Behandlung von Migranten ohne Papiere: Versagen auf Rezept

Menschen ohne Papiere gehen bei einer medizinischen Behandlung weiter das Risiko ihrer Abschiebung ein

  • Anaïs Chamer, Navid Krüger, Henrik Lebuhn
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Jahren wird versucht, mit alternativen Strukturen zumindest eine grundlegende Versorgung für Menschen ohne Papiere zu sichern – hier bei der humanitären Sprechstunde im Gesundheitsamt in Frankfurt am Main.
Seit Jahren wird versucht, mit alternativen Strukturen zumindest eine grundlegende Versorgung für Menschen ohne Papiere zu sichern – hier bei der humanitären Sprechstunde im Gesundheitsamt in Frankfurt am Main.

In Deutschland sind Ärzt*innen und medizinisches Personal dem Wohl ihrer Patient*innen verpflichtet – doch für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus birgt der Gang ins Krankenhaus trotzdem ein besonderes Risiko. Die sogenannte Übermittlungspflicht nach Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetzes verpflichtet staatliche Stellen dazu, die Ausländerbehörde zu informieren, wenn sie Kenntnis von einem illegalen Aufenthalt erlangen. Viele Migrant*innen ohne Papiere gehen daher aus Angst vor Abschiebung nicht zum Arzt. Doch auch das medizinische Personal ist betroffen. Es kann die nötige Hilfe nicht leisten, ohne die Patient*innen in Gefahr zu bringen.

Die behördliche Übermittlungspflicht ist im internationalen Vergleich eine deutsche Besonderheit. Sie existiert seit Anfang der 90er Jahre und muss im Kontext der europäischen Abschottungspolitik und der fortschreitenden Einschränkung des Asylrechts verstanden werden. Undokumentierte Menschen oder solche mit unsicherem Aufenthaltsstatus bringt das in große Schwierigkeiten. Viele Behörden fragen im Alltag regelmäßig den Aufenthaltsstatus von Migrant*innen ab, auch wenn das im engeren Sinne gar nicht ihre Aufgabe ist. Während diese Problematik fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens trifft, so ist sie im Gesundheitssektor besonders brisant. Die behandelnden Ärzt*innen und Krankenhäuser sind zwar von der Übermittlungspflicht ausgenommen, nicht jedoch die Sozialämter, die die rechtlich zugesicherte Kostenübernahme für solche Behandlungen abwickeln.

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Wenn eine illegalisierte Person eine medizinische Notfallbehandlung in Anspruch nimmt, etwa in der Schwangerschaft oder nach einem Unfall, setzt sie sich automatisch dem Risiko aus, der Ausländerbehörde gemeldet zu werden. Denn kaum jemand ist in der Lage, die Behandlungskosten aus eigener Tasche zu zahlen. In größeren Städten wie Berlin gibt es zwar Anlaufstellen, die anonyme medizinische Behandlungen und Finanzierungen ermöglichen. Doch die Einrichtung von Parallelsystemen kann keine dauerhafte Lösung für die Bereitstellung einer Leistung sein, zu der sich die Bundesregierung mit dem Asylbewerberleistungsgesetz selbst verpflichtet hat.

Unter Berufung auf diesen Widerspruch zwischen Übermittlungspflicht und dem Recht auf Kostenübernahme bei Notfallbehandlungen gründete sich kurz vor der letzten Bundestagswahl die Kampagne »GleichBeHandeln«. Über 80 zivilgesellschaftliche Organisationen forderten gemeinsam, die Übermittlungspflicht im Gesundheitssektor abzuschaffen, darunter die Diakonie Deutschland, Amnesty International und Ärzte der Welt. Tatsächlich erreichte die Kampagne, dass zentrale Forderungen in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung übernommen wurden. Doch die Reform lässt auf sich warten.

Auch auf europäischer Ebene wird mit juristischen Mitteln versucht, die deutsche Übermittlungspflicht abzuschwächen und das Recht auf medizinische Versorgung zu stärken. So reichte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. Denn die Praxis der Übermittlungspflicht und die damit stark eingeschränkte Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere verstößt gegen den EU-Datenschutz und die EU-Grundrechte-Charta. Die Beschwerde wurde im August 2021 zu den Akten gelegt, da die Bundesregierung eine zügige Reform der Meldepflicht zugesichert hatte. Als diese nicht kam, reichte die GFF im April 2024 erneut Beschwerde bei der Kommission ein. Ein Urteil steht noch aus.

Unterdessen antwortete das Bundesinnenministerium im November 2023 auf eine Presseanfrage, dass »die Fragestellung sehr komplex ist, verschiedene Regelungskreise betrifft und hier einfache Lösungen nicht möglich sind«. Was zunächst einleuchtend klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung als absurd: Denn genau solch eine »einfache Lösung« in Form einer Ausnahmeregelung wurde für den Bildungssektor bereits 2011 verabschiedet, um papierlosen Kindern ihr Recht auf Bildung zu sichern. Darüber hinaus ist es erstaunlich, dass für die Änderung von Datenübermittlungsvorschriften im April 2024 das Aufenthaltsgesetz angepasst wurde, ohne jedoch die Übermittlungspflicht anzutasten.

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