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- Nach Schafsrissen
»Goldschakale sind Nahrungsopportunisten«
Auf Sylt wurde ein Exemplar der seltenen Tiere zum Abschuss freigegeben
Die Einwanderung von Goldschakalen nach Deutschland verlief in den vergangenen Jahren eher klammheimlich und unter dem öffentlichen Radar. Jetzt aber hat es ein Tier in die bundesweiten Nachrichten und sogar in die »Bild«-Zeitung geschafft: Auf der Nordseeinsel Sylt hat ein Goldschakal Dutzende Schafe gerissen und ihnen teils auch die Ohren abgebissen. War zunächst von rund 50 getöteten Lämmern und Mutterschafen die Rede, verdoppelte sich die Zahl bis Pfingsten auf über 90.
Das schleswig-holsteinische Umweltministerium hat den Schakal zum Abschuss freigegeben. »Keine einfache Entscheidung«, sagte Minister Tobias Goldschmidt (Grüne) dazu. »Ein Schakal ist eine geschützte Art, europarechtlich geschützt. Und wir müssen in Deutschland auch mit Raubtieren leben können.« Allerdings spielten auch andere Faktoren eine Rolle für seine Entscheidung, erklärte Goldschmidt – etwa der Küstenschutz auf Sylt, der an den Deichschäfereien hänge.
Die Abschussgenehmigung gilt bis Ende Juli. Um sie zu vollziehen, stehen laut »Spiegel« auf der Insel bis zu 130 Jäger bereit. Der Fernsehsender RTL begleitet die Jagd vor Ort mit einem Team.
Mehrere große Umweltverbände im Bundesland wie BUND und Nabu befürworten das Vorgehen, obwohl Goldschakale in Deutschland geschützt sind. Die Naturschutzorganisation WWF sieht die Jagd allerdings kritisch. So stehe gar nicht fest, ob es sich bei dem Übeltäter um einen oder mehrere Goldschakale handele. »Im schlimmsten Fall handelt es sich um ein führendes Elterntier. Eine Entnahme könnte negative Folgen – zum Beispiel mehr Risse – haben«, hieß es.
In jedem Fall verwundert das Massaker an den Sylter Schafen. Goldschakale sind deutlich kleiner als Wölfe und kaum größer als Füchse. Nach Angaben des Deutschen Jagdverbandes erreichen sie ein Gewicht von höchstens 15 Kilogramm, eine Schulterhöhe von bis zu 50 und eine Körperlänge von bis zu 90 Zentimetern, dazu kommen noch 20 bis 30 Zentimeter für die Lunte, also den Schwanz.
Zudem hieß es bislang, Goldschakale attackierten allenfalls vereinzelt mal ein Schaf. Auf ihrem Speisezettel stünden meist aber Beeren und Mais, Aas und Schlachtabfälle, Insekten, Amphibien, Fische sowie auch mal kleine Säugetiere wie Mäuse. Grundsätzlich gelte das nach wie vor, sagt der Goldschakalexperte Felix Böcker vom Wildtierinstitut der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg dem »nd«: »Goldschakale sind Nahrungsopportunisten. Das heißt, dass sie sich von den Dingen ernähren, die in großer Zahl vorkommen und mit wenig Energieaufwand zu bekommen sind.« Gleichzeitig seien Goldschakale sehr anpassungs- und lernfähige Tiere, »es gibt also auch immer Individuen, die sich auf bestimmte Verhaltensweisen spezialisieren können.«
Böcker beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der wachsenden Goldschakal-Population in Deutschland. Der Bestand wird auf einige Hundert Tiere geschätzt. Genaue Zahlen gibt es nicht, auch kein einheitliches Monitoring. Wildtiere, die sich von anderen Tieren ernähren, hätten ihr Jagdverhalten über eine lange Evolution den natürlichen Beutetieren angepasst, erläutert Experte Böcker. Wichtig für den Jagderfolg sei, »dass ein Beutetier einen Reiz beim Jäger auslösen kann, der es dazu bringt, das Tier zu jagen und zu töten«.
Dieses Verhalten werde unter natürlichen Bedingungen meist einmal ausgelöst, auch wenn andere Beutetiere präsent seien. Komme es zu Situationen, in denen Beutetiere nicht mehr flüchteten – wie es bei den eingezäunten Sylter Schafen wohl der Fall war – könne der Reiz zu jagen und zu töten immer wieder ausgelöst werden. »Dieses sogenannte ›surplus killing‹ ist genauso auch von Wölfen, Hunden, Füchsen oder Mardern bekannt.« Dabei werde häufig mehr erbeutet als überhaupt gefressen werden könne. Vorfälle wie jetzt auf Sylt blieben beim Goldschakal eine Ausnahme, betont Böcker. »Trotzdem werden solche Ausnahmen auch in Zukunft vorkommen.«
Ob der Sylter Goldschakal, sofern er dem beschlossenen Erschießungstod entgeht, auch in Zukunft Nutztiere angreifen wird, ist für Böcker längst nicht ausgemacht. Er kann die jetzt erteilte Abschussgenehmigung für den Sylter Schakal zwar nachvollziehen, sieht in der Entnahme auffälliger Einzeltiere grundsätzlich aber keine Lösung des Problems. Wichtig findet er, »dass ein qualitatives, ganzheitliches Management für den Umgang mit solchen Tierarten konzipiert wird«. Die Vorkommen der Goldschakale in Europa entwickelten sich »rasant weiter«. Für die Öffentlichkeit und die Politik sind Ereignisse wie das auf Sylt ein Augenöffner, um sich weiter mit der Gesamtsituation auseinanderzusetzen.
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