• Berlin
  • Weihnachtsbäume in Werder (Havel)

Ein bisschen Frieden mit einer Fichte

Brandenburger Weihnachtsbaumsaison auf dem Tannenhof in Werder (Havel) eröffnet

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Diese Tanne geht als erster Weihnachtsbaum der Saison an das SOS-Kinderdorf Brandenburg.
Diese Tanne geht als erster Weihnachtsbaum der Saison an das SOS-Kinderdorf Brandenburg.

Die Bläser des brandenburgischen Landespolizeiorchesters tragen Uniform wie jeder Streifenbeamte. Die Männer sind aber nicht dafür ausgebildet, Verbrecher zu fangen und den Verkehr zu regeln. Es sind professionelle Musiker, die viele Stilrichtungen drauf haben, von Klassik bis Jazz. Zur Not spielt das Bläserensemble dann aber tatsächlich einen schmissigen Marsch – so am Freitagmorgen in Werder (Havel) die Hymne »Märkische Heide, märkischer Sand«. Heide und Sand sind nach Auffassung von Gustav Büchsenschütz (1902–1996), der dieses Lied komponierte und den Text verfasste, angeblich des Märkers Freude. Abgesehen von der politischen Dimension – es war Büchsenschütz in der Nazizeit eine Erwähnung wert, wie gern die SA zu diesen Klängen durch das Land stiefelte: Es fehlt der Melodie und dem Text an Niveau.

Besser als diese fürchterliche Marschmusik passt zum feierlichen Anlass das Weihnachtslied, bei dem das Bläserensemble sechs Jungen und Mädchen des SOS-Kinderdorfs Brandenburg begleitet. Die Kinder singen am Freitag: »O Tannenbaum, o Tannenbaum,/ dein Kleid will mich was lehren:/ Die Hoffnung und Beständigkeit/ gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit.«

Der erste Weihnachtsbaum des Jahres wird auf dem Tannenhof an der Lehniner Chaussee 11 für das SOS-Kinderdorf geschlagen – oder besser gesagt abgesägt, und zwar mit Hilfe der deutschen Weihnachtsbaumkönigin Sarah Neßhöver, die aus der Nähe von Köln anreiste, um hier wie vorher schon in einem anderen Bundesland die Saison zu eröffnen. Ihre Hoheit ist auf einer Weihnachtsbaumfarm aufgewachsen. Sie weiß, wie ein so früh geschlagener Weihnachtsbaum zu behandeln ist, damit er nicht schon vor dem Fest seine Nadeln verliert: kühl lagern in der Garage oder auf dem Balkon und alle zwei Tage frisches Wasser geben. Persönlich besorgt sich Neßhöver ihren Baum immer erst kurz vor dem 24. Dezember.

»Der echte Brandenburger stellt sich eine Kiefer ins Haus und sonst nichts.«

René Lehmann Verband Pro Agro

Trost und Kraft braucht es in einer Zeit der Kriege und Krisen. So verkauft der Gartenbauverband Berlin-Brandenburg den Weihnachtsbaum als »emotionalstes Naturprodukt, das wird kennen«, und als Symbol für Zusammenhalt und die Sehnsucht nach Frieden.

»Der echte Brandenburger stellt sich eine Kiefer ins Haus und sonst nichts«, meint René Lehmann von der Marketingorganisation Pro Agro. »Das ist Heimat, ein Stückchen Scholle, das ist Identität.« Wenn in einer gut 120 Jahre alten Erinnerung die Rede von Fichten ist, müsse man wissen, dass die Brandenburger früher auch zu ihrer landestypischen Kiefer Fichte sagten. In dieser Erinnerung aus der Region ist von einem Vater die Rede, der zum Fest zwei Fichten zur Auswahl aus dem Wald holt – und dabei aufpassen muss, dass ihn der Jäger nicht erwischt. Sprich: Der vermutlich arme Mann klaut sich seinen Weihnachtsbaum.

Ihren Kindern mit einem geschmückten Baum ein Leuchten in die Augen zu zaubern, fällt Eltern mit geringem Einkommen heute wieder nicht leicht. Der Tannenhof verlangt dieses Jahr 26 Euro je Meter. Im vergangenen Jahr waren es noch 24 Euro. »Für viele Familien in Brandenburg ist der Kauf des Baumes immer mehr eine Belastung als eine Freude«, weiß der Linke-Landesvorsitzende Sebastian Walter. »Die Preise steigen seit Jahren.« Kein Wunder bei der Inflation. Das sei »keine Lappalie, sondern auch eine soziale Frage«, sagt Walter. Löhne müssten steigen und Preise sinken. Tariftreue und mehr Mindestlohn sind die Stichworte, die der Politiker nennt.

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Auf dem Werderander Tannenhof stehen derzeit auf 60 Hektar 180 000 Bäume, darunter Nordmanntanne, Schwarzkiefer, Douglasie und Blaufichte. Besucher können sich hier ihren Weihnachtsbaum bei einem Spaziergang aussuchen. »Man kriegt eine Säge und marschiert los«, erklärt Inhaber Gerald Mai. Wem das Sägen zu beschwerlich oder lästig sei, der könne auch einen schon geschlagenen Baum kaufen. »Wir könnten uns in diesem Jahr wahrscheinlich Biobetrieb nennen«, erzählt Mai. Insektizide wurden nicht eingesetzt – normalerweise schon, wenn die Bäume im Frühjahr austreiben und von Läusen befallen werden. Doch da es diesmal nur wenige Exemplare erwischte, haben die Mitarbeiter diese einfach entnommen und auf Chemie verzichtet.

Die Ökobilanz eines Werderander Weihnachtsbaums ist besser als die eines Baums aus dem Baumarkt, der von weither antransportiert wurde, rühmt Klaus Hentschel, Präsident des Gartenbauverbands. Solange der Baum wachse, binde er CO2, setzte allerdings Kohlendioxid frei, wenn er nach dem Fest verbrannt wird. Das sei indes nicht zwingend nötig. Die Bäume könnten genauso gut kompostiert werden – und einige ausgediente Exemplare landen als Tierfutter in Zoos und werden dort von den Elefanten verspeist.

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