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High Noon in Los Angeles
Beim Duell zwischen dem Präsidenten und dem Gouverneur steht Kalifornien im Visier der Maga-Bewegung
Der Aufstand gegen die US-Einwanderungsbehörde ICE in Los Angeles bildet die erste echte innenpolitische Krise der zweiten Amtszeit Trumps. Vor allem wegen der unverhältnismäßigen Reaktion der Trump-Regierung, US-Marines nach Kalifornien zu entsenden. Als Demonstranten den Highway 101 in Los Angeles lahm legten, indem sie Beton-Brocken von einer Brücke warfen, ähnelte die Stimmung jener bei den Demonstrationen nach dem Tod von George Floyd im Jahr 2020. Auch damals forderte Trump die Intervention des Militärs, wurde aber von seinem eigenen Verteidigungsminister blockiert: Eine Entsendung von Soldaten widerspräche der Verfassung.
Jetzt hat Trump die Sonderkräfte trotzdem entsandt. Auch wenn die Marines noch keinen Schuss abgegeben haben, bewegen sich die USA damit auf unerforschtem Terrain, denn diese Elitetruppen für Auslandseinsätze seien für das Inland besonders ungeeignet, sagt Rachel VanLandingham, Rechtsprofessorin und ehemalige Oberstleutnantin der Luftwaffe. »Die Marines sind nicht dafür ausgebildet, in den Straßen unserer Städte zu patrouillieren. Vielleicht haben sie ein paar Grundkenntnisse, um Menschenmengen zu kontrollieren, aber die setzen sie in Kampfgebieten ein, nicht in Los Angeles.«
Nicht nur die Präsenz von 700 Marines in Los Angeles oder die erwartete Ausweitung der Demonstrationen am Mittwoch in etlichen US-Städten zeigt die Verschärfung der Lage; auch die Verhaftung und Verletzung des prominenten Gewerkschaftsführers David Huerta ist sehr ungewöhnlich. Denn Krisen in den Straßen von US-Städten sind selten so hoch politisiert wie diese. Trump sucht die offene Konfrontation mit dem Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, und umgekehrt empfiehlt sich Newsom als die führende Oppositionsfigur im Lande und damit als Erbe von Joe Biden.
Für Newsom und seine Unterstützer, vor allem Los Angeles’ Bürgermeisterin Karen Bass, stand die Fähigkeit der lokalen Polizei, die Demonstranten zu beruhigen, außer Frage. Daher sei die Überreaktion aus Washington ein offenkundiger Versuch, eine autoritäre Wende in der US-Geschichte einzuleiten. Newsom inszeniert sich als liberaler Verfassungspatriot – zu Recht: Die ersten Umfragen geben ihm Grund zur vorsichtigen Hoffnung. Nach einer Yougov-Umfrage sehen sich nur 45 Prozent der Amerikaner als Gegner der aktuellen Demonstrationen, gleichzeitig aber sind 49 Prozent gegen die forcierten ICE-Deportationen. Vor allem sei eine Mehrheit gegen den Einsatz der Marines im Inland.
Und tatsächlich, nach der Entsendung der Sonderkräfte wirkt Trump um Besonnenheit bemüht. Doch genau dies zeugt von strategischen Überlegungen, denn auch Trump glaubt, dass diese Krise ihm zugutekommen wird. Bei weiteren Ausschreitungen seitens der Opposition glaubt Trump, dass sich die amerikanische Mehrheit eben doch eine autoritäre Lösung wünschen wird. Sollte sich eine solche Mehrheit finden, würde die Krise eine Parallele zur Politik des Jahres 1963 werden, als Präsident John F. Kennedy die Nationalgarde in Georgia unter Bundeskontrolle stellte und gegen den Gouverneur George Wallace einsetzte, weil Wallace die Schulen für Weiße und Schwarze nicht integrieren wollte. Entwickelt sich die öffentliche Meinung in den nächsten Wochen für Trump günstig, wären jegliche Rechtsfragen um seine Methoden mindestens vorläufig ins Reich der Theorie verbannt.
Ein weiterer Grund dafür, dass Donald Trump in den nächsten Tagen Vorsicht walten lassen wird: Um die Mehrheit der US-Amerikaner zu erreichen, muss er vor allem die vielen Latinos erreichen. Sein Wahlsieg im letzten Jahr zeigte deutlich, dass genügend Latino-Wähler einerseits notwendig waren, und andererseits für ihn erreichbar, um die Stimmenmehrheit zu bekommen. Zu lange gingen die Demokraten davon aus, dass die Latinos ihre traditionelle Nähe zu den Demokraten aufrechterhalten würden, obwohl diese Nähe von Jahr zu Jahr bröckelte. Deswegen wird sich Trump jetzt, wie im Wahlkampf, mit ethnischen Beleidigungen zurückhalten und vermutlich auch mit Gewalt, um so einer Solidarisierung der Latinos mit den Deportierten entgegenzuwirken.
Trumps Hauptvorstoß ist deswegen ein anderer: Seine Gegner sind weniger die Demonstranten, als die politische Elite Kaliforniens. Gouverneur Newsom wirft er grobe Inkompetenz vor. Trumps Grenzkommissar Thomas Homan erklärte bereits, den 58-jährigen Newsom verhaften zu wollen. Denn die demokratische Spitze in Kalifornien, wie auch die Kalifornierin Kamala Harris, sei den Amerikanern nicht genehm. Auch wenn Newsom in letzter Zeit versucht hat, in die Mitte zu wechseln – der Gouverneur brüstet sich, 10 500 illegale Einwanderer an die ICE-Behörde übergeben zu haben, und suchte sogar Kontakt zu Trumps Ur-Berater Steve Bannon –, wurden die Ausschreitungen in Los Angeles, so Trumps Deutung, deshalb nicht sofort gebändigt, weil die kalifornische Regierung die Kritiker von ICE und der Regierung unter höchsten Schutz stellen wolle.
Werden die Demokraten nun eine Welle der Empörung gegen den Autoritarismus der Trump-Regierung entfachen? Oder haben sie sich und die Nation wieder falsch eingeschätzt? Ist Newsom auf Angriff gepolt oder läuft er in einen gut vorbereiteten Spieß? Trump will seine erfolgreiche Strategie aus dem Wahlkampf 2024 wieder einsetzen und glaubt, die Demokraten würden dieselben Fehler begehen. Denn Kalifornien ist schon lange im Visier der Rechten; Trumps langjähriger Einwanderungsberater, Stephen Miller, ging auf eine berühmte, linksliberale Schule in Santa Monica, wurde dann aber der reaktionäre Trommler für die Maga-Bewegung, die der Liberalität der Kalifornier in Sachen Einwanderung vor Jahren den Krieg erklärt hat.
Seltsamerweise ist der reiche und bevölkerungsreichste Bundesstaat auch im Visier der Hi-Tech-Mogule wie Peter Thiel und Elon Musk, die schon lange und immer häufiger die Verhältnisse in Kalifornien an den Pranger stellen – wegen der Armut, der Obdachlosigkeit, des Fehlens erschwinglichen Wohnraums, des Schwindens der Mittelklasse, wegen Kriminalität und Verzweiflung in den Straßen von Los Angeles und San Francisco. Wegen all dem, was die Tech-Milliardäre an Zuständen eher verursacht, als verhindert haben. Zu Recht oder Unrecht, all dies wird der demokratischen Elite in Kalifornien in die Schuhe geschoben. Lange waren in der nationalen Psyche die Missstände in New York City zentral. In diesen Tagen gelangen die Kaliforniens endgültig in das Fadenkreuz der Rechten.
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