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Start-up in Somalia: Neue Perspektiven für dutzende Menschen
Fünf junge Akademiker verwarfen ihre Überlegungen auszuwandern und gründeten stattdessen eine Fabrik
Getreidemehl läuft durch eine Verpackungsmaschine in kleine Plastikbeutel. Sobald ein Beutel 250 Gramm schwer ist, wird er von der Maschine automatisch durch Wärme verschweißt, dann wird der nächste gefüllt. Abdifatah Abdulahi Osman, ein junger Arbeiter in gelber Warnweste, beobachtet aufmerksam, ob die Maschine rundläuft – bisher musste er nicht eingreifen. Der 21-Jährige arbeitet in einer Fabrikhalle in Garowe, der Hauptstadt von Puntland – die halbautonome Region liegt im Norden Somalias. Gegründet wurde die Fabrik von einem fünfköpfigen Team. Mitgründer und Manager Abdinur Ali Osman führt durch die große Halle mit Wänden aus Wellblech; er ist spürbar stolz auf die Produktionsanlage.
Die Maschine, die Abdifatha Abdulahi Osman gerade bedient, kann Beutel von 250 bis 500 Gramm packen. »Im Moment füllen wir Sorghum-Mehl ab, das machen wir im Wechsel mit Porridge«, erklärt der Manager. Der Porridge besteht aus acht Inhaltsstoffen, darunter Mais, Weizen, Sorghum und Bohnen. Das Rezept für den Porridge hat einer seiner Kollegen im Managementteam entwickelt. Das Team besteht aus fünf jungen Männern – der älteste ist 35 Jahre alt, Abdinur Ali Osman 29. Die fünf haben ihr Unternehmen »Habeb Mills« vor vier Jahren gemeinsam an den Start gebracht.
Der tägliche Strom an Nachrichten über Krieg, Armut und Klimakrise bildet selten ab, dass es bereits Lösungsansätze und -ideen, Alternativprojekte und Best-Practice-Beispiele gibt. Wir wollen das ändern. In unserer konstruktiven Rubrik »Es geht auch anders« blicken wir auf Alternativen zum Bestehenden. Denn manche davon gibt es schon, in Dörfern, Hinterhöfen oder anderen Ländern, andere stehen bislang erst auf dem Papier. Aber sie zeigen, dass es auch anders geht.
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»Bevor wir diese Fabrik gegründet haben, waren wir alle auf der Suche nach Arbeit – in Puntland fanden wir nichts«, erzählt Osman. »Wir dachten über alles Mögliche nach, auch über Migration.« Deutschland sei ihnen als Fluchtpunkt zwischenzeitlich ebenfalls in den Kopf gekommen. »Aber schließlich dachten wir: Das Beste ist doch, dass wir Arbeit schaffen, wenn wir keine Arbeit finden.«
Einerseits war die Idee nicht abwegig: Alle fünf haben studiert, darunter Lebensmitteltechnologie, öffentliche Verwaltung und Management. Andererseits war ihre Idee einer Firmengründung doch ziemlich gewagt: Puntland liegt ganz im Osten Afrikas und gehört zu Somalia; die somalische Regierung kämpft seit Jahrzehnten gegen islamistische Terrorgruppen. Zwar ist Puntland stabiler als der Süden, muss dafür aber auch noch den Zustrom von Binnenflüchtlingen bewältigen, die aus dem umkämpften Südsomalia hierher in die nördlichen Landesteile ziehen, und diese versorgen.
Viele Menschen hätten ihnen davon abgeraten, in ein Unternehmen zu investieren, erzählt der Lebensmittelingenieur und Mitgründer Abdullahi Abdi Hersi. Er hat im Sudan Lebensmitteltechnologie studiert und unterrichtet mittlerweile an der Universität von Garowe. »Uns geht es nicht nur um Profit«, betont Hersi. »Wir wollen Jobs schaffen, damit die jungen Menschen in Somalia friedlich bleiben«, sich also nicht einer der bewaffneten Gruppen anschlössen und nicht in die Migration gingen. »Jobs zu schaffen, ist für uns wirklich das Wichtigste.«
Das Getreide kommt aus der Region
Zwölf feste Stellen gibt es in der Fabrik, außerdem Jobs für 50 Gelegenheitsarbeiter. Auch die fast 70 Bäuerinnen und Bauern, von denen »Habeb Mills« die unterschiedlichen Getreidesorten kauft, haben nun ein verlässliches Einkommen.
Für Abdifatha Abdulahi Osman, der an diesem Morgen an der Packmaschine steht, war die Gründung der Fabrik ein absoluter Glücksfall. Bevor er hier Arbeit fand, habe er meist untätig zu Hause gesessen. »Die Zeiten in unserem Land sind hart«, erklärt Osman. »Meine Eltern konnten es sich nicht leisten, uns Kinder alle in die Schule zu schicken.« Einen Job als ungelernter Tagelöhner fand er auch nicht, die Konkurrenz ist groß. Um 2016 herum habe er dann »ernsthaft daran gedacht, in die illegale Migration zu gehen«. Weil er sich selbst das nicht leisten konnte, blieb er in Garowe und verbrachte sein Leben mit dem Warten auf eine Chance. Die bekam er vor rund vier Jahren.
