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Historisch: Jair Bolsonaro muss für Jahrzehnte hinter Gitter
Brasiliens Ex-Präsident bekommt lange Haftstrafe wegen eines versuchten Staatsstreichs
Er glaube fest daran, »das Blatt noch zu wenden«, erklärte Eduardo Bolsonaro. Schließlich hätten sie Donald Trump, den US-Präsidenten und mächtigsten Mann der Welt, auf ihrer Seite. Eduardo ist der Sohn von Jair Bolsonaro, dem ehemaligen Präsidenten Brasiliens, der am Donnerstag wegen eines geplanten Staatsstreichs zu 27 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden war.
Mehrere brasilianische Ex-Präsidenten saßen bereits Haftstrafen ab, doch zum ersten Mal in der Geschichte Brasiliens wurde ein Ex-Präsident wegen eines versuchten Staatsstreichs verurteilt. Selbst die Folterknechte der brutalen Militärdiktatur kamen damals dank einer Generalamnestie ungeschoren davon.
4:1-Schlappe für Bolsonaro
Der Oberste Gerichtshof sieht es als erwiesen an, dass eine Gruppe rund um Bolsonaro in Gangsterfilm-Manier einen gewaltsamen Umsturz geplant hatte – inklusive geheimer Waffenlager, Codenamen und einem Plan, Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva zu vergiften. Eine fünfköpfige Kammer des Obersten Gerichtshofs sprach den Rechtsradikalen schuldig: Vier Richter*innen stimmten für den Schuldspruch, einer dagegen.
Insgesamt waren fünf Punkte verhandelt worden: versuchter Staatsstreich, Bildung einer bewaffneten kriminellen Vereinigung, Planung und Anstiftung zum Mord, Aufruf zu Straftaten und zur Behinderung der verfassungsmäßigen Gewalten sowie versuchte Abschaffung des Rechtsstaats. Neben Bolsonaro wurden auch vier ehemalige Kabinettsmitglieder, der frühere Marinekommandant und sein Ex-Geheimdienstchef zu langen Haftstrafen verurteilt.
»Brasilien ist fast zur Diktatur zurückgekehrt«, sagte Richter Alexandre de Moraes in seiner Urteilsbegründung. Ziel sei ein Staatsstreich gewesen, Bolsonaro habe jedoch nicht das Militär auf seine Seite bringen können. Die Verurteilten werden auch für den 8. Januar 2023 verantwortlich gemacht, als Zehntausende Menschen den Regierungssitz in Brasília gestürmt hatten.
Bolsonaro wies alle Vorwürfe erneut zurück und stellt sich als Opfer einer Verschwörung dar. Seine Verteidigung kündigte Berufung an und erklärte nach dem Urteil, die Strafen seien »extrem überzogen«. Diese sollen zunächst im geschlossenen Vollzug verbüßt werden, doch es wird erwartet, dass die Verteidigung eine Verlegung in einen Hausarrest beantragen wird – wegen Bolsonaros gesundheitlicher Probleme. 2018 war er während des Wahlkampfs Opfer einer Messerattacke geworden.
Richter Luiz Fux äußerte eine abweichende Meinung und stellte die Zuständigkeit des Gerichts infrage. Er stimmte für einen Freispruch. Seiner Ansicht nach hätte das Verfahren vor einer niedrigeren Instanz geführt werden müssen, da Bolsonaro kein amtierender Präsident mehr sei. Zudem kritisierte er, dass nicht das volle Gremium von elf Richtern über den Fall entschieden hat, sondern nur ein Fünfer-Senat. Fux’ Äußerungen könnten Protestbewegungen Auftrieb geben und ebenso den Weg für juristische Anfechtungen ebnen.
US-Regierung steht hinter Bolsonaro
Es wird erwartet, dass die Verurteilung Bolsonaros eine Reihe weiterer Sanktionen aus den USA nach sich ziehen wird. Noch am Donnerstag sprach US-Außenminister Marco Rubio von »politischer Verfolgung« und kündigte an, dass sein Land »angemessen auf die Hexenjagd reagieren« werde. Zuvor hatte die Trump-Regierung bereits Strafzölle gegen Brasilien verhängt und Richter Alexandre de Moraes auf die Sanktionsliste gesetzt – mit direktem Bezug auf den Prozess gegen Bolsonaro. Präsident Trump zog Parallelen zu den Gerichtsverfahren, die gegen ihn selbst geführt worden waren. Die Verurteilung könnte die Spannungen zwischen beiden Ländern weiter verschärfen. Sie stellen zugleich einen geopolitischen Test für Lulas Regierung dar, die mehrfach angedeutet hat, sich vom Einfluss der USA zu lösen und neue Partner zu suchen.
Während brasilianische Rechte in den USA auf Sanktionen hinarbeiten, wollen Parlamentarier in Brasilien den Druck im Kongress erhöhen. Einige Bolsonaro-treue Abgeordnete versprachen, jegliche Themen zu blockieren, bis eine Amnestie für Bolsonaro ausgehandelt wird. Auch mit Protesten ist zu rechnen. In den vergangenen Wochen waren erneut Zehntausende für Bolsonaro auf die Straßen gezogen.
Dennoch ist eine Schwächung des ultrarechten Lagers in Brasilien zu erwarten. »Ich glaube, dass das Urteil ein Signal senden wird«, sagte Isabela Kalil, Politikprofessorin und Koordinatorin des »Observatoriums der extremen Rechten«, gegenüber »nd«. »Der Preis für einen Angriff auf die Demokratie ist deutlich gestiegen.« Bürgerliche Konservative, die aus Pragmatismus für Bolsonaro stimmten, könnte die Verurteilung davon abhalten, künftig dieses Lager zu wählen.
Zudem gibt es im extrem rechten Lager noch keine brauchbare Alternative für die Wahl 2026. Bolsonaros Söhne sind ebenfalls tief in die Ermittlungen verstrickt, und seine Frau Michelle gilt als politisch unerfahren, sie dürfte es außerdem in der Macho-Welt der brasilianischen Politik schwer haben. Der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas, ist der wahrscheinlichste Kandidat, gilt jedoch den radikalen Bolsonaro-Fans als nicht loyal genug. Sollte er jedoch Rückendeckung des immer noch sehr populären Bolsonaro erhalten, könnte er gute Chancen haben. Eine Wahlempfehlung könnte auch aus dem Gefängnis ausgesprochen werden – wofür sich de Freitas später mit einer Generalamnestie bedanken dürfte.
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