Werbung

Elon Musk: Ein Mann geht über Leichen

Elon Musk und die Tesla-Files: Sönke Iwersen und Michael Verfürden enthüllen Abgründe

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 5 Min.
Sieht aus wie ein Depp, ist aber kein Depp, sondern der gefährlichste Mann der Welt: Elon Musk.
Sieht aus wie ein Depp, ist aber kein Depp, sondern der gefährlichste Mann der Welt: Elon Musk.

Handelt es sich bei Elon Musk um einen armen reichen Irren, einen Drogenabhängigen, einen Exzentriker, einen Märchenerzähler oder ist er das größte Genie unserer Zeit? Einblicke in seine Biografie zeigen einen gespaltenen Menschen.

Musk stammt aus einem unglücklichen, zerstrittenen, gewaltgeprägten Elternhaus. In der Schule wurde er gehänselt und verprügelt. Heute kennt er nur Sieg oder Niederlage, Drangsalierung um jeden Preis. Damit scheint er charakterlich auf einer Ebene mit dem (von ihm) gekauften US-Präsidenten Donald Trump zu liegen, den er mit »mehr als 260 Millionen Dollar« ins Amt gehievt hat, wie die Autoren schreiben. Eine Abhängigkeit nun auf Gegenseitigkeit: zwei Lügner und Hochstapler auf höchstem Niveau.

Diese »Tesla-Files« sind ein Glücksfall für die Aufklärung. Ein Whistleblower hatte im November 2021 durch Zufall unfassbare Sicherheitslücken im gesamten System des Konzerns entdeckt. Er kopierte und speicherte zunächst gigantisches Material, suchte dann den Kontakt zu US-Behörden, Datenschutzverantwortlichen und auch zur US-Börsenaufsicht. Er stieß auf Desinteresse, Dickfelligkeit und Ahnungslosigkeit. Machtapparate wie der Konzern des reichsten Mannes der Welt werden von staatlichen Aufsichtsorganen nicht angegangen. Auch dies Symptome für eine brüchige Demokratie. Jene, die sie schützen müssten, reagieren nicht und überlassen Potentaten das Feld.

So sucht der Whistleblower Lukasz Krupski den Zugang zur Presse. Er war einer von vielen anfangs glühenden Verfechtern der Idee einer »Traumfabrik«, wie Musk selbst sein Unternehmen bezeichnet. Die Medien fürchten den Multimilliardär, der wie Trump das »Hire & Fire«-Prinzip liebt und über viel Einfluss in Chefetagen besitzt. Der in Norwegen lebende Krupski stößt schließlich beim deutschen »Handelsblatt« auf Interesse. Ab Mai 2023 veröffentlichte die Zeitung eine Serie von Artikeln, die weltweit Aufsehen erregte. Schon der erste Text war ein Volltreffer, die Überschrift: »Der Mängelriese mit dem Autopiloten«.

Mit rund 60 Prozent aller im Orbit unseren Planeten umkreisenden Satelliten kann Elon Musk die Welt lenken, wie es ihm gefällt.

Und nun dieses tiefer schürfende Buch. »Wir erhielten einen Einblick, wie der reichste Mann der Welt sein Reich regiert«, schreiben die Journalisten Sönke Iwersen und Michael Verfürden: »Wir lernten, dass Musk von seinen Bodyguards ›Reisender‹ genannt wird und von Mitarbeitern ›N1‹, die Abkürzung für Nummer 1. Dass er dazu neigt, sich im Mikromanagement zu verlieren, überall Feinde vermutet und seine Mitarbeiter nichts so sehr fürchten wie seinen Zorn. Und wir stellten fest, dass Musk sich über alles und jeden hinwegsetzt – sogar über von ihm selbst aufgestellte Regeln.

Vor allem: Dieser Mann geht über Leichen! Unfälle mit dem Selbststeuerungssystem, versagenden Bremsen und Ausbrüchen des Fahrwerks seines Supermobils Tesla häufen sich weltweit, auch in Deutschland. Egal: Fehler sind dazu da, um daraus zu lernen, lautet seine zynische Parole. Tote sind Kollateralschäden in dieser Logik, dafür übernimmt der Konzern keine Verantwortung. Unfälle passieren weiter und die Ursachen werden vertuscht, um Sanktionen zu vermeiden.

