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Resistenzen und Kondommuffel
Antibiotika gegen Tripper und Co. verlieren an Wirksamkeit
Im Wonnemonat Mai grünt und blüht die Natur. Maibäume und Tanz in den Mai sind auch Ausdruck des Begehrens. Beim Sexualtrieb aber tut sich nicht erst jetzt auch Unangenehmes: Sexuell übertragbare Infektionen nehmen seit Jahren in Europa zu. Im Vergleich zum Vorjahr stieg 2022 nach Angaben des European Centre for Disease Prevention and Control die Zahl der gemeldeten Fälle von Sexually Transmitted Diseases (STI) deutlich an: Gonorrhö-Fälle nahmen um 48 Prozent, Syphilis-Fälle um 34 Prozent und Chlamydien-Fälle um 16 Prozent zu.
Gonorrhö – umgangssprachlich Tripper – als die häufigste STI wurde weltweit häufiger. Parallel dazu treten immer mehr Resistenzen gegen die gängigen Antibiotika zur Therapie von Tripper und anderen Geschlechtskrankheiten auf. Besonders in Südostasien und Afrika sind die Resistenzen weitverbreitet.
Auch in Deutschland wächst dadurch die Gefahr. Hautärzte klagen zudem über eine neue Sorglosigkeit beim Sex. »Im Jahr 2018 war die Gonorrhö mit über 100 000 Infektionen in 28 Ländern die zweithäufigste gemeldete STI in der Europäischen Union«, so die Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Für Deutschland gebe es noch keine Daten, da eine Meldepflicht für Gonokokken-Infektionen erst 2022 eingeführt wurde. Eine Tendenz zeichne sich in Sachsen ab, wo es seit über zehn Jahren ein Labormeldepflicht für Tripperfälle gebe: Die Diagnosen hatten sich dort in den letzten zehn Jahren verdoppelt.
Ein Grund für die Zunahme sei Sex ohne Kondom, weiß Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft. Zudem sei die Gonorrhö tückisch. »Sie wird nicht immer gleich erkannt, viele Infizierte haben keine Symptome, können den Erreger dann aber trotzdem weitergeben«, warnt der Arzt.
Das Wissen über den Schutz durch Kondome wird zudem im Alltag zu wenig in die Tat umgesetzt. Ergebnisse der 2024 veröffentlichten Liebesleben-Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) zeigen, dass zwar 89 Prozent der sexuell aktiven Personen Erfahrungen damit hatten. »Die Daten zeigen aber auch, dass von den Personen, die in keiner festen Beziehung leben und in den letzten zwölf Monaten Sex hatten, nur 50 Prozent ›immer‹ oder ›häufig‹ ein Kondom benutzten.« Der am häufigsten genannte Grund für den Verzicht war die Annahme, dass die Sexualpartner gesund seien, hieß es im BzgA-Report.
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Eine Voraussetzung für den Schutz vor den Infektionen ist das Wissen um ihre Existenz. Auf die offene Frage danach, welche STI bekannt seien, gaben in der Liebesleben-Studie 2023 immerhin 56 Prozent HIV/Aids an. Syphilis und Gonorrhö wurden aber nur von jeweils 28 Prozent, und Chlamydien, die weltweit zu den häufigsten STI zählen, nur von 11 Prozent der Befragten spontan genannt.
In Asien und Afrika sind Antibiotika gegen Gonorrhö noch verfügbar, aber Resistenzen stellen eine wachsende Gefahr dar. Die Forschung zu neuen Wirkstoffen wurde jedoch in den letzten Jahrzehnten wegen hoher Kosten und geringer Profite von den Pharmakonzernen vernachlässigt. Im Jahr 2019 waren einer Studie in der Zeitschrift »The Lancet« zufolge global schätzungsweise 4,95 Millionen Todesfälle weltweit mit Resistenzen assoziiert und etwa 1,27 Millionen direkt durch Resistenzen bedingt.
Abhilfe schaffen will ein 2020 unter anderem von Pharma-Unternehmen gegründeter Aktionsfonds. Der Fonds soll mit Investitionen bis 2030 »zwei bis vier zusätzliche Antibiotika gegen multiresistente Problemkeime zur Marktreife« bringen. Die Bundesregierung fördert ein deutsch-französisches Projekt zur Erforschung »neuer Antibiotika mit alternativen Wirkmechanismen«. Zudem unterstützt Nordrhein-Westfalen das Center für systembasierte Antibiotikaforschung der Ruhr-Universität Bochum, das nach strukturell neuen Antibiotika sucht.
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