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BetterPolice: »Die Polizei ist kein unumstößliches Naturgesetz«
Chiara Malz und Oliver von Dobrowolski wollen mit dem Verein BetterPolice die deutsche Exekutive reformieren
Ihr Verein BetterPolice will die Polizei demokratisieren. Warum braucht es das eigentlich?
Chiara Malz: Um die Demokratie als Ganzes zu schützen. Wenn wir bewaffnete Großeinheiten abkapseln, sie mit Hierarchie und immer mehr Befugnissen ausstatten, dann bekommen wir nicht Freund und Helfer, sondern dann machen wir es rechten Kräften richtig einfach. Menschlichkeit, Solidarität, Empathiefähigkeit und Austausch fördern die politische Neutralität, die die Polizei braucht, um Verfassung und Menschenrechte zu schützen und um zu verhindern, dass sie irgendwann durch autokratische Kräfte instrumentalisiert wird und gehorsam eine faschistische Agenda verfolgt.
Sie wollen auch eine repräsentative Polizei. Was bedeutet das?
CM: Man sagt, die Polizei sei der Spiegel der Gesellschaft. Mit Blick auf die Zahlen ist das aktuell nicht so. Die Polizei ist männlicher, deutscher und weißer als die Gesellschaft. Bei der Lösung dieses Ungleichgewichts darf es aber nicht nur um ein Reinquetschen von zum Beispiel Frauen in eine männliche Struktur gehen, sondern es müssen Grundsatzfragen neu verhandelt werden.
Seit 2024 steigen die Zahlen polizeilicher Todesschüsse drastisch, zuletzt hat ein Polizist einen 21-jährigen Schwarzen von hinten erschossen. Haben Sie eine Erklärung?
Oliver von Dobrowolski: In den meisten Fällen ist ein Problem, dass die Polizei nicht ausreichend geschult ist im Umgang mit psychisch kranken Menschen. Wir brauchen Kriseninterventionskräfte wie den Sozialpsychiatrischen Dienst, die 24/7 erreichbar sind. Was Oldenburg anbelangt, man weiß nicht, ob der Polizist rassistische Gedanken hatte. Was ich bejahen würde, ist, dass es rassistische Strukturen in der Institution Polizei gibt.
Chiara Malz ist Polizeihauptkommissarin bei der Bundespolizei, Autorin und engagiert sich privat als Klimaaktivistin, unter anderem bei der Gruppe »Letzte Generation«.
Oliver von Dobrowolski ist Kriminalhauptkommissar in Berlin, Autor und war Bundesvorsitzender der Berufsvereinigung PolizeiGrün.
Um tödliche Polizeigewalt zu verhindern, fordern Polizeigewerkschaften die Einführung von Tasern. Würde das helfen?
OvD: Grundsätzlich nein. Der Taser ist ein Hilfsmittel wie viele andere. Er ist in vielen Fällen zu gefährlich und kann als Folterinstrument eingesetzt werden – das hat eine Amnesty-Studie gezeigt. Ähnlich wie beim Pfefferspray haben wir beim Taser ein Problem mit Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder die intoxiniert sind – die reagieren dann einfach mal mit Sterben, wenn sie getasert werden. Bei dicker Kleidung wirkt der Taser nicht. Wenn der Einsatz misslingt, kann er auch dafür sorgen, dass die Hemmschwelle für die anderen Kolleg*innen sinkt, tödliche Gewalt einzusetzen. Das haben wir in Dortmund bei Mouhamed Dramé gesehen. Taser gehören nur in die Hände von Spezialeinheiten.
Und Bodycams?
OvD: In den USA wurden Bodycams von der Bürgerrechtsbewegung initiiert, um Polizeigewalt zu verhindern – das klappt da halbwegs. In Deutschland ist die Diskussion abgedriftet, da wird dieses Ding bei den meisten Polizeien nur verwendet, um einseitig Beweise zu führen oder Abschreckung zu betreiben.
Wie definiert BetterPolice Polizeigewalt? Wann ist die nicht mehr legitim?