Ermittlungsbehörden, Gerichte, Polizei, Staatsanwaltschaft und Versicherungen laufen der technischen Entwicklung ahnungslos hinterher, zumal der Konzern eine «Blackbox» ist, wie Iwersen und Verfürden in ihrem Buch berichten. Es sei «eine Struktur, die konsequent darauf ausgelegt ist, Musks Vision vom autonomen Fahren zu schützen und gleichzeitig kritische Informationen vor Dritten abzuschirmen.» Am Ende steht die ernüchternde Bilanz: «Niemand außerhalb von Tesla versteht, wie die Fahrzeuge von Elon Musk funktionieren. Dabei fahren weltweit mehr als sechs Millionen davon auf unseren Straßen.»

«Ich habe kein Problem damit, gehasst zu werden», sagte Musk in einer öffentlichen Veranstaltung. «Nur zu. Hasst mich», forderte er sein Publikum heraus. Und fügte stolz hinzu: «Ich meine, das ist eine echte Schwäche. Das Bedürfnis, gemocht zu werden. Eine wirkliche Schwäche. Und die habe ich nicht.» Zugleich leidet er unter Verfolgungswahn. Seine mangelnde Empathie sei Folge seines Asperger-Syndroms – eine Form des Autismus, bei der Betroffene oftmals Schwierigkeiten haben, emotionale Signale ihrer Mitmenschen zu deuten. Obwohl Musk seine Defizite erkennt, kokettiert er lieber mit ihnen, als sich bei denen zu entschuldigen, denen er Unrecht antut.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Liest man diesen Bericht und die Files des Whistleblowers, kann man auf den Gedanken kommen, das Imperium von Elon Musk sei ein einziges Kartenhaus, das jederzeit in sich zusammenfallen könne – weil viel heiße Luft und Chaos im Innern enthalten ist. Eine überraschende Erkenntnis über den reichsten Mann der Welt. Er ist ein Chaot!

Warum die beiden deutschen Investigativjournalisten vom «Handelsblatt» mit keinem Wort auf deutsche Spitzenpolitiker zu sprechen kommen, die mit großem Brimborium einen roten Teppich für Musk in Berlin-Grünheide ausrollten, bleibt ihr Geheimnis. Als Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck sowie Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke im März 2022 ihre Aufwartung im neuen Werk machten, war längst bekannt, was für menschenverachtende Zustände in den Fabriken von Elon Musk in den USA herrschen. Von «toxischer Unternehmenskultur bei Tesla» sprechen die Autoren, doch internationale Realpolitik geht darüber hinweg und setzt diesem Treiben keine Grenzen.

Das Buch liest sich wie eine Reportage in der Tradition von Günter Wallraff, in Passagen wie ein Kriminalreport. Eine Enthüllungsgeschichte, die einen schauern lässt. Ein monströses Unternehmen kriegt nach und nach Konturen, brutale und unmenschliche Arbeitsverhältnisse werden deutlich. Nur: Was ist gegen Musk und seine Allmacht, und ja, auch seine Gewalttätigkeit auszurichten?

Am Ende der Lektüre bleibt Ernüchterung. Wahrheit zählt nicht, Regeln zählen nicht, kritische Rechercheure werden mit allen Mitteln, auch juristischer Gewalt, verfolgt, um sie zum Schweigen zu bringen. Solange die Politik solche Strukturen zulässt (oder sogar befördert), solange wird ein Mann wie Elon Musk eine ernsthafte Bedrohung für die Menschheit bleiben. Mit rund 60 Prozent aller im Orbit unseren Planeten umkreisenden Satelliten kann er tatsächlich die Welt lenken, wie es ihm gefällt. Höchste Zeit für Politik und Justiz, diesem Mann Schranken zu setzen.

Sönke Iwersen/Michael Verfürden: Die Tesla-Files. Enthüllungen aus dem Reich von Elon Musk. C. H. Beck, 246 S., geb., 26 €.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.