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Invasive Tech-Milliardäre
»Alien: Earth« bringt Ridley Scotts Weltraummonster endlich auf die Erde
Invasive Arten, die der globale Kapitalismus auf lokale Biosphären loslässt, heizen das Anthropozän genannte Erdzeitalter des Menschen fast ebenso an wie der Klimawandel. Asiatische Hornissen dezimieren unsere Bienenvölker, amerikanische Ochsenfrösche fressen heimische Kröten, kaukasischer Bärenklau verdrängt lokale Pflanzen und sorgt obendrein für schwerste Verbrennungen. All das aber ist noch lange nichts gegen invasive Arten, die der extraterrestrische Kapitalismus auf uns loslässt.
In der Disney-Serie »Alien Earth« zum Beispiel saugt eine davon sekundenschnell das gesamte Blut aus dem Leib schreiender Astronauten und kriecht damit prall gefüllt von dannen. Widerlich! Wenngleich nicht annähernd so sehr wie das, was nach 30 Minuten erstmals düstere Erinnerungen an eine SciFi-Legende weckt: HR Gigers Weltallmonster, das 1979 im Auftrag von Ridley Scott eine Raumschiffbesatzung dezimieren und sich seither durch sechs Sequels oder Prequels beißen durfte.
Ständig zischen Rauch oder Funken aus der Elektrik, Retro-Cyberpunk knutscht mit CGI-Perfektion. Das macht Spaß, wer braucht da Logik?
In der siebten gelingt dem (nach Darth Vader, aber vor Baby Yoda) zweitikonischsten aller Science-Fiction-Geschöpfe, was ihm 46 Hollywood-Jahre lang verwehrt geblieben ist: Mithilfe irdischer Global Player, die sich von der außerirdischen Spezies Rendite erhoffen, landet es auf der Erde und sorgt nun hier für ein Schlachtfest. Schon das gibt der Reihe frisches Alien-Futter. Nach eigenem Drehbuch kreiert Regisseur Noah Hawley – neben Erfinder Scott auch Produzent – allerdings noch andere Innovationen.
Parallel zur Profitmaximierungsstory, die Samuel Blenkins Tech-Milliardär Boy Kavalier zwischen Mark Zuckerberg und Elon Musk verkörpert, geht es mit einer Prise Humor ums Zukunftsthema Transhumanismus. Auf dem Weg zur Unsterblichkeit des Homo sapiens gibt es dem Vorspann zufolge nämlich drei Perfektionierungswege: kybernetisch, synthetisch oder KI-optimierte Hybridwesen. Halb Mensch, halb Maschine, sind sie ganz und gar auf Ertragsinteressen interstellarer Konzerne getrimmt. Darunter die krebskranke Emma.
Weil Kinder wie sie mental offener sind als Erwachsene, transferiert Boy Kavalier ihren Geist in den Körper der gesunden Wendy (Sydney Chandler, Foto), reichert ihn mit Superkräften an und macht sie damit zur Leiterin einer Armee infantiler Elitesoldaten. Als das Raumschiff voller neoliberal verwertbarer Aliens unweit seiner Firmenzentrale bruchlanden muss, soll sie die wertvolle Fracht bergen. So weit, so SciFi – wäre einer der Ersthelfer nicht Emmas Bruder (Alex Lawther). Was während ihrer Gewissenkonflikte zwischen Empathie und Auftrag acht Teile lang passiert, reproduziert fortan praktisch jeden Effekt, mit dem bereits Sigourney Weaver 1979 auf der alieninfizierten »Nostromo« zu tun hatte.
An Bord gibt es Katzen, Kettenraucher und blutrünstige Kreaturen, die sich mit viel Gespür für Dramatik minutenlang an ihre Opfer heranschleichen, um letztlich pfeilschnell zuzupacken – sofern es keine Hauptfiguren sind. Ständig zischen dazu Rauch oder Funken aus der Elektrik eines retrofuturistischen Budenzaubers, auf dem – Sternzeit 2120 – die Quantenphysik zwar gut 100 Jahre Praxis auf dem Buckel hat, aber sämtliche Computer mit Druckknöpfen statt Touchscreens funktionieren. Klingt nach dem üblichen Firlefanz von Fiktionen, die physikalische Grenzen bis unter den Rand der Relativitätstheorie beugen.
Es hat allerdings mit Ridley Scotts Chronologie zu tun. »Alien Earth« spielt nämlich kurz vorm ersten Teil, den der Schöpfer nun mal drei Erdenjahrzehnte vor Smartphones und Sprachsteuerung ausstatten ließ. Und ganz ehrlich: der aktuelle Mix aus nostalgischem Cyberpunk und CGI-Perfektionismus ist ungeachtet aller Logiklücken halt auch einfach nur geil. Zumal Noah Hawleys Geistesblitz einer Elitetruppe transhumaner Kids, deren Körper kindisch ticken, handeln, sprechen wie in der Haribo-Werbung, aber sichtbar erwachsen sind, ebenso witzige wie tiefgründige Situationen generiert.
Sein bestes Kunststück besteht also darin, unsere Gegenwart bei aller Bestialität spielerisch zu kommentieren. Etwa die anschwellende Macht von Donald Trumps Gang marktradikaler TechBros. Es gehe ihm nicht »um Geld oder Ego«, erklärt ihr Prototyp Kavalier einmal sein transhumanes Engagement. »Ich will mit jemandem reden, der klüger ist als ich!«. Ego, Ego über alles. Dass klüger womöglich auch gefräßiger bedeutet, wird ihm im Laufe der Serie vermutlich noch aufgehen. Vorerst aber zeigt es eindrücklich, wohin unsere Zivilisation steuert. Schließlich ist die invasivste aller Arten: der Mensch.
»Alien: Earth« läuft ab 13. August bei Disney+.
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