• Wissen
  • Small Modular Reactors

Mini-Reaktoren von der Stange

Small Modular Reactors werden dem Hype um sie nicht gerecht und sind mit Risiken behaftet

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 7 Min.
Modell eines kleinen Atomreaktors der Firma Nu Scale Power Corp, dessen Entwicklung aber inzwischen aufgegeben wurde
Modell eines kleinen Atomreaktors der Firma Nu Scale Power Corp, dessen Entwicklung aber inzwischen aufgegeben wurde

Als US-Präsident Donald Trump Ende Juli auf seinem Golfplatz in Schottland vorbeischaute, empfing er den britischen Premierminister Keir Starmer zu einem kurzen Plausch. Dabei sollen sich die beiden über eine Kooperation bei der Entwicklung und dem Bau von kleinen modularen Atomreaktoren ausgetauscht haben. »Je enger wir in diesem Bereich zusammenarbeiten können, desto besser«, sagte Starmer Medienberichten zufolge bei dem Treffen. Und Trump wurde mit dem Satz zitiert: »Wir machen kleinere und größere, aber das Kleine ist interessant.«

Doch nicht nur bei Trump und Starmer sind die sogenannten Small Modular Reactors (SMR) derzeit schwer angesagt. Ob Frankreichs Präsident Emanuel Macron oder Ungarns Staatschef Viktor Orbán, ob Tech-Konzerne wie Amazon und Google oder der Unternehmer Bill Gates – sie alle setzen auf Atomkraft in Form der Mini-Reaktoren.

Was sind SMR? Trotz der seit Langem praktizierten Verwendung des Begriffs SMR gibt es dafür bislang keine international einheitliche Definition. Die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) beschreibt SMR als kleine Atomreaktoren, die serienmäßig und modular in Fabriken vorgefertigt werden sollen. SMR haben demnach eine elektrische Leistung von unter zehn Megawatt (Mikroreaktoren) bis zu typischerweise 300 Megawatt. Übliche konventionelle Atomreaktoren liefern hingegen 1000 bis 1500 Megawatt.

Keine einheitlichen Konzepte

Technologisch decken SMR ein breites Spektrum ab. Bei einer Reihe von Konzepten entsprechen sie der Funktionsweise gängiger Leichtwasserreaktoren. Diese Typen der SMR unterliegen also geringeren Entwicklungsrisiken, die Entwickler können auf Betriebserfahrung mit den großen Atomkraftwerken zurückgreifen.

Zum anderen liegen manchen SMR neuartige Konzeptideen mit wenig beziehungsweise keiner industriellen Vorerfahrung zugrunde. Bei diesen Konzepten handelt es sich etwa um Hochtemperaturreaktoren, Reaktoren mit einem schnellen Neutronenspektrum oder sogenannte Salzschmelzreaktoren. Bei letzterem auch Flüssigsalzreaktor genannten Typ ist der Kernbrennstoff in flüssiger Form gleichmäßig im Primärkreislauf des Reaktors verteilt. Eine Kernschmelze im klassischen Sinne gilt damit als ausgeschlossen, weil sich der Kern stets im gewollt geschmolzenen Zustand befindet.

Eines aber haben alle SMR-Modelle gemeinsam: Sie sind weit entfernt von einer Massenfertigung. Bislang existiert nur eine Handvoll gebauter Exemplare. Laut IAEA werden gerade einmal zwei SMR in China und Russland betrieben. Diese Reaktoren sind aber Einzelanfertigungen und keineswegs serienreif. Bei der überwiegenden Anzahl der weltweit angekündigten SMR-Projekte handelt es sich um Vorhaben, deren Realisierbarkeit in technischer, zeitlicher und finanzieller Hinsicht fraglich ist. Die aktuelle Entwicklung von SMR ist derzeit größtenteils staatlich finanziert und läuft in starkem Maß in den USA, Kanada und in Großbritannien. Dabei spielen sowohl industrie- und geopolitische Motive als auch militärische Interessen eine Rolle. Die Mehrheit der Länder, die SMR-Entwicklungsaktivitäten verfolgen, unterhalten Atomwaffenprogramme und bauen Atom-U-Boote. Oder sie verfügen bereits über ein »ziviles« Atomprogramm. Neben traditionellen Atomenergieländern zeigen aber auch Länder mit fehlender Kompetenz und Infrastruktur in der Kerntechnik zunehmend Interesse an SMR, wie zum Beispiel Saudi-Arabien und Jordanien.