CM: Unterschieden werden muss, dass es nach der aktuellen Rechtsauffassung legale Gewalt durch die Polizei gibt und rechtswidrige Polizeigewalt durch einzelne Polizist*innen. Bei der Frage nach der Legitimität stehen wir bei BetterPolice am Anfang eines Aushandlungsprozesses. Wir wünschen uns, dass BetterPolice eine Plattform ist, um solche Fragen zu klären.
Und was könnte an Ausbildung oder Training verbessert werden, um Polizeigewalt zu minimieren?
CM: Polizist*innen haben viel Einsatz- und Schießtraining, während Kommunikationstraining nicht verpflichtend ist. In aufgeladenen Situationen wäre ein Awareness-Team geeigneter als Bewaffnete, besonders im Umgang mit psychisch kranken Personen. Bei der Polizei Hamburg gibt es Austauschformate mit marginalisierten Gruppen wie obdachlosen Menschen oder Migrant*innen, um Verständnis füreinander zu entwickeln.
Haben Sie in Ihrer Laufbahn Situationen erlebt, wo unverhältnismäßig Polizeigewalt angewendet wurde?
CM: Weil ich privat im aktivistischen Bereich tätig bin, sehe ich, wie mit Protestbewegungen umgegangen wird. In der Klimaprotestbewegung oder bei pro-palästinensischen Protesten passieren Situationen, wo die Verhältnismäßigkeit aus meiner Sicht nicht gewahrt ist. Es würde Möglichkeiten geben, etwa Schmerzgriffen andere Maßnahmen vorzuziehen.
OvD: Schmerzgriffe sind nicht pauschal schlecht oder illegitim; oft sind sie eine Mindermaßnahme. Bei zivilem Ungehorsam sind sie aber nicht adäquat.
Was können Polizist*innen tun, wenn sie Fehlverhalten beobachten?
CM: Aus meiner Erfahrung: Es gibt nicht ausreichend Möglichkeiten. Es gibt interne Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren und eine Remonstrationspflicht. Allerdings kontrollieren Vorgesetzte sich genau wie die Polizei innerhalb der hierarchischen Logik oft selber. Mitunter beschwert man sich bei dem, über den man sich beschweren möchte.
OvD: Wenn man etwas meldet oder anzeigt, muss man sich bewusst sein, dass das einem sozialen Suizid gleichkommen kann. Karriere beendet, Privatleben schwer beschädigt.
Es gibt doch jetzt Polizeibeauftragte, die auch für interne Meldungen zuständig sind?
CM: Nicht überall. Bei der Bundespolizei wurde die Stelle 2024 eingerichtet. Es gibt aber – wie auch bei der Kennzeichnungspflicht – etliche Polizeien, wo das nicht der Fall ist.
OvD: Die Polizeiberatungs- oder Beobachtungsstellen sind am Ende oft ein Papiertiger. Selbst in Berlin, wo wir eine üppige Gesetzgebung und Kompetenz für den Polizeibeauftragten haben – der sagt: »Ich kann nichts machen«.
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Sie fordern mehr Transparenz in der Polizeiarbeit.
OvD: Eine gute Maßnahme wäre, dass Behörden proaktiv Pressemeldungen verfassen, wenn Ermittlungen beendet sind und Beamt*innen freigesprochen oder disziplinarische Maßnahmen verhängt wurden. Das würde Vertrauen schaffen.
Haben Sie erlebt, dass Polizeigewalt von oben angeordnet oder gebilligt wurde?
OvD: Herbert Reul hat in NRW von einer »robusten« Aufstellung der Polizei gesprochen. Zu großen Einsätzen wie dem 1. Mai oder G20 gibt es eine monatelange Vorplanung mit Einsatzkonzeptionen, und da steht auch die Einschreitschwelle als Vorgabe von oben.
