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Gropiusstadt: Reparieren für alle
Der Reparatur- und Leihladen »Kreisler« in Neukölln soll Kreislaufwirtschaft im Alltag verankern
Ins Einkaufszentrum »Wutzky« in der Neuköllner Gropiusstadt gehen die Menschen nicht nur zum Shoppen. Viele steuern auch das kleine Ladengeschäft »Kreisler« an. Der Schriftzug auf der Glastür lädt auf Deutsch, Türkisch und Arabisch zum »Teilen, Treffen, Reparieren« ein. In Regalen auf der einen Seite stapeln sich Zelte, Bohrmaschinen, Küchengeräte und Skateboards. Kreisler-Mitglieder können all diese Dinge kostenlos ausleihen. Oder, wie im Fall der Mikrowelle, an der ein Zettel mit der Aufschrift »zu verschenken« klebt, mitnehmen und behalten.
Auch das Regal auf der anderen Seite ist voll mit den unterschiedlichsten Gegenständen: Kaffeemaschinen, Staubsauger, ein Mini-Rennauto für Kinder – Geräte von Mitgliedern, die kaputt oder frisch repariert sind, sortiert nach den Kategorien »Neu«, »In Bearbeitung« und »Abholbereit«. Dazwischen herrscht reger Betrieb. »Repariert ihr auch Dunstabzugshauben?«, fragt eine Interessentin. Die nächste Person will ihren Handstaubsauger abholen. Andere kommen einfach nur, um »Hallo« zu sagen.
»Wir haben hier schon fast 400 Sachen repariert«, sagt Ayse zu »nd«. Sie ist eine von zehn Ehrenamtlichen, die im »Kreisler« arbeitet, und zuständig für die Beratung. Ihr Vorteil: Neben Deutsch spricht sie Türkisch und Kurdisch. »In der Gropiusstadt leben viele Migrant*innen, die nicht gut Deutsch können«, erklärt sie. Viele von ihnen hätten außerdem wenig Geld und seien froh über den günstigen Reparatur- und Leihladen in ihrem Kiez.
Das Gute ist: Anders als viele sogenannte Repair Cafés hat »Kreisler« an vier Tagen der Woche geöffnet. Auf dem Weg zum Einkaufen kommen viele Gropiusstädter*innen ohnehin dort vorbei. Im »Kreisler« müssen sie nicht stundenlang selbst an ihren kaputten Gegenständen herumschrauben. Sie können sie einfach abgeben und später funktionsfähig wieder abholen. Einzige Ausnahme sind Textilien: Deren Besitzer*innen müssen zum Nähen dableiben, um der nahegelegenen Änderungsschneiderei keine Konkurrenz zu machen.
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Doch Reparaturen an Elektrogeräten übernehmen freiwillige Helfer*innen wie der Hobbybastler Olaf. Natürlich gebe es keine Garantie, dass ihm alles gelingt. »Bei einer Heckenschere komme ich gerade nicht weiter. Da muss jetzt einer der anderen noch mal schauen«, sagt er. Wenn die Instandsetzung gelingt und die Besitzer*innen sich freuen – das sei für ihn am schönsten.
Die Idee ist, Reparaturen so niedrigschwellig wie möglich anzubieten und »in den Alltag der Nachbar*innen zu integrieren«, sagt Cléo Mieulet zu »nd«. Sie hat den »Kreisler« Ende 2024 mit zwei Kolleg*innen gegründet und ist eine von vier Festangestellten des Ladens. Wenn Reparaturen zu aufwendig oder zu teuer sind, würden viele Menschen kaputte Geräte, die weniger als 200 Euro kosten, eher wegschmeißen und neu kaufen. Beim »Kreisler«, der als Verein organisiert ist, müssen die Menschen lediglich Mitglied werden; das ist abhängig vom Einkommen schon ab zehn Euro im Jahr möglich. Je nach Aufwand werden sie um eine bestimmte Spende gebeten und müssen gegebenenfalls Ersatzteile bezahlen.
