Gegen die Gewalt an Frauen

In den Niederlanden wird über Maßnahmen gegen Femizide debattiert

  • Sarah Tekath, Amsterdam
  • Lesedauer: 4 Min.
In Rotterdam wurde mit einem Protestmarsch ein Zeichen gegen Frauenmorde gesetzt.
In Rotterdam wurde mit einem Protestmarsch ein Zeichen gegen Frauenmorde gesetzt.

Ein Jahr nach der Tötung der 22-jährigen Jihaneve aus Zoetermeer hat jetzt ein Gericht in Den Haag das Urteil gesprochen. Der Täter Arnold O., ihr Partner, hatte im Sommer 2024, zwei Wochen nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes, Zweifel an der Vaterschaft geäußert. Als der Streit eskalierte, stach er 258-mal mit einem Messer auf die junge Frau ein. O. filmte die Tat mit seinem Handy.

Das Urteil: Fünf Jahre Haft, mit anschließender TBS, einer Maßnahme im niederländischen Strafrecht, bei der psychisch kranke Straftäter nach ihrer Haftstrafe auf unbestimmte Zeit in eine forensisch-psychiatrische Klinik eingewiesen werden, wenn sie weiterhin als gefährlich gelten. Die Staatsanwaltschaft hatte eine höhere Freiheitsstrafe gefordert, doch das Gericht hielt den Täter für nicht voll zurechnungsfähig. Das Urteil hat eine landesweite Debatte über den Umgang mit Femiziden ausgelöst.

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Alle acht Tage

Ende 2023 gab das Institut für Frauen- und Emanzipationsgeschichte Atria neue Zahlen bekannt. Durchschnittlich alle acht Tage wird demnach in den Niederlanden eine Frau ermordet. Erhebungen des niederländischen Büros für Statistik CBS bestätigen dies. Im Jahr 2022 stieg die Zahl der weiblichen Opfer von 38 auf 48. Bei sechs von zehn Frauen, die in den letzten fünf Jahren ermordet wurden, war der Täter ein früherer oder aktueller Partner, so CBS. Die Dunkelziffer liegt vermutlich höher, da Femizide statistisch nicht gesondert erfasst werden. Häufig laufen sie unter Rubriken wie Familiendrama oder Beziehungsdelikt.

Auch Veilig Thuis, die nationale Beratungs- und Meldestelle für häusliche Gewalt, meldet eine Zunahme von Angriffen auf Frauen. Im Juni dieses Jahres gingen dort 25 127 Anrufe ein, 31 Prozent mehr als im Juni des vergangenen Jahres und ein trauriger Rekord. Die Anruferinnen suchen Rat, wie sie mit stalkenden und gewalttätigen Partnern oder Familienmitgliedern umgehen sollen. Gleichzeitig, so die Organisation, zeige dies auch ein mittlerweile stärkeres Bewusstsein in der Gesellschaft für geschlechterspezifische Gewalt.

Protestmarsch gegen Femizide

Am vergangenen Sonntag zogen in Rotterdam mehr als 1000 Menschen durch die Innenstadt, um ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen. Zu dem Marsch aufgerufen hatte die feministische Initiative Dolle Minas, die bereits seit den 1970er Jahren in den Niederlanden wirkt. Teilnehmerinnen trugen Porträts ermordeter Frauen, dazu Plakate mit der Aufschrift: »Geen vrouw minder« (Keine Frau weniger).

Anlass für den Protest waren zwei kürzlich verübte Femizide. Die 39-jährige Joeweela wurde am 16. Juli in Gouda auf der Straße vor den Augen ihrer Kinder von ihrem Ex-Mann erschossen. Zwei Tage später wurde in Vlijmen in Brabant eine 38-jährige Frau ermordet. Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um ihren Lebensgefährten.

Ein Mitglied der Dolle Minas eröffnete die Veranstaltung mit den Worten: »Dieser Marsch geht über die Geschlechter- und Parteipolitik hinaus, denn Gewalt gegen Frauen ist kein Frauenproblem, sondern ein gesellschaftliches Problem.« Schon »zu lange und zu oft« sei es still geblieben. Einer der Redner war Wim Hertgers aus Winterswijk. Seine Tochter Sanne wurde 2023 im Alter von 31 Jahren von ihrem Ex-Partner Frank umgebracht, einem Polizisten aus Doetinchem, nachdem sie die Beziehung beendet hatte. »Am 8. Oktober 2023 habe ich das Wort Femizid lernen müssen. Als ich meine Tochter ermordet aufgefunden habe, in ihrer eigenen Wohnung«, berichtete er.

Regierung setzt auf Aktionsplan

Im Juni 2024 hatte die Regierung den Aktionsplan »Stop Femicide« vorgestellt. Ziel ist es, Warnsignale wie Stalking, psychische Gewalt oder soziale Isolation früher zu erkennen und systematisch zu verfolgen. Der Plan sieht unter anderem Schulungen für Polizei, Gesundheitsdienste und Justiz sowie eine bessere statistische Erfassung vor. Dafür wurden zehn Millionen Euro pro Jahr bereitgestellt.

Jihaneve, Joeweela und Sanne hätten derartige Hilfe gebraucht – rechtzeitig, konsequent, systematisch und fundiert. Ob der Plan mehr leistet als symbolische Politik, wird sich daran messen lassen, ob künftig keine Namen mehr dazukommen.

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