Höchste Präzision im Weltall

In der Schwerelosigkeit wird mit extrem kalten Quantengasen ein Teil der Relativitätstheorie überprüft

  • Dirk Eidemüller
  • Lesedauer: 5 Min.
Künstlerische Darstellung eines Sensors des »Cold Atom Laboratory« auf der Raumstation ISS
Künstlerische Darstellung eines Sensors des »Cold Atom Laboratory« auf der Raumstation ISS

In der Physik kann es niemals zu präzise zugehen. Grundlegende Fortschritte und wissenschaftliche Durchbrüche hat es in der Geschichte der Naturwissenschaft oft erst dann gegeben, wenn man dank neuer Messtechnik die althergebrachten Theorien eingehender prüfen konnte. Wenn sich dank der höheren Präzision dann eine Diskrepanz zur vorher als gültig erachteten Theorie ergab, war die Zeit reif für die nächste wissenschaftliche Revolution.

Die Jagd nach immer präziseren Messmethoden ist deshalb in der Physik geradezu ein Selbstzweck. Ein internationales Forschungsteam hat auf der Internationalen Raumstation ISS ein Experiment durchgeführt, das wegweisenden Charakter haben könnte. Denn mit dem Verfahren werden noch bessere Tests der Grundlagen von Einsteins Relativitätstheorie ebenso möglich wie etwa effizientere Sensoren für die Geodäsie, das heißt die Vermessung der Erde.

»Das Experiment auf der ISS drehte sich um die Erzeugung eines Gemisches aus zwei verschiedenen ultrakalten Quantengasen, die ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat bilden«, sagt Naceur Gaaloul, der als theoretischer Physiker an der Leibniz-Universität Hannover arbeitet und an den Versuchen und ihrer Auswertung mitgewirkt hat.

Dabei ist es außerordentlich schwierig, eine solche Mischung zu erzielen. »Auf der Erde war so eine Mischung schon geglückt, aber noch nie im Weltraum«, erklärt Gaaloul. Solche Experimente sind ziemlich komplex. Deshalb bestand das Team auch aus vielen Forscherinnen und Forschern aus mehreren amerikanischen und deutschen sowie einem französischen Institut. »Man braucht ein optisches System mit bestimmten Lasern, ein Vakuum- und ein Kühlsystem und einiges mehr«, so der Forscher. Auf der ISS gibt es nun seit ein paar Jahren das sogenannte »Cold Atom Laboratory«, das genau auf solche Versuche zugeschnitten ist. Damit hat das Team nun auch die Mischung zweier Quantengase demonstriert.

Theoretisch vorhergesagter Effekt

Zunächst wurden Kalium- und Rubidiumatome sehr tief abgekühlt, bis auf Bruchteile eines Grades über dem absoluten Temperatur-Nullpunkt. Bei derart tiefen Temperaturen geschieht nun ein eigenartiger quantenphysikalischer Effekt, der von Satyendranath Bose und Albert Einstein theoretisch vorhergesagt worden war: Da Atome zugleich Welle und Teilchen sind, besitzen sie auch eine Wellenlänge. Diese Wellenlänge ist nun umso größer, je kälter die Teilchen sind. Bei sehr tiefen Temperaturen überlappen sich diese Atomwellen, sodass die Atome in einen gemeinsamen Quantenzustand geraten und sich wie ein großes Kollektiv verhalten. Diesen besonderen Aggregatzustand nennt man Bose-Einstein-Kondensat. Technologisch ist das sehr interessant: Denn weil die Atome sich alle im selben Zustand befinden, eignen sich solche Kondensate hervorragend als hochempfindliche Quantensensoren.

Die Feder fällt im Vakuum genauso schnell wie der Hammer.

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Doch wozu benötigt man Kondensate aus zwei unterschiedlichen Atomsorten? Solche Mischungen sollen in Zukunft dazu dienen, eines der Grundprinzipien von Einsteins Relativitätstheorie zu testen. Das sogenannte Äquivalenzprinzip besagt, dass schwere und träge Masse letztlich ein und dasselbe sind. Dieses Prinzip bedeutet auch, dass im freien Fall alle Körper gleich stark beschleunigt werden – denn die träge Masse ist das, was der gravitativen, schweren Masse Widerstand entgegensetzt. Sind beide identisch, kürzen sie sich gegenseitig aus der Gravitationsgleichung heraus und übrig bleibt eine massenunabhängige Beschleunigung. Die Feder fällt im Vakuum genauso schnell wie der Hammer.

Falls das Prinzip verletzt ist, müsste man also zumindest eine winzige Diskrepanz beobachten können – also dass etwa unterschiedliche Arten von Materie unterschiedlich stark auf die Schwerkraft reagieren. Bisherige Tests haben das Äquivalenzprinzip stets mit enorm hoher Genauigkeit bestätigt. »Aber Bose-Einstein-Kondensate sind so empfindlich, dass wir die Genauigkeit bei der Überprüfung des Äquivalenzprinzips noch mal um rund zwei Größenordnungen steigern könnten«, erklärt Gaaloul die Zielrichtung dieses Forschungsprojekts.

Nach den ersten geglückten Versuchen wollen die Wissenschaftler das Kondensatgemisch künftig genau daraufhin untersuchen, ob sich in der Schwerelosigkeit die beiden unterschiedlich schweren Atomsorten wirklich exakt gleich verhalten. Auf der Erde lassen sich solche Tests nicht durchführen, da die Schwerkraft für eine Trennung der beiden Atomsorten sorgt.

Genauigkeit auf 15 Nachkommastellen

Irdische Tests des Äquivalenzprinzips haben bereits eine Genauigkeit von zwölf Nachkommastellen erreicht. Das ist schon erstaunlich gut. »Jedoch gibt es verschiedene Theorien, die über die Relativitätstheorie hinausgehen und dieses Prinzip zumindest ganz schwach verletzen«, so Gaaloul. Den besten Test hat ein kürzlich beendetes Experiment auf dem Microscope-Satelliten erbracht – mit einer Genauigkeit von 15 Nachkommastellen. Das Ziel der jetzt auf der ISS gestarteten Versuche ist es, das Äquivalenzprinzip auf voraussichtlich 17 Nachkommastellen zu testen. Das soll künftig ebenfalls mit einer Satellitenmission möglich werden.

Solche Satelliten-Experimente mit Bose-Einstein-Kondensaten könnte man aber auch für ganz andere Zwecke nutzen und nicht nur für die physikalische Grundlagenforschung. So soll die extrem hohe Genauigkeit, die bei solchen Messungen möglich ist, künftig insbesondere in der Geodäsie zum Einsatz kommen. Bislang vermisst man das Schwerefeld der Erde mithilfe von Satelliten-Duos wie »Grace Follow-On«. Das sind zwei Satelliten, die kurz hintereinander über die Erde fliegen. Der Abstand zwischen den Satelliten ändert sich, wenn einer der Satelliten über ein Gebiet der Erde fliegt, das eine höhere oder niedrigere Dichte aufweist. Auf diese Weise lässt sich unter anderem bestimmen, wie viel Grundwasser eine Region bei einer Dürreperiode verloren hat. Quantensensoren mit Bose-Einstein-Kondensaten könnten bei solchen Missionen künftig dank ihrer Präzision wertvolle Dienste leisten und die herkömmliche Messtechnik ergänzen. Denn gerade für die Erforschung des Klimawandels und des sich verändernden Wasserhaushalts der Erde sind bessere Beobachtungsmöglichkeiten äußerst wertvoll.

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