• Sport
  • Fußball-EM der Frauen

Bundestrainer Christian Wück will »in den Flow kommen«

Der Cheftrainer der DFB-Frauen über verschiedene Aufträge bei der EM, die Bedeutung von Social Media und fehlende Diversität in seinem Team

  • Interview: Frank Hellmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Gute Laune und Fußball auf hohem Niveau: die DFB-Frauen im Trainingslager in Herzogenaurach
Gute Laune und Fußball auf hohem Niveau: die DFB-Frauen im Trainingslager in Herzogenaurach

Sie waren noch keine 18 Jahre alt, als Sie in der Bundesliga beim 1. FC Nürnberg für Furore gesorgt haben. Wie denken Sie an diese Zeit zurück?

Eigentlich war das meine schönste Zeit. Einfach unbekümmert, unbeschwert Fußball zu spielen. Vielleicht noch gar nicht zu begreifen, was damals alles passiert ist. Es war auch meine erfolgreichste Zeit, weil ich da noch keine Verletzungen hatte.

In Ihren Anfängen hatte Deutschland gerade die Wiedervereinigung vollzogen.

Richtig. Nachdem ich in Köln eingewechselt wurde, ging es für mich in Rostock richtig los. Wir haben in einem Hotel übernachtet, das vorher von der Stasi genutzt wurde. Ich habe damals auf dem Bett gelegen und gedacht: »Hoffentlich sind die Kameras und Mikrofone hier raus!«

Interview
Christian Wueck Deutschland, Trainer, GER, Fussball Frauen Natio...

Christian Wück bestreitet mit der EM in der Schweiz sein erstes Turnier als Bundestrainer der deutschen Fußballerinnen. Der 52-Jährige arbeitete zuvor viele Jahre im männlichen Nachwuchsbereich, gewann mit den U17-Junioren 2023 sowohl die EM als auch die WM. Wegen einer Knieverletzung musste er seine aktive Karriere bereits im Alter von 29 Jahren beenden.

Heute sind Fußballer und Fußballerinnen im Grunde gläserne Figuren, weil durch Social Media vieles präsent geworden ist, oder?

Weil man es freiwillig so will. Es ist alles schnelllebig geworden. Es wird (auf dem Handy, Anm. d. Red.) häufig nur noch nach rechts gewischt. Eine kurze Information aufnehmen, dann die nächste. Man nutzt mittlerweile diese Möglichkeit, sich selbst zu präsentieren. Zu meiner Zeit als Spieler hat dieser Punkt keine Rolle gespielt.

Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Heute gehört es zur Vermarktung dazu. Wobei ich das Gefühl habe, dass unsere Spielerinnen sehr verantwortungsvoll mit dem Medium Social Media umgehen.

Die frühere Nationaltorhüterin Almuth Schult sagte, dass einige Nationalspielerinnen mit Social Media mehr Geld verdienen als in ihren Klubs. Das Wetteifern um Aufmerksamkeit kann auch Missgunst produzieren. Steuern Sie dagegen?

Ich kann nur für meine Mannschaft reden und da habe ich überhaupt nicht das Gefühl, dass Missgunst entsteht. Ich habe nicht den Einblick, was die Nationalspielerinnen über solche Aktivitäten verdienen, aber diese Möglichkeit für die eigene Vermarktung und Sichtbarkeit zu nutzen, ist völlig legitim, sofern die Balance stimmt. Ich hatte mal ein Erlebnis mit einer U17-Nationalmannschaft bei einer Medienschulung: Auf die Frage, welche Medien sie denn kennen würden, wurden nicht Zeitungen, Fernsehen oder Radio genannt, sondern Instagram, Youtube oder Facebook.

Sie haben mehr als zehn Jahre im männlichen Nachwuchsbereich für den DFB gearbeitet. Was ist die größte Umstellung bei den Frauen gewesen?

Die Zeit, die ich für mediale Aktivitäten investieren muss. Im Jugendbereich habe ich vielleicht während der Turniere mal ein Telefoninterview gegeben, und dann stand eventuell ein Artikel im »Kicker«. Jetzt muss ich mir meine Zeit anders einteilen. Sportlich vermittle ich die gleichen Inhalte wie bei den U-Nationalmannschaften im Männerbereich.

