- Politik
- Südkaukasus
Moskau und Baku provozieren sich in die Krise
Verhaftungswelle mit zwei Toten sorgt für Verstimmung zwischen Russland und Aserbaidschan
Am 27. Juni schlugen russische Sicherheitskräfte in Jekaterinburg zu. Bei Hausdurchsuchungen nahmen sie rund 50 Menschen aus der aserbaidschanischen Community der Millionenstadt fest, sieben davon sitzen immer noch in Untersuchungshaft. Sie alle sollen an Morden und Mordversuchen innerhalb der Community zwischen 2001 und 2011 beteiligt gewesen sein.
Bei den Festnahmen gingen die Sicherheitskräfte mit demonstrativer Härte vor. Die Betroffenen weisen zahlreiche Spuren physischer Gewalt auf, mehrere befinden sich im Krankenhaus. Für die größte Aufregung sorgte aber der Tod von Sijaddin und Huseyn Safarow. Die 55 und 60 Jahre alten Brüdern sollen angeblich kurz nach der Verhaftung infolge von Herzproblemen gestorben sein.
Verdächtige sterben in Polizeigewahrsam
Ausgerechnet die beiden Toten waren die Hauptverdächtigen in einer Serie von Morden und Anschlägen. Die Safarow-Familie soll in Schutzgelderpressung von aserbaidschanischen Unternehmern und in Kämpfe um die Kontrolle über die Stände auf Wochenmärkten verwickelt sein. Dabei kamen mehrere Beteiligte ums Leben. Auch das »Café Kaspij« der Familie Safarow geriet in die Schlagzeilen, nachdem dort 2023 ein bekannter »Dieb im Gesetz« verhaftet wurde.
Warum die Sicherheitskräfte letztlich derart brutal vorgingen, ist trotz allem nicht ersichtlich. Die Reaktion aus Aserbaidschan ließ jedenfalls nicht lange auf sich warten. Bereits am Tag nach der Razzia zeigte sich das Außenministerium in einer Stellungnahme besorgt und betonte: »Wir erwarten von der russischen Seite eine umgehende Untersuchung des Vorfalls und die schnellstmögliche strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für diese inakzeptable Gewalt.«
Baku reagiert mit Verhaftungen von Russen
Baku reagierte auf das russische Vorgehen spiegelbildlich mit Gewalt. Die Redaktionsräume des russischen Staatssenders Sputnik in der aserbaidschanischen Hauptstadt wurden durchsucht, Chefredakteur Jewgenij Belousow und Direktor Igor Kartawych festgenommen und für fünf Monate in Untersuchungshaft gesteckt. Der russischen Botschaft wurde jeglicher Kontakt verweigert. Sputnik, so die aserbaidschanischen Behörden, soll ohne Genehmigung aktiv sein und illegal finanziert werden.
Aserbaidschanische Medien begannen aus allen Propagandarohren zu feuern, bezeichneten die Sputnik-Mitarbeiter als Agenten von Russlands Inlandsgeheimdienst FSB. Später veröffentlichten die Medien ein vermeintliches Erklärungsschreiben zum Abschuss einer Maschine der Azerbaijan Airlines im Dezember 2024 bei Grosny. Danach soll die Flugabwehr telefonisch den Befehl zum Abschuss erhalten haben.
Verhaftete Russen gefoltert
RT-Chefin Margarita Simonjan nannte die Vorwürfe gegenüber Sputnik, das Teil des Staatsmediums ist, »komplett ausgedacht«. Das Außenministerium bestellte den aserbaidschanischen Botschafter ein und sprach eine verbale Protestnote aus. Bakus Handlungen seien eine Einmischung in innere Angelegenheiten Russlands. Zudem seien sie »bewusste Schritte zur Demontage der bilateralen Beziehungen«.
Aserbaidschans Behörden drehten daraufhin weiter an der Eskalationsspirale. Nach den Sputnik-Mitarbeitern wurden weitere zehn Männer öffentlichkeitswirksam verhaftet. Unter den Festgenommenen erkannten russische Journalisten mit Erstaunen Anton Dratschew. Dratschew ist Ko-Eigentümer eines Onlineservices für Haushaltsdienstleistungen und Geschäftspartner von MTS, dem größten Mobilfunkanbieter im postsowjetischen Raum. Wie die anderen Männer soll er angeblich Verbrecherorganisationen angehören, die Drogen aus dem Iran schmuggeln und dann online verkaufen. Bei der Vorführung vor dem Haftrichter, bei der alle Russen zu vier Monaten Untersuchungshaft verurteilt wurden, waren bei vielen der Beschuldigten deutliche Folterspuren zu erkennen.
Die Zeichen stehen weiter auf Eskalation
Aktuell sind in Aserbaidschan alle Kulturveranstaltungen mit russischer Beteiligung ausgesetzt. Russland wiederum verhaftete am 1. Juli den aserbaidschanischen Topmanager des Energiegiganten Lukoil, Achmed Gadschijew, in Jekaterinburg. Damit nicht genug. Die festgenommenen Aserbaidschaner sollen Kontakte zum Geheimdienst ihrer Heimat und damit auch zur Nato, zum britischen Auslandsgeheimdienst MI6 und zum ukrainischen Pendant HUR haben. Ihr angebliches Ziel: Sabotageakte mit Drohnen. Mehr an Vorwurf geht in der aktuellen Situation kaum.
Die ziemlich absurden Anschuldigungen von beiden Seiten zeigen: Die Zeichen stehen auf weitere Eskalation. Die diplomatischen Verstimmungen zwischen Moskau und Baku könnten in einer Region, in der Aserbaidschan Russland die alte Vormachtrolle streitig machen will und auch die Türkei sowie der Iran mitmischen, weitreichende Konsequenzen haben.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.