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Donald Tusk übersteht Vertrauensfrage
Polens Opposition fordert dennoch einen sofortigen Rücktritt des Ministerpräsidenten und Neuwahlen
Ministerpräsident Donald Tusk hat am Mittwoch im Sejm die Vertrauensfrage gestellt. Er hatte sich zu diesem Schritt entschlossen, nachdem die schmerzliche Niederlage vom 1. Juni bei den Präsidentenwahlen das Regierungslager unter enormen politischen Druck gebracht hat. Am Mittwoch erklärte ein kampfbereiter Tusk im Sejm, er kenne das Wort »Niederlage«, nicht aber das der »Kapitulation«. Die Koalition halte zusammen und werde bis Herbst 2027 entschlossen regieren, so der Regierungschef. Am Ende sprachen 243 Abgeordnete Tusk das Vertrauen aus, 210 stimmten gegen den Premierminister.
Jarosław Kaczyński hatte gleich nach dem Sieg von Karol Nawrocki ein anderes Lied angestimmt: Die Tusk-Regierung sei am Ende, müsse zurücktreten und einer Übergangsregierung Platz machen, die den Weg für Neuwahlen freimache. Da sich mit der Präsidentenwahl in der parlamentarischen Zusammensetzung nichts geändert hat, war es Theaterdonner, als ob nun Teile der Regierung zur Opposition überlaufen würden.
Nawrockis Wahl ändert politisches Kräfteverhältnis
Nawrockis Wahl zum Staatspräsidenten – er tritt am 6. August ins Amt – verändert die politische Landschaft Polens allerdings spürbar, auch wenn sich am bestehenden Kräfteverhältnis den Zahlen nach wenig ändert: Bei knapp 21 Millionen abgegebener Stimmen gaben gerade einmal 370 000 Stimmen den kleinen, aber entscheidenden Ausschlag. Der Nawrocki-Sieg bringt die nationalkonservative Opposition wieder in die Vorhand; jetzt hofft sie, die politische Agenda im Land trotz des für sie ungünstigen Mehrheitsverhältnisses im Parlament bestimmen zu können. Auch deshalb die Forderung nach dem Rücktritt der Tusk-Regierung. Nawrocki stößt in dieses Horn, er schimpft Tusk jetzt den »schlechtesten Ministerpräsidenten seit 1989«, also seit Tadeusz Mazowiecki.
Der Wahlsieg der von Tusk angeführten breiten Koalition bei den Parlamentswahlen im Herbst 2023 war die Folge eines nie nachlassenden Widerstands gegen die politischen Zumutungen der Kaczyński-Richtung. Die Straße des öffentlichen Protestes gehörte unbestritten der demokratischen Opposition. Das Blau der EU-Fahne, die aufgespannten Regenschirme schwarzgekleideter Frauen, die Manifestationen zur Verteidigung der Verfassung kennzeichneten die Proteste bis 2019. Im Herbst 2020 dann die Frauenproteste – die größte Protestbewegung Polens seit 1990. Schließlich die gewaltigen Manifestationen im Juni und Oktober 2023 im Vorfeld der Parlamentswahlen, bei denen sich ein breites politisches Bündnis von gemäßigten Konservativen bis zu alternativen Linken – geführt von Tusk in der liberalen Mitte – erfolgreich dem Wählervotum stellte.
Rückhalt aus Anti-Kaczyński-Protesten aufgebraucht
Den Nationalkonservativen blieb das Präsidentenamt mit Andrzej Duda, doch die politische Initiative gehörte ganz klar dem breit aufgestellten Regierungslager. Der Schwung sollte genutzt werden, um im Frühjahr 2025 auch das Präsidentenamt zurückzuholen, die Stunde für den Politiker Kaczyński schien bereits geschlagen. Es kam anders. Nun steht fest, dass der mächtige Rückhalt aus der facettenreichen Protestbewegung gegen die Kaczyński-Regierung aufgebraucht ist. Gegen den frisch ins Amt gewählten Präsidenten wird sich neuer Widerstand kaum regen. Protestiert wird in Polen gegen Regierungspolitik, seltener gegen den Präsidenten.
Tusk zählte zur Begründung der Vertrauensfrage die bisherigen Erfolge der Regierung auf, an erster Stelle nannte er höhere Militärausgaben und wirksame Migrationsbekämpfung, womit das Dilemma zum Vorschein kommt. Das große Versprechen bezüglich schneller Wiederherstellung der ausgehöhlten Rechtsstaatlichkeit und der Durchsetzung unterdrückter Frauenrechte konnte nicht eingelöst werden, wobei immer auf das Präsidentenamt mit der Vetomöglichkeit verwiesen wird.
Tusk wird seine Regierung umstellen
Die nächsten Parlamentswahlen stehen im Herbst 2027 an. Die nun Neuwahlen fordernde Kaczyński-Opposition argumentiert, dass die Tusk-Regierung ihre zentralen Vorhaben gar nicht mehr umsetzen könne. Tatsächlich gleicht das Regierungslager nun eher einer von feindlichem Wasser umzingelten Trutzburg, weniger dem zentralen Brückenkopf, um der Kaczyński-Richtung das Wasser abzugraben. Gegen Tusk stimmten neben den Nationalkonservativen und Nationalisten auch die wenigen Abgeordneten der linken Razem-Partei. Deren Abgeordneter Adrian Zandberg meinte, Tusk teile gerne gegen die Nationalkonservativen aus, um Regierungsversagen zu beschönigen. Auch die Razem-Leute stimmen ein in den Chor, wenn es heißt, »Polen habe mehr verdient«.
Laut einer jüngsten Umfrage zweifelt eine Mehrheit, ob die Koalitionsregierung unter Tusk bis Herbst 2027 durchhalten wird. Den größten Druck wird es in der schwächelnden konservativen Flanke im Regierungsbündnis geben. Auch dies ein Grund, weshalb Tusk zur Eile mahnt: »Auf uns warten zweieinhalb Jahre voller Mobilisierung.« Die Konservativen in der Regierung fordern indes eine tiefergehende Regierungsumbildung, die Tusk für Juli auch zugesagt hat. Die Zukunft der Regierung wird wohl erst in den kommenden Wochen entschieden.
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