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Ein Versuch, den Ausnahmezustand zu stoppen
Die US-Kolumnistin Natasha Lennard über die Proteste in Kalifornien
Als Präsident Donald Trump am Samstagabend die Entsendung der Nationalgarde nach Los Angeles ankündigte, verbreitete sich in den sozialen Medien das Narrativ, die Demonstranten hätten dem autoritären Präsidenten einen Gefallen getan, als sie den Konflikt mit der Einwanderungsbehörde ICE eskalieren ließen. »Los Angeles – Gewalt ist niemals die Antwort. Ein Angriff auf Polizisten ist niemals okay«, schrieb der demokratische Senator Adam Schiff (Kalifornien) am Sonntag. »Solche Angriffe spielen nur denjenigen in die Hände, die auf Polarisierung setzen und die Situation zu ihrem Nutzen instrumentalisieren wollen. Lasst das nicht zu.« Aber wäre die Lage weniger gewalttätig, wenn das ICE weiterhin ungehindert Menschen festnehmen und verschwinden lassen könnte?
»Es ist die Konfrontation, auf die Präsident Trump gewartet hat«, begann der Kommentar der »New York Times« am Montagmorgen. »Trump und seine engsten Vertrauten haben am Sonntag den Konflikt mit den kalifornischen Behörden gesucht, indem sie die Demonstration als Bedrohung für das ganze Land dargestellt haben.«
Der demokratische Senator Bernie Sanders stimmte in den Chor mit ein. »Martin Luther King besiegte rassistische Regierungsbeamte und setzte der Segregation durch disziplinierten gewaltfreien Widerstand ein Ende«, schrieb Sanders und unterschlug dabei die militanten Anteile der Bürgerrechtsbewegung. »Gewaltsame Proteste sind kontraproduktiv und kommen Trumps Plänen entgegen.«
Nach über einem Jahrzehnt, das ich über Polizeigewalt, Faschisierung und Widerstand berichte, überraschen mich solche Einordnungen nicht mehr – auch nicht, wenn sie von Leuten kommen, die wie Bernie Sanders weiter links stehen. Hinter ihren Äußerungen steckt die Weigerung, die Verantwortlichen der Gewalt korrekt zu benennen.
Die Demonstrant*innen, die in den letzten Tagen Steine auf schwerbewaffnete Sicherheitskräfte geworfen oder die Fahrzeuge beschädigt haben, mit denen ihre migrantischen Nachbar*innen entführt werden, haben keine Gewalt in Gang gesetzt. Nein, sie haben ihre Community entschlossen verteidigt.
Glaubt der demokratische Senator Schiff aus Kalifornien, seine Stellungnahmen oder die Statements seiner Parteikollegen würden die Deportationen unserer Nachbar*innen stoppen?
Es ist lächerlich, zu glauben, der Präsident und seine Anhänger*innen würden gemäßigter werden, wenn sich Demonstranten zurückhalten.
Die von Schiff erwähnte »Situation«, die Trump seiner Meinung nach in die Hände spielt, war schon zuvor ein Zustand unerträglicher Gewalt. Militarisierte Beamte der Einwanderungsbehörde führten überall Razzien in Los Angeles durch, um Migrant*innen – mit dem Ziel, Amerika »weiß« zu machen – aus ihrem Leben und ihren Familien zu reißen.
Anders als es die »New York Times« darstellt, hatte Trump nicht auf eine Möglichkeit zur Konfrontation gewartet, die sich dann dank der Proteste in Los Angeles ergeben hat. Sein Grenzregime, an dessen Entstehen auch die Demokratische Partei über drei Jahrzehnte hinweg mitgewirkt hat, führte bereits vorher zu einem Kriegszustand im ganzen Land.
Die ersten sechs Monate von Trumps zweiter Amtszeit waren von drakonischen Maßnahmen geprägt: Venezolaner sind wegen ihrer Tattoos in einen Gulag nach El Salvador geschickt worden. Studierende und Akademiker*innen wurden verhaftet und sollen wegen ihrer Meinungsäußerungen deportiert werden. Richter*innen und Kongressmitglieder werden strafrechtlich verfolgt, weil sie ihre Arbeit tun. Es ist lächerlich, zu glauben, der Präsident und seine Anhänger*innen würden gemäßigter werden, wenn sich Demonstranten zurückhalten.
Das Los Angeles Police Department selbst hat die Demonstrationen von Freitag vergangener Woche als »friedlich« bezeichnet. Doch Trumps Generalstabschef, der verrückte weiße Nationalist Stephen Miller, hatte bereits früher an diesem Tag auf »X« verkündet, die Proteste stellten »einen Aufstand gegen die Gesetze und die Souveränität der USA« dar. Sein Posting stand über einem Video, in dem eine langsame Demonstration von wenigen Hundert Menschen vor der Gefangenensammelstelle in Los Angeles zu sehen war.
Es sollte mittlerweile mehr als klar sein, dass sich die Trump-Regierung ihre eigene Wirklichkeit produziert und jede Opposition als zu vernichtenden Feind behandelt. »Die eine Seite ist dafür, Gesetze durchzusetzen und die Amerikaner zu beschützen«, erzählte Newt Gingrich, früherer Sprecher der Republikaner im Kongress und Trump-Verbündeter, der »New York Times«. »Die andere will Illegale verteidigen und steht auf der Seite derjenigen, die das Gesetz brechen.« Gingrich unterschlägt dabei, dass für die Republikaner Gesetz ist, was Trump sagt.
Das alte Lied vom »guten« und »bösen Demonstranten«, das immer schon dazu diente, Bewegungen zu spalten, ist völlig absurd angesichts einer Regierung, die »Recht und Ordnung« ausschließlich entlang ideologischer Kriterien durchsetzt: Die Teilnehmer des Sturms auf das Kapitol von Januar 2021 sind auf freiem Fuß, der palästinensische Akademiker Mahmoud Khalil ist eingesperrt.
Ein Verweis auf Martin Luther King könnte tatsächlich nützlich sein – allerdings nicht in Bernie Sanders’ weichgespülter Umdichtung der Bürgerrechtsbewegung. Stattdessen sollten wir uns an den Brief erinnern, den King 1963 aus dem Gefängnis von Birmingham schrieb. Darin kritisierte er »den weißen Moderaten, der sich eher der Ordnung als der Gerechtigkeit verpflichtet fühlt; der einen falschen Frieden, der sich auf die Abwesenheit von Spannungen beschränkt, einem positiven Frieden vorzieht, der auf Gerechtigkeit beruht. Der immer wieder betont: ›Ich stimme mit dir in den Zielen überein, aber ich bin nicht einverstanden mit deinen Methoden der direkten Aktion.‹«
Natasha Lennard wurde in Großbritannien geboren und lebt als freie Autorin in New York. Dieser Text ist eine übersetzte Übernahme aus dem Online-Magazin The Intercept.
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