Forschungsbericht: DLRG legt Geschichte offen

Viele Mitglieder der Wasser­rettungs- und Nothilfe­organi­sation blieben in der Nazi­zeit ambi­valent – Funk­tio­näre wurden teils zu Tätern

  • Claudia Wangerin
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit über 600 000 Mitgliedern ist die DLRG laut eigenen Angaben die größte freiwillige Wasserrettungsorganisation der Welt.
Mit über 600 000 Mitgliedern ist die DLRG laut eigenen Angaben die größte freiwillige Wasserrettungsorganisation der Welt.

Auch Mitglieder und Funktionäre einer Organisation, die sich der Rettung von Menschenleben verschrieben hatte, sind während des Naziregimes zu Mitläufern und teilweise sogar Mittätern geworden – das gehört zum Fazit einer Forschungsarbeit, die von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) zur eigenen Vereinsgeschichte in Auftrag gegeben und am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Spät, wie alle Beteiligten einräumten.

Dafür ist nach Meinung von Vereinspräsidentin Ute Vogt nun innerhalb von zwei Jahren eine ehrliche Aufarbeitung gelungen, für die sie den sechs Autorinnen und Autoren dankte. »Zu kurz gegriffen« sei die frühere Lesart nach dem Motto »In der schlimmen Nazizeit wurde die DLRG gleichgeschaltet«, betonte Vogt.

Ein Teil der Mitglieder und Führungskräfte habe sich ohne Distanz oder sogar »mit Feuereifer« der Aufgabe gestellt, mit dem NS-Regime zu kooperieren. Es gehe ihr »nicht in den Kopf«, wie man sich mit dem humanistischen Anspruch der DLRG »so menschenverachtend verhalten« könne, sagte Vogt am Mittwoch bei der Pressekonferenz im Haus des Sports an der Jesse-Owens-Allee in Sichtweite des 1934 bis 1936 erbauten Berliner Olympiastadions.

Dass die Prachtstraße fünf Jahrzehnte später nach einem afroamerikanischen Athleten benannt werden würde, der damals der NS-Rassenideologie zum Trotz vier Goldmedaillen holte und Freundschaft mit einem deutschen Sportler schloss, ahnte damals niemand. Den aktuellen Rechtstrend dagegen konnten sich wohl viele im Jahr der Straßenumbenennung 1984 nicht vorstellen. Gleiches gilt für die Folgen der Klimakrise, in der die gemeinnützige Wasserrettungs- und Nothilfeorganisation mit derzeit rund 630 000 Mitgliedern an Bedeutung gewinnen dürfte.

Der Vorsitzende des Organisationskomitees der Olympischen Spiele von 1936, Theodor Lewald, war zugleich Schirmherr der 1913 gegründeten DLRG, die 1933 einen »Arierparagraphen« in ihre Satzung aufgenommen und jüdische Mitglieder ausgeschlossen hatte. Mehr noch: Deren Mitgliedschaft wurde im Nachhinein sogar verleugnet.

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»Eine Gleichschaltung war nicht notwendig. Es gab ja schließlich auch keinen Juden, der bereit wäre, sein Leben in freiwilligem Entschluss darzubieten, um einen anderen vor dem Tod zu bewahren«, hatte es 1943 in einer Festrede zum damals zehnjährigen Bestehen der DLRG-Station in Wiesbaden-Schierstein geheißen.

Gegenbeispiele nennt das Autorenteam der Studie »Die DLRG 1925–1945. Zwischen Idealismus und NS-Ideologie«, die auch als Buch erhältlich ist: Einem der ausgeschlossenen jüdischen Rettungsschwimmer, Otto Leib, gelang die Flucht in die USA und später nach Palästina – dass er später wieder Kontakt zur Konstanzer DLRG-Gruppe aufnahm, sei eine »sehr großzügige Geste« gewesen, so die Mitautorin Kerstin Teicher. Andere seien in Konzentrationslagern ermordet worden, wie der Rheinländer Otto Kneip in Groß-Rosen.