SMR-Befürworter werben mit – im Vergleich zum Bau großer AKW – kürzeren Produktionszeiten sowie geringeren Kosten. Denn einzelne Komponenten oder auch der gesamte SMR sollen industriell (massen-)gefertigt und bei Bedarf an die ausgewählten Standorte zur Installation transportiert werden. Vergleichbar mit einem Baukastenprinzip könnten am Standort in kurzer Zeit aus den Modulen ein einzelner Reaktor mit geringer Leistung oder auch eine größere Anlage aus mehreren kleinen Reaktormodulen errichtet werden. Mehr Sicherheit, hohe Energieeffizienz und weniger Atommüll lauten weitere Versprechen.

Kritiker halten es für unwahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass diese eingelöst werden können. Es gebe da »zu viele Fragen, aber keine Antworten«, konstatiert etwa die Umweltorganisation Global 2000. Und die Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt kommentiert: »Small Modular Reactors sind die Seifenblasen der Atomkraft: bunt schillernde Projektionsflächen, dahinter ziemlich viel Luft.«

Aus Kostengründen aufgegeben

Bei allen bisherigen SMR-Initiativen hätten sich die erhofften Kostenvorteile in Luft aufgelöst, schreibt der Umweltverband BUND und verweist auf das einstige Vorzeigeprojekt der US-amerikanischen Firma Nu Scale Power Corp. Eigentlich wollte das Unternehmen im Januar 2024 den Antrag auf eine Bau- und Betriebsgenehmigung für die erste Anlage im Bundesstaat Idaho einreichen. Zwei Monate vorher, am 8. November 2023, gab Nu Scale bekannt, das Vorhaben werde aufgegeben. Aus Kostengründen: Waren ursprünglich 5,3 Milliarden US-Dollar veranschlagt, stiegen die offiziellen Schätzungen rasch auf das Doppelte. Nicht berücksichtigt wurden dabei vier Milliarden Dollar, die Nu Scale für die Entwicklung seines SMR von der US-Regierung erhalten hatte.

Nu Scale hatte ein modulares Konzept mit kleinen Leichtwasserreaktoren geplant. Ein einzelnes Modul sollte eine Leistung von 77 Megawatt haben, in einem Kraftwerkspark sollten vier, sechs oder zwölf Module zusammengeschaltet werden können. Die Reaktoren sollten in einer Fabrik seriell gefertigt und dann an den Einsatzort transportiert und dort nur noch installiert werden. Die Bauzeit für einen Nu-Scale-Reaktor wurde mit 36 Monaten projektiert, der erste sollte 2029 in Betrieb gehen.

Das Nu-Scale-Desaster ist kein Einzelfall. In Russland war die »Akademik Lomonossow«, Prototyp eines schwimmenden SMR, mindestens viermal so teuer wie geplant: Aus den veranschlagten sechs wurden mindestens 37 Milliarden Rubel. Das entspricht knapp 25 000 US-Dollar pro Kilowatt installierter Leistung – fast doppelt so viel wie bei einem modernen Großreaktor.

In China ging 2021 ein Hochtemperatur-Demonstrationsreaktor ans Netz. Er lief 2022 aber lediglich 27 von möglichen 8760 Betriebsstunden. Die Baukosten waren dreimal so hoch wie geplant. Pläne zur Errichtung von bis zu 18 weiteren Reaktoren desselben Typs am gleichen Standort hat China aufgegeben.

