.

Immer wieder geht es in der eineinhalbstündigen Produktion um Übergänge. Eine Person und eine andere, Vergangenheit und Gegenwart, früheres und jetziges Ich – das sind hier keine starren Gegensätze, keine klar voneinander abgrenzbaren Entitäten oder Begriffe. Stattdessen befindet sich alles im Fluss. Es verwundert in dem Sinne auch nicht, dass schließlich Xenia ebenso stirbt wie sie zugleich auch neu geboren wird. Die Darsteller greifen sich in ihre Hosen und ziehen blutverschmierte Figuren Xenias aus ihren Unterleibern hervor.

Zu bemerken ist derweil ein seltsamer Effekt. Von Nahem betrachtet, sind diese Gestalten mit ihren Masken immer noch sehr rätselhaft, dabei aber deutlich weniger interessant als aus der Ferne. Schon bald verliert man das Interesse an ihnen und Xenias Schicksal.

Als Blick in den Maschinenraum, in dem Kennedy und Selg an ihren alternativen Weltentwürfen basteln, ist diese Retrospektive insofern durchaus gelungen. Als eigenständige Inszenierung aber fällt »The Work« im Vergleich mit früheren Arbeiten an der Volksbühne wie »Women in trouble« oder »Jessica« deutlich ab.

Nächste Vorstellungen: 19., 20. Juni und 3. Juli
www.volksbuehne.berlin

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