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Auf ein Glas mit dem Chef
Eröffnung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg: Brecht’sche Klassenanalyse trifft auf ökologische Gesetzesentsorgung und Dada-Pionier Kurt Schwitters
Was für ein Kerl, dieser Puntila! Berstend vor Energie, exzessiv, impulsiv, kein Blatt vorm Mund, übergriffig auch in seiner gar nicht seltenen Leutseligkeit! Aber ein Mann mit Herz – was er selbst sehr wichtig findet. Dass er nur Leute einstellt, die auch Humor haben, lässt er uns wissen. Während sein Chauffeur Matti Puntilas Angestellte eher als Elendsgestalten beschreibt. Dabei zeigt auch Puntila selbst deutliche Verfallserscheinungen, nicht nur geistig. Das lange Haar ist schütter, eine Tendenz zur Verwahrlosung unverkennbar. Vielleicht doch einer von gestern?
Brechts berühmter Gutsbesitzer ist schon im Prolog als zumindest weitgehend ausgestorbene Gattung vorgestellt worden. Er ist kein klassischer Kapitalist, aber gleichwohl ein knallharter Ausbeuter. Er ist so eigensinnig, dass es schon eine konzertierte Intervention von Adel, Klerus und Militär braucht, um ihn zur Raison zu bringen und den Kommunisten Surkala zu entlassen. Er ist damit vielleicht ein Prototyp pöbelnder Populisten von heute.
Regisseurin Karin Beier, Intendantin des gerade von »Theater heute« und »Die deutsche Bühne« zum Theater des Jahres gekürten Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, und Dramaturgin Judith Gerstenberg haben für die Inszenierung von »Herr Puntila und sein Knecht Matti« an Brechts Vorlage eher wenig geändert. Ein paar Fingerzeige aufs Heute haben sie sorgfältig dosiert aufgeträufelt – und ein Ende kreiert, das dann doch einen Unterschied ums Ganze macht. Die Spielzeit mit Brecht zu eröffnen, ist natürlich schon eine Ansage.
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Um Schauspieler wie Joachim Meyerhoff, Lilith Stangenberg oder Kristof Van Boven zum Glänzen zu bringen, braucht es schließlich keinen Klassenkampf. Was also kann dieser Stoff aus dem Jahr 1940, als die Faschisten dieser Welt auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren, heute bringen?
Zur Erinnerung: Besagter Puntila (Meyerhoff) ist ein finnischer Gutsbesitzer, der im Hauptberuf Land und Leute ausbeutet und ansonsten seine Tochter Eva (Stangenberg) an den Mann bringen will. Mit Gewinn, versteht sich. Weil seine Lage zwar materiell, aber offenbar seelisch nicht befriedigend ist, ergibt er sich regelmäßig der Transzendenz des Alkohols. Dann gibt er sich als Menschenfreund, will sogar einen Kommunisten in sich entdecken. Es soll nicht mehr der Attaché seine Tochter heiraten, sondern Chauffeur Matti (Van Boven), der aber stellt fest: Eva kann den Ansprüchen einer proletarischen Hausfrau nicht genügen.
Nach der missratenen Hochzeitsfeier versucht der nüchterne Puntila die Dinge wieder ins Lot zu bringen, betrinkt sich dabei aber dann doch wieder. Während bei Brecht der Knecht Matti das Delirium Puntilas ausnutzt, um sich zu verdrücken – es wird sich ja doch nichts ändern –, zieht er sich bei Beier in den Wohnwagen zurück, der am Rand der ziemlich desolaten Spielfläche (Bühne: Johannes Schütz) steht. »Es regnet«, sagt er leise, bevor er die Tür schließt und sich zu den Musikern Jakob Neubauer (Akkordeon) und Vlatko Kučan (Klarinette) gesellt, die den Abend mit traurigen Liedern grundiert haben. Zauberhaft gesungen übrigens von Josef Ostendorf.
Die schon den ganzen Abend drohend über der Szene hängenden dunklen Wolken, vor denen sich manchmal Schwärme schwarzer Vögel in die Luft erheben (Video: Severin Renke), manchmal Schneestürme toben, tun ihre Arbeit. Dunkle Sounds, martialische Sprechchöre, Fetzen von Rundfunkansprachen im Hintergrund beschwören Unheil herauf, aber an den Zuständen ändert sich ja doch nichts.