Ein gemeinsamer Bekannter brachte ihn und Mit-Firmengründer Abdinur Ali Osman zusammen. »Der Bekannte sprach mich an, weil er gehört hatte, dass wir junge Leute suchen, die für uns arbeiten können«, erzählt der Manager. Weil es in Puntland sowieso kaum Facharbeiter gibt, traf er sich auch mit ungelernten Kräften. Osman habe engagiert gewirkt, und »weil sein Vater einige kleine Maschinen besitzt, mit denen er Produkte für den lokalen Markt herstellt, hatte sein Sohn zumindest Grundkenntnisse über Maschinen«.
Der damals 17-Jährige war der erste Arbeiter, den die Firmengründer einstellten. Anschließend wurde er, wie alle anderen, an den Maschinen von »Habeb Mills« umfassend geschult. Mit seinem gegenwärtigen Einkommen von 300 US-Dollar im Monat ist er zufrieden, mehr als 500 USD bekommt in der Firma niemand. Osman hofft, noch mehr zu lernen und mit der Zeit weiter aufsteigen zu können. Den Gedanken an Migration habe er aufgegeben: »Ich habe mir jetzt hier ein Leben aufgebaut.«
Das Unternehmen »Habeb Mills« wurde und wird unterstützt von der puntländischen Denkfabrik Puntland Development and Research Center, kurz PDRC. Das Zentrum wurde Ende 1999 gegründet; der Schwerpunkt der Forschung liegt auf Wegen zur Förderung von Frieden, Demokratie und der Achtung der Menschenrechte.
Vor vier Jahren hat die Denkfabrik außerdem angefangen, Projekte zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu fördern. Sie hätten sich nicht mehr damit zufriedengeben wollen, Probleme zu analysieren, erklärt Fardowsa Ahmed vom PDRC. Stattdessen wollten sie außerdem praktisch zeigen, wie es besser gehen könnte – Arbeitsplätze und Einkommen gelten als Schlüssel für die Stabilität.
Das PDRC wird dabei finanziell von internationalen Gebern unterstützt. Das Geld für das Projekt mit »Habeb Mills« kam beispielsweise von der niederländischen Botschaft mit Sitz im benachbarten Kenia. Das Wichtigste sei die Beratung und Schulung der Unternehmer, meint Fardowsa Ahmed, unterstützt wird aber auch der Kauf ausgewählter Maschinen.
Ideenreichtum schafft Gelegenheiten
An immer neuen Ideen mangelt es den Firmengründern nicht. Dass sie Rückstände aus der Produktion von Lebensmitteln möglichst zu Viehfutter verarbeiten, ist fast schon konventionell. Das beste Beispiel: Sesamölkuchen, ein fester Presskuchen, der nach dem Auspressen von Sesamsamen zu Öl übrig bleibt.
Ihre jüngste Idee: Die Herstellung von Holzkohle aus der invasiven Pflanze Prosopis Juliflora. »Sie verursacht eine Menge Umweltschäden«, erklärt Abdinur Ali Osman. Das Projekt zur Verarbeitung von Prosopis Juliflora zu Holzkohle werde daher vom puntländischen Umweltministerium unterstützt.
Der mit Dornen besetzte Strauch stammt ursprünglich aus Mexiko und wurde in den 70er und 80er Jahren in ostafrikanischen Ländern eingeführt, um die Böden zu festigen und vor Verwüstung zu schützen. Doch das Gewächs wurde schnell zu einer Plage: Weil sich die Wurzeln 30 und mehr Meter in die Tiefe graben, kommt der Strauch auch während einer Dürre noch zu Grundwasser, während andere Pflanzen längst verdorrt sind. Inzwischen überwuchert das Gestrüpp riesige Flächen in Ostafrika, darunter Ackerflächen und Weideland, die dadurch unbrauchbar werden.
Abdinur Ali Osman und seine Kollegen sehen in Prosopis Juliflora nicht nur eine Bürde. »Aus ihrem Holz lässt sich Kohle gewinnen, die länger glüht als die von anderen Hölzern«, schwärmt Osman. Dadurch müssen weniger Bäume gefällt werden als für »normale« Holzkohle. Zudem lassen sich die reifen Schoten des Strauches zu einem proteinhaltigen Tierfutter verarbeiten. Und der überall wuchernde Strauch könne einfach »geerntet« werden – was Jobs für noch mehr Tagelöhner schaffe.
Auch in Puntland, wie in vielen Weltregionen, sind die Zeiten für Unternehmen hart. »Aber wir wollen weiterwachsen und mehr Arbeitsplätze schaffen«, betont Osman. »Dafür werden wir alles tun, was wir können.«
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