Die DFB-Frauen kamen als EM-Heldinnen 2022 aus England zurück. Ein Jahr später ging unter Martina Voss-Tecklenburg bei der WM in Australien nichts mehr zusammen. Horst Hrubesch holte 2024 dann zwar Olympiabronze, aber wirklich sehenswert waren die Auftritte nicht. Wo steht Ihr Team gerade?

Die Trainer und Trainerinnen sind dafür da, eine Atmosphäre zu erzeugen, damit die Spielerinnen ihre Topleistung abrufen können. Wir brauchen die Überzeugung, dass wir selbst für das Ergebnis eines Spiels verantwortlich sind, nicht die anderen Mannschaften. Wenn wir an unser Limit gehen, hat es jeder Gegner der Welt gegen uns schwer. In unserer Mannschaft steckt – defensiv wie offensiv – enorm viel Wucht und Intensität, die bereits im ersten EM-Spiel gegen Polen sichtbar werden muss.

Ist es kein Nachteil, dass das letzte Spiel schon vier Wochen zurückliegt?

Wir wollten kein Testspiel mehr in der Vorbereitungsphase haben. Die Rückmeldungen der Spielerinnen waren so, dass die Saison sehr lang war. Wir haben schon zweimal elf gegen elf gespielt, auch mit Formationen, die wir ausprobieren wollten. Wir haben diesen Wettkampfcharakter in den Übungen und in den Spielformen. Nicht nur die gute Stimmung, auch die Leistung auf dem Platz, wie die Spielerinnen die Inhalte annehmen, wie sie versuchen, das Ganze umzusetzen – das ist auf einem hohen Niveau.

Im Viertelfinale würde mit Frankreich, England oder den Niederlanden ein Schwergewicht warten. Wie gehen Sie das Turnier an?

Das Ziel ist, dass wir die Leute über begeisternden, ehrlichen Fußball hinter uns bekommen. Wir sagen den Spielerinnen immer wieder: Ihr spielt für eine ganze Nation, ihr repräsentiert Deutschland. Die Art und Weise des Auftretens ist dabei wichtig. Daher wollen wir gleich zum Auftakt in einen Flow kommen. So wie es das Team 2022 in England im ersten Spiel (4:0 gegen Dänemark, Anm. d. Red.) geschafft hat.

Den deutschen Fußballerinnen winken 120 000 Euro Titelprämie. Die doppelte Summe im Vergleich zur EM 2022. Spiegelt das den Stellenwert des Frauenfußballs wider?

Das haben sie gut mit Nia (Künzer, Anm. d. Red.) verhandelt (lacht). Ich finde das ein sehr positives Zeichen. Das kann für die Spielerinnen noch mehr Motivation geben und bedeutet mehr Wertschätzung.

Inwieweit hilft es, dass Sie als U17-Coach schon erlebt haben, wie lang der Weg zu einem Titel bei einer EM und WM ist?

Diese Turniererfahrung bringe nicht nur ich mit: Maren Meinert hat das als Spielerin und Trainerin, Saskia Bartusiak als Spielerin ebenso erlebt. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir der Mannschaft durch unsere Erfahrung unheimlich viel geben können und die eine oder andere Situation intuitiv richtig lösen werden.

Sie haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die U17-Junioren nur deshalb Welt- und Europameister wurden, weil viele Spieler einen Migrationshintergrund besaßen. Diese Mischung fehlt bei den deutschen Frauen.

Die Diversität bei den U17-Junioren mit den unterschiedlichen Charakteren hat uns definitiv geholfen. Bei den Juniorinnen kommt das allmählich auch zum Tragen. Wir stehen im weiblichen Nachwuchsbereich bei vielen Dingen erst am Anfang und haben leider noch nicht die Fülle an Toptalenten. Es hätte natürlich auch geholfen, wenn wir uns für die U17- und U19-EM qualifiziert hätten. Daraus müssen und werden wir unsere Schlüsse ziehen, denn dies sollte uns nicht noch einmal passieren. Wenn wir eine erfolgreiche EM spielen, begeistern sich hoffentlich noch mehr Mädchen für den Fußball. Auch das ist unser Auftrag in der Schweiz.

- Anzeige -

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.