Veterans Day in den USA: Rituale und Rabatte

Ehrentage für Soldaten und Veteranen gehören in den USA längst zum militarisierten Alltag

  • Max Böhnel
  • Lesedauer: 4 Min.
Gehört fest zum Inventar der nationalen Identität der USA: der Veterans Day.
Gehört fest zum Inventar der nationalen Identität der USA: der Veterans Day.

Viele Amerikaner*innen besuchen am letzten Montag im Mai, dem Memorial Day, Friedhöfe, schmücken Gräber und nehmen an Gedenkveranstaltungen teil. Besonders im Arlington National Cemetery, wo über 400 000 Soldat*innen, Veteran*innen und deren Angehörige begraben liegen, verdichtet sich das staatliche Gedenken zu einer feierlich-patriotischen Inszenierung – mit Reden, Kranzniederlegungen und einer Schweigeminute durch den Präsidenten persönlich.

Gleichzeitig freuen sich Millionen US-Amerikaner*innen auf eines der seltenen verlängerten Wochenende. In einem Land ohne gesetzlich garantierten Urlaub ist es ein beliebter Anlass für Grillpartys, Sportveranstaltungen und Einkaufsrabatte. Auch der Veterans Day am 11. November vereint offizielle Ehrungen mit zivilem Alltag.

Memorial Day und Veterans Day gehören zum festen Inventar der nationalen Identität der USA. Offiziell gedacht wird der Getöteten wie der Überlebenden. Tatsächlich aber inszenieren Staat, Militär und Medien an diesen Tagen ein kollektives Ritual: Krieg wird geadelt, Verantwortung für Massenmord verdrängt und militärischer Gehorsam als bürgerliche Tugend verklärt. Das Militär erscheint als moralische Säule der Nation, Soldaten als Helden.

Dass die Kriege der letzten Jahrzehnte zumeist Angriffskriege waren, wird nicht erwähnt, Reflexionen über die Ursachen von Krieg, über Leid oder politische Verantwortung bleibt außen vor. Weder Memorial Day noch Veterans Day erinnern an die Millionen Toten, die US-Kriege weltweit forderten. Geschwiegen wird über zivile Kriegsopfer ebenso wie über die sozialen Verwerfungen, die viele Veteranen nach ihrer Rückkehr erwarten.

Diese Form des »Gedenkens« ist eingebettet in eine Gesellschaft, in der militärische Präsenz Alltag ist. Der Satz »Thank you for your service« (danke für deinen Militärdienst) gehört zur gesellschaftlichen Etikette, Militärangehörige dürfen bevorzugt ins Flugzeug einsteigen, in Schulen gibt es Ehrenwände für »service members« (Militärbedienstete), in Supermärkten locken Militär-Rabatte. Auch Sportveranstaltungen, selbst zweit- und drittklassige, sind meist durchmilitarisiert. Bei Super Bowls und NASCAR-Autorennen fliegen Kampfjets im Tiefflug über das Stadion; Baseball- und Fußballteams veranstalten regelmäßig »Military Appreciation Nights« mit Hymne, Uniformträgern und Ehrenbekundungen auf dem Spielfeld.

Solche Rituale festigen die Vorstellung, Militärdienst sei besser als normal, nämlich gleichbedeutend mit moralischer Größe – unabhängig vom Kontext des politischen und militärischen Auslandseinsatzes. Die Feiertage tragen entscheidend zur Heroisierung von Soldaten, Gefallenen und Verwundeten bei. Opfer werden zu »Heroes« (Helden), Verletzte zu »Warriors« (Krieger). Und wer möchte schon Helden infrage stellen?

Zugleich dienen die Feiertage als Bühne für staatliche Narrative, die Krieg als notwendiges Übel legitimieren. Regelmäßig ist etwa vom »necessary sacrifice« (notwendiges Opfer) die Rede – eine christlich-religiöse Segnung von Mord und Gewalt im Namen von Freiheit oder Sicherheit. Besonders am Veterans Day ist oft zu hören, Veteran*innen hätten »den Preis für unsere Freiheit bezahlt« – eine Formulierung, die verschleiert und emotionale Loyalität einfordert. Im selben Atemzug erfolgt die Abgeltung der militärischen Lebensleistung im Konsumformat: mit einem Rabatt im Freizeitpark oder kostenlosem Kaffee bei Starbucks und einem hinterher gerufenen »Thank you for your service«.

Der Veterans Day am 11. November geht auf den Waffenstillstand von 1918 zurück – ursprünglich als »Armistice Day« (Waffenstillstandstag) ein Gedenktag für den Frieden nach dem Ersten Weltkrieg. Erst mit Beginn des Kalten Kriegs wurde er 1954 in »Veterans Day« umbenannt und zum militärischen Ehrentag umgedeutet. Auch der Memorial Day hatte zunächst versöhnliche Züge: Nach dem Bürgerkrieg als »Decoration Day« eingeführt, wurden anfangs Gräber beider Seiten geschmückt. Erst später entwickelte sich daraus ein nationaler Gedenktag für alle im Dienst getöteten US-Soldaten.

Ein Wendepunkt in der Geschichte des Militärgedenkens war die Abschaffung der Wehrpflicht 1973. Seither basiert die Rekrutierung auf formaler Freiwilligkeit. In der Realität entstand ein »ökonomischer Draft«: Das Militär zieht einen Großteil seiner Rekruten aus sozial benachteiligten Schichten – oft junge Menschen ohne Zugang zu Bildung, Arbeit oder Gesundheitsversorgung. Besonders betroffen sind Schwarze, Indigene und Latinos.

Dies beeinflusst auch die Wahrnehmung der Feiertage. Für wohlhabende Schichten, die mit dem Militär kaum noch in Berührung kommen, stellt das Gedenken eine bloße Abstraktion dar. Und während Politiker*innen das Ideal des freiwilligen Heldentums beschwören, haben viele Veteran*innen das Gefühl – ja, sie wissen –, dass sie nichts als Kanonenfutter waren.

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