Gegenstände so lange wie möglich nutzen, verleihen und teilen, was nur selten benötigt wird, Müll und Neuproduktionen vermeiden – das nennt sich Kreislaufwirtschaft. Daher auch der Name »Kreisler«. Doch beim Branding sei es Mieulet wichtig gewesen, Schlagworte wie »Nachhaltigkeit« und grüne Farbe zu vermeiden, »weil armutsbetroffene Menschen sich nicht damit identifizieren. Ökologisches Verhalten ist der Bourgeoisie vorbehalten.« Zumindest entstehe durch hochpreisige Bio- und Vintage-Läden dieser Eindruck.
Stattdessen habe man ein orangefarbenes »Billo-Supermarkt-Design« gewählt, wie Mieulet es nennt, um deutlich zu machen, dass ökonomische Gründe ein legitimes Motiv sind, um in den »Kreisler« zu kommen. »Wenn die Menschen erst mal hier sind, führen wir trotzdem viele Gespräche über den Zustand der Welt«, sagt sie. Es gelte, »Nachhaltigkeit mit Klassenkampf zu verbinden«.
»Die Idee ist, Reparaturen so niedrigschwellig wie möglich anzubieten und in den Alltag der Nachbar*innen zu integrieren.«
Cléo Mieulet
Reparaturladen »Kreisler«
Auf die Idee zum »Kreisler« kam Mieulet, weil der Laden im »Wutzky«, das der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo gehört, im vergangenen Jahr leer stand. Sie arbeitete für die Degewo und machte unter den Menschen der Gropiusstadt eine Umfrage dazu, was sie an dieser Stelle gebrauchen könnten. Dadurch habe man eine gute »Community-Dynamik« geschaffen: Viele Leute würden den »Kreisler« auch einfach als Treffpunkt betrachten.
Die Degewo willigte ein, den Raum zu günstigen Wohnraumpreisen zu vermieten, denn die höhere Gewerbemiete könnte sich der kleine Reparatur-Laden bislang nicht leisten. Und tatsächlich ist er mehr Nachbarschaftszentrum als Gewerbe: Täglich kämen rund 25 Menschen vorbei und außerhalb der Öffnungszeiten werde der Raum noch von einer Gartengruppe genutzt, für Kurse zur Katastrophenvorsorge, Sozialsprechstunden und Schulhilfe, erzählt Mieulet. Außerdem mache man Veranstaltungen zu Kreislaufwirtschaft oder Lebensmittelrettung und habe den Flohmarkt in der Gropiusstadt wieder etabliert.
Derzeit finanziere sich der Laden zu knapp zwei Dritteln aus Mitgliedschaften und Spenden. Das Übrige gebe die Nachhaltigkeitsberatung »New Standard. Studio« dazu, die einen Fokus auf Kreislaufwirtschaft legt. Weil es in Deutschland laut Mieulet keine staatliche Förderung für Projekte wie den »Kreisler« gebe, habe man sich für das Mitgliedschaftsmodell entschieden, vergleichbar mit dem von Solidarischen Landwirtschaften. Für die Zukunft schwebt ihr ein Social Franchise vor: Das würde bedeuten, dass Mitstreiter*innen in anderen Kiezen oder Städten weitere »Kreisler«-Filialen gründen, die Strukturen nutzen und man sich gegenseitig unterstützt.
Aber auch am »Wutzky« soll bald schon Neues entstehen: Die Degewo stellt dem »Kreisler« noch eine Grünfläche zur Verfügung, die dessen Community mit einer Wildblumenwiese, einem Mini-Wald und einem Aufenthaltsbereich bestücken will. Auch hier soll Nachhaltigkeit ganz nebenbei vermittelt werden, zusammen mit dem Gefühl, im eigenen Kiez etwas bewegen und die eigenen Lebensbedingungen verbessern zu können.
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