Brandstifter John Orr: Die Türme steh’n in Glut

»Smoke« erzählt die wahre Geschichte vom Feuerwehr­mann, der auch ein Serien­brandstifter war

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Brände werden in dieser Serie bildgewaltig und manchmal verstörend in Szene gesetzt.
Brände werden in dieser Serie bildgewaltig und manchmal verstörend in Szene gesetzt.

Als dem Brandermittler Dave Gudsen (Taron Egerton) die Polizistin Michell Calderon (Jurnee Smollett) zur Seite gestellt wird, ist er erst mal alles andere als begeistert. Aber bald scheinen sich die beiden dann doch bestens zu verstehen. Sie sollen einen Serienbrandstifter aufspüren, der eine Stadt im Nordwesten der USA durch Brände in Einkaufsmalls und Wohngegenden in Atem hält.

Der Stoff wurde schon einmal 2002 von HBO mit Ray Liotta in der Hauptrolle unter dem Titel »Points of Origin« verfilmt. Die Serie »Smoke« basiert lose auf dem Podcast »Firebug«, der die Geschichte des realen Brandstifters John Orr erzählt. Der Feuerwehrmann und Brandermittler aus Südkalifornien legte im Lauf mehrerer Jahrzehnte etwa 2000 Brände, die meisten in den 80ern, und inszenierte sich selbst als Held bei Brandbekämpfung und Aufklärung. In seinem Buch »Points of Origin« schrieb Orr über sein vermeintlich heldenhaftes Leben als Brandermittler mit zahlreichen Informationen zu Feuern, die nur der Täter kennen konnte. Orr hielt das für große Literatur, es half aber vor allem, ihn zu überführen.

Serienmacher Dennis Lehane, der auch schon als Drehbuchschreiber für die Kultserie »The Wire« tätig war, erzählt in »Smoke« eine unglaubliche Geschichte über einen Mann, der sich vor allem gut verstellen kann, dessen Fassade aber langsam bröckelt. Das wird für die Zuschauer spannend und jenseits vorhersehbarer Plattitüden inszeniert, was vor allem auch mit großartigen schauspielerischen Leistungen zu tun hat.

Vorzeigefiguren gibt es nicht, Traumata haben hier alle.

Alle Figuren, darunter auch ein geschasster Brandermittler namens Esposito (John Leguizamo), der sich schließlich mit anderen zusammentut, um den Serientäter zur Strecke zu bringen, haben ihre eigenen Leichen im Keller, leiden an Traumata und sind keine Vorzeigefiguren.

Die Ermittlerin Michell Calderon etwa wurde als Elfjährige von ihrer psychisch kranken Mutter in einen Schrank gesperrt, als das Wohnhaus in Brand gesetzt wurde. Bei Berufungsanhörungen wehrt sie sich massiv dagegen, dass ihre Mutter wieder freikommt. Auch ihr Kollege Dave Gudsen leidet an einem Feuer-Trauma aus einem früheren Einsatz.

Brände und die damit einhergehenden Zerstörungen werden in dieser Serie bildgewaltig und manchmal verstörend in Szene gesetzt. Das hat vor dem Hintergrund zahlreicher Brandkatastrophen in den USA und Kanada in den vergangenen Jahren und aktuell noch einmal weitere Brisanz: Gibt es eine Möglichkeit, diesen apokalyptischen Ereignissen mit Schutzmaßnahmen und Kontrolle beizukommen? Diese Frage stellen sich Feuerwehrmänner und Brandermittler immer wieder.

Seit 9/11 ist die Feuerwehr aus der US-Kulturindustrie nicht mehr wegzudenken, wobei viele Serien über diesen Berufsstand platte Heldengeschichten herunterleiern. Das macht »Smoke« keineswegs – der Heldenstatus des Feuerwehrmannes und des Brandermittlers wird hier eher stark infrage gestellt.

Die sozialen Konflikte der einzelnen Figuren sind tragende Handlungselemente dieser Krimigeschichte, etwa Gudsens schwierige Beziehung zu seiner Ehefrau und deren Sohn aus erster Ehe oder das Verhältnis von Michell mit einem Vorgesetzten: Auch ohne Verbrechen wäre dieser Neunteiler ein Sozialdrama, das unter die Haut geht.

»Smoke« erzählt in mehreren, geschickt ineinander verwobenen Handlungssträngen auch von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen, von der Sehnsucht nach Kontrolle über die eigene Existenz jenseits einer Fremdbestimmung und von der Unfähigkeit, sich auf Angebote solidarischer Unterstützung einzulassen. Wobei der Feuer legende Brandermittler, dem alle auf der Spur sind, nicht der einzige Serienbrandstifter ist …

Die düstere Geschichte endet mit einem ebenso rasanten wie verblüffenden Finale und ist absolut sehenswert.

»Smoke« auf Apple TV+ ab 26.6.

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