Es muss nicht Gelatine sein

Fruchtgummi und Tortenguss: Rein pflanzlich oder aus Schweineschwarten?

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.
Der perfekte Tortenguss sollte klar, glänzend und schnittfest sein.
Der perfekte Tortenguss sollte klar, glänzend und schnittfest sein.

Der Sommer lädt wieder zu Torten und Süßspeisen mit frischem Beerenobst ein. Bereits zu DDR-Zeiten gab es anstelle von Gelatine die Möglichkeit, einen simplen, pflanzlichen Tortenguss zuzubereiten. Dafür wird Kartoffelstärke in kaltem Wasser angerührt, mit Fruchtsaft kurz aufgekocht und zum Abkühlen gebracht.

Für ein schnittfestes, klares Gelee verwenden konventionelle Konditoren auch heutzutage noch Gelatine, die durch industrielle Verarbeitung mithilfe von Säuren und Laugen sowie anschließendes Erhitzen aus tierischen Bestandteilen wie Knochen und Häuten gewonnen wird. Spätestens seit der BSE-Krise in den 90er Jahren beziehungsweise der als Rinderwahnsinn bezeichneten Krankheit, die bei Rindern und Schafen auftrat, wurde nach pflanzlichem Geliermittelersatz gesucht.

Ohne Vitamin C kann im menschlichen Organismus kein Kollagen für gesundes Bindegewebe aufgebaut werden.

In großem Maßstab stellte die Katjes-Gruppe seit 2016 ihre Produktion auf rein pflanzliche Fruchtgummis um. »Durch den Verzicht auf tierische Gelatine sparen wir 20 Prozent unserer Emissionen ein«, heißt es auf ihrer Internetseite. Ohne diese Zutat haben die Fruchtgummis einen geringfügig anderen Biss, der durch modifizierte Stärke und den natürlichen Pektingehalt der färbenden Fruchtsaftkonzentrate erreicht wird. Sie sind etwas leichter zu kauen und haben einen fruchtigen Geschmack.

Um mit pflanzlichen Rohstoffen die typische gallertartige Konsistenz zu erreichen, eignet sich ebenso das aus Rotalgen gewonnene Agar-Agar. Auch das Geliermittel Carrageen wird aus Rotalgen gewonnen. Dabei handelt es sich um einen chemisch stark verarbeiteten Zusatzstoff, der auch bei der Herstellung von fettreduzierten Light-Produkten verwendet wird.

Vegane Fruchtgummis enthalten zum Teil außerdem einen Extrakt von Spirulina. Diese, früher als Blaualgen bezeichnet, sind erkennbar an ihrer blau-grünen Färbung. Erst seit Kurzem ist bekannt, dass es sich dabei um Bakterien handelt, die zur Fotosynthese befähigt sind. Bei den Produkten von Katjes wird dieser Rohstoff als färbendes Spirulinakonzentrat in der Zutatenliste genannt. Für die besondere rote Edition ohne grüne Fruchtgummis in der Packung kommen keine Blaugrünbakterien zum Einsatz, was für Menschen mit Unverträglichkeiten oder Allergien wichtig sein kann.

Wie aber ist der Nährwert der verschiedenen Geliermittel zu beurteilen? Was ist dran an der These, Gelatine aus Tierknochen biete einen Vorteil bei Gelenkschmerzen? Was ist gesünder? Rein pflanzliche Fruchtgummis oder die auf Gelatinebasis produzierten?

Bei Gelatine handelt es sich chemisch gesehen um ein Peptidgemisch. Es ist aus Aminosäuren aufgebaut, die in der Natur häufig vorkommen. Aufgrund ihrer Struktur hat Gelatine ein hohes Wasserbindungsvermögen und bildet eine gallertartige, gummiähnliche Masse. Der zugrundeliegende Rohstoff ist Kollagen, das im menschlichen und tierischen Organismus vorkommt und für die Festigkeit und Elastizität des Bindegewebes sorgt. Zu letzterem gehören Gelenkknorpel, Sehnen, Bänder, Faszien und die Haut.

