CCS-Technologie: Zweiter Versuch in Brandenburg

Eine Studie für das Potsdamer Wirtschaftsministerium benennt Potenziale, die SPD und BSW nur teils nutzen wollen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Protest gegen die CO2-Verpressung 2011 im ostbrandenburgischen Wriezen. Als Brunnenvergifter dargestellt ist der damalige Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD).
Protest gegen die CO2-Verpressung 2011 im ostbrandenburgischen Wriezen. Als Brunnenvergifter dargestellt ist der damalige Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD).

Im Jahr 2023 stießen die Stahlwerke in Eisenhüttenstadt, Brandenburg/Havel und Hennigsdorf zusammen 3,7 Megatonnen Treibhausgase aus. Die PCK-Raffinerie in Schwedt sorgte für 3,1 Megatonnen. Das Zementwerk in Rüdersdorf schlug mit 0,8 Megatonnen zu Buche, wobei die Menge wie bei der Raffinerie gegenüber den Vorjahren stark gesunken war. Die 0,04 Megatonnen der Papierfabriken in Brandenburg klingen kaum der Rede wert. Insgesamt entfallen auf das Bundesland allerdings 10,3 Megatonnen.

Das alles ist einer Studie zu entnehmen, die das Potsdamer Wirtschaftsministerium Mitte 2024 bei den Beratungsfirmen Prognos und BBH in Auftrag gab. Die Ergebnisse stellte Minister Daniel Keller (SPD) am 11. Juni in Cottbus vor und damit zur rechten Zeit, denn die schon lange totgesagte CCS-Technologie zum Abscheiden und Verpressen von CO2 macht gerade wieder von sich reden.

Den Stein ins Rollen bringt Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU). Die stammt aus Brandenburg und muss wissen, wie sehr die CCS-Technologie hier einst die Gemüter erregte. Gut anderthalb Jahrzehnte ist es her, dass die Bürgerinitiative CO2-Endlager stoppen gegen die Verpressung von Kohlendioxid in Ostbrandenburg mobil machte. Sprecher der Initiative war Mike Kess, heute Pressesprecher der Brandenburger Grünen. Die Partei stellt jetzt in einer Mitteilung klar, sie lehne das Speichern von CO2 nicht grundsätzlich ab. Das könne für schwer vermeidbare Restemissionen der Industrie durchaus sinnvoll sein. Doch das dürfe keine Ausrede sein, die notwendige Vermeidung von CO2 »zu verschleppen«, betont die Landesvorsitzende Andrea Lübcke. Keinesfalls soll die CCS-Technologie das Leben von Braunkohlekraftwerken verlängern.

Daher stammt die Idee ursprünglich. In Schwarze Pumpe an der Landesgrenze zu Sachsen hatte der schwedische Energiekonzern Vattenfall schon ein Demonstrationskraftwerk errichtet, um CCS zum Durchbruch zu verhelfen. Vattenfall betrieb seinerzeit die Tagebaue und Kohlekraftwerke in der Lausitz und sah CCS als Chance, noch viele Jahrzehnte dann vermeintlich sauber damit fortzufahren.

Ralf Christoffers (Linke) war von 2009 bis 2014 Wirtschaftsminister in Brandenburg und der CCS-Technologie gegenüber aufgeschlossen. Er machte sich damit in seiner Partei wenig Freunde. Aber hinter vorgehaltener Hand sagte Christoffers als sehr erfahrener Politprofi damals frühzeitig voraus, dass nach jahrelangen fruchtlosen Debatten nun aus der Sache sowieso nichts mehr werden würde, auch wenn er persönlich das bedauere. Zumindest bis jetzt bewahrheitete sich seine Vorhersage.

2016 verkaufte Vattenfall seine deutsche Braunkohlesparte an die tschechische EPH-Gruppe. Diese hat mittlerweile auch längst die umstrittenen Pläne für zwei neue Tagebaue im brandenburgischen Teil des Lausitzer Reviers zu den Akten gelegt. Um die Braunkohle geht es nun nicht mehr. Gegenstand der Prognos-BBH-Studie sind Optionen zu Abscheidung, Transport und Nutzung (CCU) oder auch zur Speicherung (CCS) von durch die Industrie gar nicht oder schwer vermeidbarem CO2. »Die Studienergebnisse bestärken uns darin, die CCS/CCU-Technologie in Brandenburg zu unterstützen und zu fördern«, sagt Wirtschaftsminister Keller. Er beteuert: »Eine CO2-Speicherung in Brandenburg strebt die Landesregierung nicht an.«

Für den Koalitionspartner BSW versichert der Landtagsabgeordnete Stefan Roth: »Mit dem BSW wird es keine Verpressung von CO2 im Brandenburger Boden geben.« Roth treibt etwas anderes um: Steigende Kosten durch die CO2-Preise und den Handel mit Zertifikaten, die den Ausstoß erlauben. Diese Zertifikate wurden am Freitag für 73,10 Euro je Tonne angeboten. »Das BSW lehnt die CO2-Bepreisung zu Lasten von Bürgern und Betriebe ab«, sagt Roth.

»Dass die Landesregierung weiterhin pauschal eine CO2-Speicherung an Land ausschließt«, will der Landtagsabgeordnete Frank Bommert (CDU) nicht verstehen. Denn während Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) die CCS/CCU-Technologie im Landtagswahlkampf 2024 als bloße Träumerei abgetan habe, zeige die Studie nun: »Ohne CO2-Abscheidung und -Speicherung wird es keine klimaneutrale Industrie in Brandenburg geben.« Die Studie nenne konkrete Potenziale für die Speicherung, so Bommert. Die von Kanzler Friedrich Merz (CDU) geführte Bundesregierung werde den Ländern mit einer Öffnungsklausel Handlungsspielraum geben. »Brandenburg will aber diese Chance nicht ergreifen«, bedauert Bommert. »Diese zögerliche Haltung ist industriepolitisch riskant«, urteilt er. »Während unsere Nachbarn in Polen längst konkrete Speicherprojekte auf den Weg bringen, verpasst Brandenburg den Anschluss.« So gefährde das Bundesland Investitionen, Innovationen und gute Jobs.

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