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Budapest Pride: 200 000 Menschen trotzen Viktor Orbán
In Budapest widersetzen sich die Menschen Orbáns Pride-Verbot
»Vielen Dank an die Gesichtserkennungskameras, die so fantastische Bilder von uns gemacht haben«, verkündet Kristóf Steiner, einer der Moderator*innen des Budapest Prise, voller Sarkasmus. Die vor ihm liegende Menschenmenge, so berichtet es das Nachrichtenportal telex, überschritt offenbar seine Vorstellungen: »Ich will es nicht glauben, oh mein Gott. Das ist die größte Budapest Pride aller Zeiten.«
Dabei haben Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei sich so darum bemüht, diesen Zustrom – und sogar die ganze Parade – zu unterbinden. Vorab hat das ungarische Parlament eine Verfassungsänderung beschlossen, die Darstellungen von Homosexualität und damit Events der LGBTQ-Community verbietet. Die Begründung: Kinder- und Jugendschutz. Was das bei Betroffenen auslösen kann, zeigt eine Reuters-Reportage: »Irgendwie habe ich unbewusst angefangen, darüber nachzudenken, ob ich es wagen sollte, Vivis Hand jetzt vor einem Kind zu halten«, so die Ungarin Lau über ihre Partnerin. »Das heißt nicht, dass ich ihre Hand jetzt nicht halten werde, aber etwas begann in mir zu arbeiten.«
Regierung will Darstellung von Homosexualität verbieten
Gesetzesverstöße sollten zudem mit rund 500 Euro geahndet werden und die Polizei ist dazu befugt, ihre Gesichtserkennungssoftware einzusetzen, um Regelbrecher*innen zu identifizieren. »Wenn irgendjemand gedacht hat, dass bei einer Pride etwas passieren würde, was einem Kind schaden könnte – wir haben das Gegenteil bewiesen«, so Steiner auf der Pride. Die Organisator*innen rechneten mit etwa 50 000 Menschen, die für die Rechte queerer Menschen auf die Straße gehen würden. Schließlich war die Rede von bis zu 200 000 Demonstrierenden.
Carmen Traute von Amnesty International ist aus Deutschland angereist, um am Amnesty-Paradetruck mitzulaufen und sich solidarisch mit der Budapest Pride zu zeigen. »Die ersten zwei Stunden kamen wir gar nicht vom Fleck – so voll war es«, berichtet sie dem »nd«. In diesem Jahr feierte die Budapest Pride zudem ihr 30-Jähriges. Laut Traute ohnehin eine wichtige Gelgenheit, um sich »angesichts zunehmender Diskriminierung für Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und Akzeptanz einzusetzen.«
Pride stand lange auf der Kippe
Dabei dürfte einigen zwischendurch nicht klar gewesen sein, ob dieses Jubiläum überhaupt stattfinden würde – immerhin hatte der Gesetzgeber es verboten. Der liberale Budapester Oberbürgermeister Gergely Karácsony sprang der Veranstaltung aber zur Seite und erklärte sie zu einer städtischen Versammlung. Eine polizeiliche Genehmigung sei so nicht notwendig. Die Polizei aber interpretierte die Ankündigung als Anmeldung einer Veranstaltung und sprach das Verbot neu aus. In dem Hin und Her widersprach Karácsony erneut: Als kommunale Veranstaltung falle das Event nicht in den Zuständigkeitsbereich der Polizei, deren Verbot sei wirkungslos.
Fest überzeugt meint Dániel Fehér: Ob die Pride nun illegal war, sei jetzt völlig egal. Er ist Mitgründer der Freien Ungarischen Botschaft in Berlin und mit einer Gruppe eigens zur Parade angereist. Am Endpunkt des Zuges, in der Nähe der Bühne, nimmt er sich Zeit für ein Telefonat und berichtet »nd« von einer professionellen Präsenz der Polizei. Gegendemonstrationen, die versuchten, die Pride zu blockieren, wurden schnell verwiesen. An echten Ausschreitungen habe die rechtspopulistische Regierung sicher kein Interesse gehabt. Die Polizei selbst zog am Ende die Bilanz, dass es »keine leichte Aufgabe« gewesen sei, den verbotenen Marsch geordnet laufen zu lassen.
Orbáns Hetze bringt die Menschen auf die Straße
Strafzettel seien wohl nicht verteilt worden, so Fehér. »Kann sein, dass später noch ein paar verschickt werden, damit die Polizei ihr Gesicht wahren kann«, räumt der Berliner ungarischer Herkunft ein. Insgesamt halte er das aber für unwahrscheinlich. Die Zahl der Gesetzesbrecher*innen sei zu groß und der Aufwand, sie zu identifizieren, zu hoch. Das ständige Wiederholen des Verbots sei reine Abschreckung gewesen, glaubt Fehér. Orbán wollte den starken Mann spielen – und scheiterte.
Noch am Morgen hielt Orbán eine Rede an der Nationalen Universität für den öffentlichen Dienst, einer Polizeiakademie, und sprach laut telex von »gefährlichen Zeiten«. Terrorismus und »ideologisches Durcheinander« nannte der Staatschef in einem Atemzug – in direkter Anspielung auf die Budapest Pride. Solche Worte dürften wie ein Aufruhr zur Gegenwehr gewirkt haben. Dániel Fehér glaubt, dass die Regierung selbst die vielfache Menge an Pride-Besucher*innen provoziert habe.
Budapest Pride Zeichen gegen Rechtsruck in Europa
»Ohne lauten Protest und Widerstand der Zivilgesellschaft – sei es jetzt die ungarische Zivilgesellschaft oder darüber hinaus – gegen eine diskriminierende Gesetzgebung ist zu befürchten, dass andere Regierungen in Europa dem Beispiel Ungarns folgen«, meint Carmen Traute. Diesen Gedankengang dürften viele andere auch gehabt haben: Unter den prominenten Teilnehmenden fand sich beispielsweise die Aktivistin Greta Thunberg, die von »Orbáns gescheiterten Versuch, die Pride zu verhindern« sprach. Und auch mehr als 70 EU-Parlamentarier*innen waren da, um für europäische Werte einzustehen. Die veranschaulichende Formulierung »Stell dir vor, die Pride ist verboten und quasi ganz Europa kommt trotzdem« war in einem Beitrag des Deutschlandfunks zu hören.
Als Bürgermeister Karácsony die Bühne der Abschlusskundgebung betritt, gibt es tosenden Applaus. Er trägt ein T-Shirt, das seine Instagram-Follower wiedererkennen dürften. In einem Reel hat er den Schriftzug »Budapest« mit dem dazugehörigen Wappen in Regenbogenfarben aufgebügelt. Daniel Fehér stand zu dem Zeitpunkt in der Menge. Ihm habe sich eingebrannt, wie der Bürgermeister sagte, dass die rechtspopulistische Fidesz-Partei Ungarn aus Europa herausführen wolle – an diesem Tag habe es sich aber angefühlt, als sei Budapest die Hauptstadt Europas. »Nach all den Jahren, in denen ich das politische Geschehen verfolge, war heute der erste Tag, an dem ich dachte: Es ist vorbei«, so Fehér
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