Auch bei Nu Scale scheint es keine neuen Großaufträge zu geben. Im Gegenteil: Angedachte Projekte in anderen Ländern stehen nun ebenfalls auf der Kippe. Das Unternehmen ist dabei, ein Drittel der Belegschaft zu entlassen. Zudem hat es eine Sammelklage enttäuschter Aktionäre am Hals. Sie werfen Nu Scale vor, ihr Geld mit irreführenden Angaben eingeworben und verbrannt zu haben.

Weil für viele SMR bisher nur Konzeptskizzen vorliegen, brauchen Genehmigungen, Materialentwicklung und Prototypenbau häufig Jahrzehnte. Die Atomindustrie konstatiert selbst, dass für viele Konzepte frühestens in den 2040er Jahren Demonstrationsreaktoren erwartet werden. Hinzu kommt, dass in vielen Ländern, die SMR planen, die notwendige Infrastruktur, Fachkräfte und Zulassungsregularien fehlen. »Fakt ist: SMR kommen, wenn überhaupt, viel zu spät für effektiven Klimaschutz«, resümiert der BUND. »Stattdessen ziehen SMR-Investitionen dringend benötigtes Geld beim Ausbau der erneuerbaren Energien ab, ohne zu wissen, ob SMR jemals Strom erzeugen.«

Mehr statt weniger Atommüll

SMR-Hersteller werben beispielsweise mit geringeren Abfallmengen. Doch auch bei SMR werden radioaktive Abfälle anfallen. Eine Studie im US-Fachmagazin »Proceedings of the National Academy of Sciences«, geleitet von Forschern der Stanford-Universität, erwartet sogar das krasse Gegenteil. »Unsere Ergebnisse zeigen, dass die meisten kleinen modularen Reaktorkonzepte das Volumen der zu entsorgenden nuklearen Abfälle um einen Faktor von zwei bis 30 erhöhen werden«, schreiben die Forscher. Ein Grund dafür sei, dass die kleineren Reaktoren mehr Neutronen freisetzten, die dann etwa Stahlteile radioaktiv kontaminierten. Zudem würden deutlich mehr Transporte und Zwischenlager notwendig.

Auch das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) sieht den SMR-Hype kritisch. Um weltweit dieselbe elektrische Leistung zu erzeugen wie mit derzeitigen neuen Atomkraftwerken, wäre eine um den Faktor drei bis 1000 größere Anzahl an Anlagen erforderlich, heißt es in einer Stellungnahme der Behörde.

Andererseits könnten SMR aus Sicht des BASE gegenüber Atomkraftwerken mit großer Leistung potenziell sicherheitstechnische Vorteile erzielen, da sie beispielsweise ein geringeres radioaktives Inventar pro Reaktor aufweisen – was auch die Hersteller anpreisen. Die hohe Anzahl an Reaktoren, die für die gleiche Produktionsmenge an elektrischer Leistung notwendig ist, erhöhe das Risiko jedoch wiederum um ein Vielfaches. Denn allein durch die Anzahl steigt auch die Wahrscheinlichkeit schwerer Unfälle sowie von Krieg, Sabotage oder Terrorangriffen.

Gleichzeitig, so das BASE in seiner Bewertung, liegen bislang keine SMR-spezifischen nationalen oder internationalen Sicherheitsstandards vor. Da viele SMR-Entwickler einen weltweiten Einsatz ihrer Konzepte anstrebten, würde dies eine internationale Standardisierung der Anforderungen erforderlich machen. Dies ist gerade bei etablierten Atomenergiestaaten derzeit nicht absehbar.

Auch mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit von SMR überwiegt beim BASE die Skepsis. Durch die geringe elektrische Leistung seien die Baukosten relativ betrachtet höher als bei großen AKW. Eine Produktionskostenrechnung aus der Atomindustrie lege nahe, dass im Mittel 300 SMR hergestellt werden müssten, bevor sich der Einstieg in die Serienproduktion lohne.

- Anzeige -

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.