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Im Umkehrschluss glauben viele Menschen, dass sie ihren Gelenken mit dem Verzehr von Kollagen beziehungsweise Gelatine etwas Gutes tun. Grundlage der unbewiesenen Theorie ist die Beobachtung, dass bei Arthrose und Arthritis vermehrt Kollagenfibrillen abgebaut werden. In Deutschland leiden rund fünf Millionen Menschen an einer Arthrose, dabei sind häufig Knie- und Hüftgelenke sowie Schulter- oder Fingergelenke betroffen. Aber können Gummibärchen oder Sülzkotelett dagegen helfen?

Die Peptidgemische Gelatine oder Kollagen werden im Magen durch die Magensäure zerlegt und im Dünndarm weiter zu den einzelnen Aminosäuren aufgespalten, sodass kein vollständiges Kollagen, sondern nur deren Einzelbausteine aufgenommen werden. Große Studien konnten bislang keine positive Wirkung von Gelatine belegen.

Gleichwohl empfahl die berühmte Hildegard von Bingen im Mittelalter Menschen mit Gelenkschmerzen, mit Knorpel und Knochen ausgekochte Brühe zu verzehren. Der Erfolg durch diese Suppen ist jedoch eher der Hyaluronsäure zuzusprechen, die ebenfalls beim Kochen von Knorpel oder dem traditionellen Zubereiten von Sülze aus allen essbaren Bindegewebsteilen des Tiers frei wird.

Diese besondere, langkettige Carbonsäure zeichnet sich dadurch aus, dass sie sehr viel Wasser binden kann, was für den Gelenkknorpel wie auch die Bandscheiben zwischen den Wirbelkörpern sehr wichtig ist. Hyaluronsäure ist der Hauptbestandteil der Gelenkflüssigkeit. Bei modernen Ernährungsgewohnheiten, bei denen nur das Filetstück, der Schinken beziehungsweise das entbeinte Fleisch zum Kurzbraten konsumiert wird, fehlen diese Vorteile für die Gesundheit.

Das Wichtigste wird bei all den Diskussionen um Gelatine und Kollagen jedoch häufig übersehen: In erster Linie muss nämlich die Versorgung mit dem lebensnotwendigen Vitamin C gesichert sein. Ohne dieses Vitamin kann im menschlichen Organismus kein Kollagen aufgebaut werden. So treten bei Skorbut, der gefürchteten Vitamin-C-Mangelkrankheit, unter anderem starke Muskel- und Gelenkschmerzen auf.

Darüber hinaus plädiert die Ernährungsmedizinerin Petra Bracht zur Reduktion von Gelenkschmerzen für eine pflanzenbetonte, basische Ernährung, die 70 Prozent des gesamten Verzehrs ausmachen soll. Dazu zählen in erster Linie Gemüse, Obst und Kartoffeln. Hingegen entstehen nach dem Verzehr tierischer Nahrungsmittel wie Fleisch und Wurst vermehrt Säuren wie Schwefel- und Phosphorsäure, die das menschliche Bindegewebe zusätzlich belasten.

Gummibärchen, die mit Gelatine hergestellt werden, können bei Arthrose nicht wirklich helfen. Ihr hoher Gehalt an Zucker schadet den Gelenken ebenfalls. Zudem verschlechtert Zucker den Stoffwechsel insgesamt und bremst den Fettabbau. Gerade das ist bei Gelenkbeschwerden zusätzlich riskant. »Arthrose-Schmerzen führen oft zu Bewegungsmangel und Muskelabbau, Gewichtszunahme und Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes«, sagt Professor Georgi Wassilew, Direktor der Klinik für Orthopädie am Universitätsklinikum Greifswald.

Auch die rein pflanzlichen Fruchtgummis sind eher als Süßigkeit und Genussmittel zu verstehen. Aus diesem Grund macht das Familienunternehmen Katjes keine Werbung im Zusammenhang mit Fernsehsendungen für Kinder. Der pflanzliche Tortenguss mit dem Geliermittel Agar-Agar wiederum erfordert eine Kochzeit von wenigen Minuten, wird aber schneller fest als Gelatine. Agar-Agar besteht aus unverdaulichen Polysachariden und kann daher als Ballaststoff gewertet werden.

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