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Proteste in den USA: Wo bleibt der Widerstand?
Bisher regt sich nur verhaltener Protest gegen den Trump-Faschismus. Aber wer könnte Träger einer Gegenbewegung sein?
Wenn von faschistischen Tendenzen in den USA die Rede ist, dann geht es nicht in erster Linie darum, dass Donald Trump bei den Wahlen 49,8 Prozent der Stimmen bekommen hat. Gemeint ist vielmehr eine rechte Hegemonie, die sich durch sämtliche Bereiche zieht: Parlamente, Medien, Wirtschaft, Religion, Bildung. Will eine antifaschistische Gegenbewegung erfolgreich sein, muss sie all diese Bereiche erfassen. Sie muss Alltag und Berufsleben, Kommunikations- und Informationsweisen, Gefühle und Vorstellungen verändern. Was gebraucht wird, ist nicht weniger als eine Bewegung, die in Anspruch und Reichweite der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre ähnelt.
Von einer solchen Bewegung ist in den USA trotz der Proteste der letzten Tage wenig zu sehen. Angesichts der extremen Maßnahmen, die die Trump-Administration seit Januar auf den Weg gebracht hat, sollte man erwarten, dass zumindest in den liberalen Hochburgen das Thema Faschismus allgegenwärtig ist. Doch massenhafter ziviler Ungehorsam und Streiks sind ausgeblieben, Theater, Museen, Kinos meiden das Thema, und selbst einige der reichsten und mächtigsten Hochschulen sind vor Trump eingeknickt. Ist die Lage also hoffnungslos?
Ganz so deprimierend, wie die Lage auf den ersten Blick scheint, ist sie nicht. Denn nur, weil etwas nicht zu sehen ist, bedeutet das nicht, dass es nicht geschieht. Da der Repressionsdruck viel größer ist als in der ersten Amtszeit von Donald Trump, wird heute vieles im Verborgenen gemacht. Institutionen laufen Gefahr, selbst bei der geringsten Widerrede ihre Förderung zu verlieren. Aktivist*innen müssen mit langen Haftstrafen oder Internierung und Abschiebung rechnen. Einige Gegenaktivitäten wie die Organisierung von Abtreibungen oder der Schutz von Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus sind von vornherein illegal und werden daher nicht bekannt gemacht. Andere finden aus strategischen Gründen hinter verschlossenen Türen statt, wie die Vernetzung von Hochschul-Lehrenden oder die Koordinierung von Mitarbeiter*innen der Kulturinstitutionen. Es wäre daher ein Fehler, Widerstand nur in sichtbaren Parametern zu messen. Wie könnte eine differenziertere Bestandsaufnahme der politischen Akteur*innen aussehen?
Daniel Loick ist Abolitionist und Associate Professor für Politische Philosophie an der Universität Amsterdam. Im Rahmen eines Auslandsaufenthalts schreibt er in seiner Kolumne »Aus dem faschistischen Amerika« alle zwei Wochen über den autoritären Alltag in den USA und Argentinien.
Da ist erstens die demokratische Partei, über deren Establishment eigentlich nicht viele Worte zu verlieren sind. Ihr Versagen angesichts des historischen Moments ist kolossal und unverzeihlich. Sie hat dem Trumpismus weder ideologisch noch strategisch irgendwas entgegenzusetzen. Wenigstens den Versuch einer Opposition unternimmt der progressive Parteiflügel um Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, die mit ihrer »Fight Oligarchy«-Tour im Frühjahr Hunderttausende mobilisierten. Auch der Partei nahestehende Graswurzel-Initiativen wie »Indivisible« und »50501« fungieren als Sammelbecken eines klassisch demokratischen Spektrums. Obwohl diese öffentliche Artikulation von Opposition wichtig ist, hat sie häufig eher Wahlkampfcharakter – und trifft auf ein Publikum, das zunehmend desillusioniert auf die anhaltenden Beteuerungen reagiert, die nächsten Senats- oder Bürgermeisterwahlen könnten etwas ändern.
Während im letzten Jahr noch viele Arbeiter*innen Trump unterstützten, wächst unter ihnen mittlerweile die Unzufriedenheit.
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Ein zweites wichtiges Protest-Spektrum sind Bürger*innenrechts-Aktivist*innen. Ihre wichtigste Organisation, die American Civil Liberties Union (ACLU), ist in den letzten Monaten nicht nur mit Spendengeldern überschwemmt worden, sondern hat sich auch deutlich radikalisiert. Ihre Anwält*innen machen (lebens-) wichtige Arbeit, um gefährdete Gruppen wie Migrant*innen und trans Menschen zu schützen. Im rechtlichen Rahmen liegt allerdings auch die strukturelle Grenze dieser Form von Aktivismus: Was nützt es, das Recht auf seiner Seite zu haben, wenn es von niemandem mehr anerkannt wird?