Wir haben in Deutschland das Problem, dass die Gesellschaft insgesamt nach rechts gerückt ist. Es gibt auch mehr rechtslastige Regierungen oder Beteiligungen daran. Das spürt man auch bei der Polizei. Die Klimabewegungen haben deshalb ordentlich kassiert. Auch andere zivilgesellschaftliche Proteste sind mit mehr Repressionen konfrontiert. Wir gucken alle mit Entsetzen in die USA zu Trump. Aber auch in Sachsen-Anhalt war die Polizei beteiligt, einen Christopher Street Day zu verhindern.
CM: Es gab nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen 2024 einen Aufschrei gegen Deportationen, heute scheint ein Koalitionsvertrag vollkommen normal, der mehr Abschiebung, mehr Kriminalisierung und mehr Überwachung in Aussicht stellt. Es wird viel leichter, Polizeigewalt aus einem verschobenen politischen Neutralitätsbewusstsein heraus anzuordnen oder zu billigen, wenn rechte Ansichten sich auch in Deutschland gesamtgesellschaftlich normalisieren, und das halte ich für unglaublich gefährlich.
Welche Rolle übernehmen dabei die Polizeigewerkschaften?
OvD: Es sind Lobbyverbände. Eine, die DPolG, gilt einigen als Vorfeldorganisation der AfD. Die GdP als größte Gewerkschaft pflegt in einzelnen Landesverbänden ebenfalls einen problematischen Sprech. Das ist ein Problem, denn die Fachpolitik verlässt sich auf diese vermeintliche Expertise. Als BetterPolice wollen wir dagegenhalten und zeigen, dass es auch frische und vor allem progressive Töne gibt.
Es gibt einen ranghohen Funktionär einer der angesprochenen Gewerkschaften, der sich regelmäßig deutschnational zu allgemeinpolitischen Themen äußert. Darf der das?
CM: Ich finde es gefährlich, dass der unter dem Deckmantel der Gewerkschaft Sachen äußern darf, die der Neutralitätspflicht nicht standhalten und in Teilen sogar Straftatbestände erfüllen. Noch gefährlicher finde ich, dass solche Äußerungen als Expert*innen- oder offizielle Polizeimeinung aufgefasst werden. Das ist es absolut nicht.
OvD: Er hat noch und nöcher Dinge von sich gegeben, wo man eigentlich sagen muss: Das ist nicht mehr mit dem Grundgesetz vereinbar und somit auch diese Tätigkeit, die er im Hauptamt ausübt. Wenn Sie was Populistisches sagen, werden Sie beachtet. Wenn Sie etwas Progressives sagen, werden Ihnen intern die Beine weggehauen. Es gibt da keine Waffengleichheit.
Wie haben diese Gewerkschaften auf die Gründung von BetterPolice reagiert?
OvD: Professionell gar nicht.
Ich selber mache seit 25 Jahren Anti-Repressionsarbeit. Wir haben uns immer sehr viel an der Polizei abgearbeitet. Nun gibt es den erfrischenden neuen Ansatz des Abolitionismus, der Alternativen finden will. Wie blicken Sie darauf?
CM: Oliver hat in seinem Buch geschrieben, dass Polizei kein Selbstzweck ist. Da würde ich gerne mal ein richtig fettes Ausrufezeichen setzen. Die grundsätzliche Frage muss lauten: Was ist für uns Sicherheit und wie stellen wir sie sicher? Die Polizei ist kein unumstößliches Naturgesetz.
OvD: Es braucht eine Aufgabenkritik. Ist die Polizei, die heute für sämtliche Probleme herangezogen wird, die Institution, die alles bereinigen muss, was in der Politik oder Bildung schiefgegangen ist? Nein. Die Polizei kümmert sich um hunderttausend Sachen, in denen sie als staatliche Exekutive nichts zu suchen hat.
Welche?
OvD: Warum sind Ordnungsämter nicht in der Lage, Fälle wie Ruhestörung zu bearbeiten? Warum muss die Polizei sich um alle Verkehrsangelegenheiten kümmern? Warum stattet man nicht Fachleute aus, um Krisendienste zu betreiben? Diese Forderung gibt es seit Jahren.
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