Ein zutiefst pessimistischer Schluss, der raunt: Von diesem Volk ist kein praktischer Einwand gegen den Klassengegensatz zu erwarten. Und damit auch kein Widerstand gegen den Faschismus. Die AfD errang am Tag der Premiere bei den Landtagswahlen in Brandenburg den zweiten Platz, sehr knapp hinter der SPD.
Und da ist – neben einer eindrucksvollen Ensemblearbeit – sogar noch ein bisschen mehr zu holen: Hier geht es nicht nur um Klasse, es ist bekanntlich auch »a man’s world«. Die diversen Nebenfiguren des Stücks, vom Attaché bis zu den von Puntila per Heiratsversprechen aufs Gut gelockten Arbeiterinnen geben hier Josef Ostendorf, Jan-Peter Kampwirth, Maximilian Scheidt und Michael Wittenborn, also durch die Bank Männer in den Kostümen von Wicke Naujoks.
Allein Eva wird von einer Frau gespielt. Sie möchte dieser tristen, brutalen Welt entkommen, in der auch sie nur als Manövriermasse für Puntila vorkommt. Aber weder eine standesgemäße Heirat noch Matti können ihr helfen. Was an den Verhältnissen liegt, die – irgendjemand sagt es auch an diesem Abend – nun einmal nicht so sind. Da hilft auch die Waldorf-Schule in Brüssel nicht, die ihr in dieser Fassung zuteil wird. Es ist leider etwas dran an dem Bonmot des gerade verstorbenen Kulturtheoretikers Frederic Jameson, der einmal sagte, es sei einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.
Eröffnet hatte das Schauspielhaus die Spielzeit derweil schon an den beiden vorangegangenen Abenden mit zwei interessanten, übrigens nicht gar so pessimistischen Premieren, beide im Malersaal im Keller des Hauses. Selbigen hat die Künstlerin Julia Oschatz mitsamt Entrée zur »Realnische 0« gestaltet, die nun eine Spielzeit lang auch als Bühnenbild für Inszenierungen jenseits klassischer Theaterformen dienen soll.
Am Freitag erörterten Ute Hannig und Samuel Weiss dort die Frage, ob der Klimakatastrophe beizukommen ist, indem die Natur und ihre Teile zum Rechtssubjekt werden. Das Grundgesetz bekommt man gleich zu Beginn in die Hand, es wird an diesem Abend Gegenstand einiger juristischer Erläuterungen und Ergänzungen.
»Gesetze schreddern. Eine klimagerechte Entsorgung des deutschen Grundgesetzes« von Kevin Rittberger, der auch die Regie übernommen hat, kommt als Mischung aus Video, weiser Poesie und präzise getaktetem Politkabarett daher. Weiss als Ex-Verfassungsrichter Mustermann führt in die Möglichkeiten eines Rechts für ökologische Subjekte ein. Ute Hannig ist vor allem als Vertraute der mediterranen Pottwale zu erleben, die sich von dem Energiemulti ein neues Habitat vor der maltesischen Küste abhandeln lassen. Zwar dreht Rittbergers Abend vielleicht ein paar gedankliche Windungen mehr, als nottäte, aber er ist ein hübsch versponnener, pointierter Beitrag zur Klimadiskussion.
Am Samstag feierte dann am gleichen Ort mit leicht umarrangiertem Bühnenbild »Zusammenstoß« von Kurt Schwitters und Käthe Steinitz Premiere. Mit einem tollen Ensemble (Matti Krause, Carlo Ljubek, Sasha Rau, Angelika Richter) in hinreißenden Kostümen (Elena Scheicher) lässt Regisseurin Naemi Friedmann die mit dadaistischem Gestus erzählte Geschichte einer drohenden Apokalypse abschnurren. Auch das ist durchaus einen Abstecher ans Theater des Jahres wert.
Nächste Vorstellungen »Herr Puntila und sein Kecht Matti« – 27.9., 3. und 10.10.; »Gesetze schreddern« – 5., 11. und 17.10.; »Zusammenstoß« – 28.9 und 6.10.
www.schauspielhaus.de
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