Deutsche Bahn setzt Demokratieverein in Plauen vor die Tür

Der Verein Colorido half der DB 18 Monate lang, einen Bahnhof in Plauen mit Leben zu füllen. Dann endete die Partnerschaft abrupt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Colorido hat den Oberen Bahnhof in Plauen mit Leben gefüllt – jetzt ist damit Schluss.
Colorido hat den Oberen Bahnhof in Plauen mit Leben gefüllt – jetzt ist damit Schluss.

Im Oberen Bahnhof von Plauen (Vogtland) war einst viel Leben. Zum Beispiel gab es einen Intershop, in dem für Westgeld eingekauft werden durfte, erzählt Doritta Kolb-Unglaub, die als gelernte Dekorateurin einst dessen Schaufenster gestaltete. Inzwischen kann man in der 1972 eingeweihten Bahnhofshalle auch für Westgeld nicht mehr viel kaufen; bis auf einen Bäcker und einen Schreibwarenladen sind alle Geschäfte dicht. Der Verein »Colorido«, den Kolb-Unglaub vor rund zehn Jahren gründete, sorgte anderthalb Jahre lang für Leben in dem denkmalgeschützten Gebäude. Doch Anfang August setzte ihn die Deutsche Bahn (DB) AG vor die Tür.

Colorido bietet, wie der Name nahelegt, ein buntes Programm. Am Vereinssitz in einem Ladenlokal am Dittrichplatz gibt es Sprachkurse für Ausländer, eine Tauschbörse, Yogakurse und Beratungsangebote. Man organisiert Kinoabende und Lesungen, beteiligt sich an der Organisation des Plauener Christopher Street Day. Nicht zuletzt engagiert sich Colorido in der Kreisstadt, in der die AfD bei der Bundestagswahl 41,1 Prozent der Erststimmen einfuhr, gegen rechte Bestrebungen. Insbesondere klärt sie über Umtriebe der Neonazipartei Dritter Weg auf, die in Plauen einen Regionalstützpunkt betreibt, Immobilien nutzt und soziale Angebote unterbreitet. Für sein Engagement wurde Colorido vielfach ausgezeichnet, zuletzt im Jahr 2024 mit der Theodor-Heuss-Medaille.

Zu der Zeit war der Verein auch im Bahnhof engagiert. Gemäß einem Vertrag mit der DB konnte er eine Multifunktionsfläche nutzen und sollte dabei auch mit anderen Vereinen und Initiativen kooperieren. »Das haben wir übererfüllt«, sagt Doritta Kolb-Unglaub und zählt auf: Fachtagungen etwa der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung oder vom Dachverband Tolerantes Sachsen, Workshops, Lesungen, Filmvorführungen, Veranstaltungen der Jüdischen Kulturtage. Selbst Kindergeburtstage wurden auf der Fläche gefeiert; wöchentlich traf sich ein Tango-Kreis.

Jetzt ist der letzte Tango getanzt. Im Februar ging es um eine Verlängerung des Vertrags, der ursprünglich für ein Jahr abgeschlossen und schon einmal um sechs Monate ausgedehnt worden war. Im Raum stand plötzlich eine Miete von 800 Euro. Der Verein habe die Fläche schon vorher »nicht zum Nulltarif« genutzt, sagt die Vorsitzende; für die recht kostspielige Versicherung etwa habe man selbst aufkommen müssen. Eine Zusage für die geforderte Miete konnte der Verein zunächst nicht geben, vor allem, weil es weder im Land Sachsen noch im Bund einen beschlossenen Haushalt und damit auch keine Fördertöpfe gab.

Erst im Juni hatte man, unter anderem dank des in Plauen gebürtigen grünen Bundestagsabgeordneten Kassem Taher Saleh, die nötigen Mittel in Aussicht. Plötzlich aber wollte die DB nicht mehr. Die genauen Gründe sind unklar. Eine entsprechende Anfrage des »nd« beantwortete die Bahn ausweichend. Man stelle »immer wieder« Räumlichkeiten zu vergünstigten Konditionen oder kostenlos zur Verfügung, teilte eine Sprecherin mit. Teils erfolge das zeitlich befristet, im Fall von Colorido für anderthalb Jahre. Man setze in solchen Fällen »von Anfang an auf Transparenz und ein beidseitiges partnerschaftliches Miteinander«, erklärte die DB weiter und fügte die Versicherung an: »Offenheit, Toleranz und Respekt sind elementare Grundwerte der Deutschen Bahn.«

Ob die DB das »partnerschaftliche Miteinander« verletzt oder die nötige Offenheit nicht gegeben sah, bleibt auf die Presseanfrage hin offen. Kolb-Unglaub lässt mit Blick auf einen entsprechenden Mailverkehr durchblicken, die Bahn sehe Absprachen als nicht eingehalten an. Offenbar gibt es auch Unmut darüber, dass Colorido mit der Nichtverlängerung des Vertrags an die Öffentlichkeit ging. Zudem habe sie den Eindruck, der Verein sei der Bahn nicht »neutral« genug, sagt die Vorsitzende. »Dass Colorido politisch ist, steht aber schon in unserer Präambel«, betont sie und fügt an, man habe »nie gesagt, dass wir ganz brav sind. Das sind wir nicht.«

In der Bahnhofshalle, hat Doritta Kolb-Unglaub beobachtet, treffen sich mittlerweile die jugendlichen Neonazis der »Vogtland-Revolte«. Die DB bezweifle das zwar, aber »wir kennen die Gesichter gut genug«, sagt sie. Der Verein wiederum erfuhr nach Beendigung des Vertrags viel bundesweite Solidarität und Appelle von Unterstützern, die bis zum DB-Vorstand adressiert wurden. Derzeit läuft noch eine Petition mit dem Titel »Demokratie braucht Räume«, die vor dem Wochenende knapp 800 Menschen unterschrieben hatten. Kolb-Unglaub ist freilich eher pessimistisch, dass Verein und Bahn noch einmal zueinander kommen. Für die bis Jahresende geplanten Veranstaltungen, darunter einen Fachtag über NS-Zwangsarbeit und die Außenlager des KZ Flossenbürg im Vogtland, wurden teils schon Ausweichquartiere gefunden, teils ist sie noch auf der Suche. Generell sei es in einer Stadt wie Plauen schwierig, als ehrenamtlicher und spendenfinanzierter Verein geeignete und bezahlbare Räume für soziales und demokratisches Engagement zu finden. Auch das Vereinsdomizil von Colorido am Dittrichplatz ist nicht eben preiswert. Früher gab es im Gegenzug immerhin eine Spende vom Vermieter, einer kommunalen Wohnungsgesellschaft. Seit einem Wechsel in deren Chefetage, sagt Doritta Kolb-Unglaub, wurde die Spende gestrichen – und die Miete erhöht.

Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.

Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen

Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.