Große Aufmerksamkeit erhielt in der Bürgerrechtsszene ein Interview, das der ACLU-Vorsitzende Anthony Romero dem Magazin The New Yorker im Februar gab. Wenn Trump anfange, Gerichtsurteile zu ignorieren, erklärte Romero, dann müsse man das ganze Land lahmlegen. Doch Trump hat seitdem unzählige Gerichtsurteile ignoriert, ohne dass das Land zum Stillstand gekommen wäre. Und das liegt daran, dass Anwält*innen außerhalb des Gerichtssaals über relativ wenig Macht verfügen.
Anders ist das bei dem dritten wichtigen Player, den Gewerkschaften. Während noch im letzten Jahr viele Arbeiter*innen selbst Trump unterstützten, wächst unter ihnen mittlerweile die Unzufriedenheit. Elon Musks Kahlschlag hat allein in Washington Zehntausenden den Job gekostet und Trumps Zölle haben die Inflation weiter angeheizt. Viele der großen Unions haben sich daher inzwischen stärker gegen die Regierung positioniert. Dies wurde insbesondere in der letzten Woche deutlich, als in Los Angeles der Gewerkschaftsführer David Huerta bei den Protesten gegen eine Abschieberazzia verhaftet wurde.
Immer mehr Gewerkschafter*innen setzen sich nicht mehr nur für höhere Löhne und besseren Kündigungsschutz ein, sondern auch für die Rechte ihrer migrantischen Kolleg*innen. Eine wichtige Grenze liegt für diese Kämpfe allerdings darin, dass Gewerkschaften vor allem Lohnarbeitende organisieren – und damit der wachsenden Zahl von Arbeitslosen und prekär Beschäftigten wenig Anlaufpunkte bieten.
Schließlich viertens, die Communitys. Es sind die von Trump und seiner Bewegung am stärksten bedrohten Gruppen und darunter vor allem die Migrant*innen, die zurzeit den am weitest reichenden Widerstand organisieren. Die Unruhen in Los Angeles begannen in einem migrantischen Arbeiter*innenviertel und richteten sich gegen Deportationen durch die Abschiebepolizei ICE. Auch in anderen Städten wie San Diego und New York sind Abschiebungen aufgrund des Widerstands der lokalen Bevölkerung nur noch mit hochmilitarisierten Einheiten möglich. Dennoch sind die Proteste keineswegs nur der spontane Ausdruck von Empörung, sondern eingebettet in eine Infrastruktur, die schon lange vor Trump wichtige Solidaritätsarbeit geleistet hat: Gegenseitige Hilfe in Nachbarschaften, Know-Your-Rights-Workshops, kulturelle Zentren, Mieter-Vereine. Diese Strukturen verbinden den konkreten Einsatz für die Familien in der Nachbarschaft mit einem radikalen politischen Programm, das über die unmittelbaren Gruppeninteressen hinausgeht: Die Abschaffung von ICE wird ebenso gefordert wie der Schutz von Arbeiter*innenrechten und Bildungszugang. Viel deutlicher als andere Interessensgruppen stellen diese Aktivist*innen auch explizite Verbindungen zu anderen Kämpfen wie der Gaza-Solidarität, der Klima-Bewegung und feministischen Kampagnen her. Schließlich stellen die Aufstände, die in den Communities entstehen, den realpolitischen Rahmen am deutlichsten in Frage. Das Unternehmen Waymo, das in LA und San Francisco selbstfahrende Taxis anbietet, musste zeitweise seinen Service einstellen, weil immer wieder Autos gerufen wurden, um sie in Brand zu setzen. Diese Feuer strahlen von der Westküste auf das ganze Land aus.
Kein einzelner Akteur kann den Widerstand gegen den Trump-Faschismus tragen – sie alle müssen in einer breiten Koalition zusammenkommen. Damit kann jedoch nicht gemeint sein, dass man sich auf »Gegen Trump« als kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt und auf weiterreichende Forderungen verzichtet. Auf einer Demonstration in New York stand kürzlich eine Gruppe von trans Aktivist*innen mit einem Transparent, auf dem zu lesen war: Get In Loser, We’re Building a Popular Front! (»Komm dazu, Loser, wir bauen eine Volksfront auf«). Wenn eine Volksfront gegen den Faschismus heute Erfolg haben will, dann muss sie bereit sein, auch dessen Entstehungsbedingungen grundlegend infrage zu stellen. Das heißt, sie muss von Gruppen angeführt werden, die von der Restauration dieser Bedingungen nichts mehr zu gewinnen haben.
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