Allerdings habe für DLRG-Mitglieder bei der Rettung von Ertrinkenden die Partei keine Rolle gespielt, betonte Teicher am Mittwoch in Berlin. Auch habe es nach den Recherchen keine interne Richtlinie gegeben, nur »Arier« zu retten, sofern dies überhaupt erkennbar gewesen sei. Die Handbücher der DLRG zierten jedoch Hakenkreuze. Ein Großteil der Mitglieder sei ambivalent geblieben, so Teicher: zwischen dem humanistischen Vereinszweck und der NS-Ideologie.

Mit der Satzung von 1933 sei das »Führerprinzip« eingeführt worden – zunächst ohne den Spitzenfunktionär Georg Hax abzulösen, der nun nicht mehr als »Präsident«, sondern als »Führer« bezeichnet worden sei. Ab 1938 stand das »G« der DLRG für »Gemeinschaft« statt »Gesellschaft« – »um den besonderen Aufgaben im nationalsozialistischen Volksstaat gerecht zu werden«.

Dazu gehörten mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 Aufrufe zu Blutspenden und Schwimmkurse für Soldaten, die zum Teil Flüsse überqueren mussten und das Schwimmen nicht alle bereits in der Schule gelernt hatten. Die DLRG galt somit als »kriegswichtig«.

Entziehen konnten sich dieser Instrumentalisierung die Mitglieder nur als Einzelperson – hätte die DLRG als Ganzes protestiert, wäre sie wohl verboten worden, so die Einschätzung von Teicher auf Nachfrage eines Journalisten. Für Funktionäre wie Franz Breithaupt, zuvor Geschäftsführer der Deutschen Turnerschaft, ab 1925 stellvertretender Vorsitzender und ab 1941 »Führer« der DLRG, stellte sich diese Frage sicher nicht.

Breithaupt sei bereits früh in der SA aktiv gewesen und ein »sehr enger und engagierter Mitarbeiter« von SS-Chef Heinrich Himmler geworden, so Teicher. »Früh« heißt bereits vor 1933, während er Vizechef der DLRG war. Gleichwohl geht die Wirtschaftswissenschaftlerin nicht davon aus, dass die Mehrheit der Mitglieder vor der Machtübernahme Nazis waren: Aus »demokratisch gesinnten Menschen« seien mindestens Mitläufer oder gar Mittäter des Regimes geworden.

Breithaupt jedenfalls brachte es bis zum General der Waffen-SS und Chef des Hauptamtes SS-Gericht. 1943 – das hob Teicher am Mittwoch hervor – war er einer der beisitzenden Laienrichter in den Münchner Prozessen gegen Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose, die mit Todesurteilen gegen Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf und Kurt Huber endeten.

Wenn der DLRG-Leiter Verbandskommunikation, Frank Villmow, heute sagt, »Wir müssen aufarbeiten, was da passiert ist«, denkt er auch an die nahe Zukunft und das Vorhaben, die Satzung des Vereins anzupassen, um Mitglieder, die sich beispielsweise rassistisch in »sozialen Medien« äußern, leichter ausschließen zu können.

Die Vereinspräsidentin kündigte dies für die kommende Bundestagung an: Mitglieder und Funktionsträger müssten wissen, dass es ein Ausschlussgrund sei, sich nicht an die Werte und Leitlinien des Vereins zu halten, so Vogt. »Für Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus kann kein Platz in der DLRG sein.«

Beim Vorgehen gegen verfassungsfeindliche und »extremistische« Äußerungen wolle sie nicht nur auf die Einstufung in Verfassungsschutzberichten schauen, sagte Vogt auf Nachfrage von »nd«. Bisher habe es auch nur Probleme mit rechtsextremen Äußerungen gegeben. AfD-Mitglieder generell auszuschließen, sei nicht möglich, so Frank Villmow. »Das wissen wir ja auch nicht von allen.« Sanktionen seien nur möglich, wenn sie »tätig würden« und durch diskriminierende Statements auffielen.

Andreas Kloke, Magdalena Loska, Kerstin Teicher, Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG e. V. (Hg.): Die DLRG 1925–1945. Zwischen Idealismus und NS-Ideologie. BoD – Books on Demand, 344 S., br., 49 €.

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