Lieber keine Kältehilfe in Berlin

Wohlfahrtsverbände wollen Wohnungsverlusten verbeugen

Kältehilfe bedeutet nicht nur, einen Notfall-Schlafplatz in der Nacht bereitzustellen, sondern zum Beispiel auch warme Socken für die kalten Tage.
Kältehilfe bedeutet nicht nur, einen Notfall-Schlafplatz in der Nacht bereitzustellen, sondern zum Beispiel auch warme Socken für die kalten Tage.

»Der Erhalt einer bestehenden Wohnung muss das oberste Ziel sein«, so Ulrike Kostka, Direktorin der Berliner Caritas, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz der Liga der Wohlfahrtsverbände Berlin. Denn der Wohnungsverlust führt im schlimmsten Fall zur Obdachlosigkeit, und der Berliner Senat hat es sich eigentlich zum Ziel gemacht, diese bis 2030 zu überwinden. Für realistisch halten die hauptstädtischen Wohlfahrtsverbände das längst nicht mehr. Vielmehr geht es ihnen aktuell darum, zu verhindern, dass es immer mehr wohnungs- und obdachlose Menschen in Berlin gibt. Deshalb fordern sie zum Start der Kältehilfe-Saison am 1. Oktober eine sichere Finanzierung von niedrigschwelligen Hilfsangeboten, um einen Wohnungsverlust zu verhindern.

Die Kältehilfe – das ist die letzte Auffangstation, um Menschen im Winter vor dem Erfrieren auf der Straße zu bewahren. Dafür stehen ab Oktober 720 und ab November 949 Plätze zur Verfügung. Doch so weit, dass Menschen sich nur noch in eine Notübernachtung retten können, sollte es gar nicht erst kommen, finden die Wohlfahrtsverbände. Wenn früh unterstützt wird, dann bleiben den Betroffenen schlimme Erfahrungen und dem Staat einiges an Kosten erspart. Denn eine Wohnung ist deutlich günstiger als ein Platz in einer Wohnungslosenunterkunft.

Auf Landesebene könne noch viel passieren, um Wohnungsverluste zu verhindern, sagt Kostka. »Es gibt ein Erfolgsmodell: Das sind die persönlichen Hilfen zur Überwindung von Wohnungslosigkeit.« Im Rahmen dieser sogenannten 67er-Hilfen finden beispielsweise niedrigschwellige Beratungen statt, um etwa bei Mietrückständen oder einer Kündigung des Vermieters frühzeitig reagieren zu können. Auch werden Menschen dabei unterstützt, Transferleistungen zu beantragen und eine neue Wohnung zu finden. »Die Investition in diese 67er-Hilfen ist gut angelegtes Geld«, sagt Kostka.

Kostka verweist auf eine Erhebung, an der die Wohlfahrtsverbände selbst mitgewirkt haben. Demnach verhelfen die nach Paragraf 67 Sozialgesetzbuch benannten Hilfen pro Jahr 3000 Menschen in Berlin zu Wohnraum. »Darunter sind 1000 Wohnungen, die erhalten werden konnten.« Die Caritas-Direktorin kritisiert, dass die Bezirke, um kurzfristig zu sparen, weniger Hilfen bewilligten. Hinzu kämen Kürzungen im Landeshaushalt, zum Beispiel bei Sozial- und Suchtberatungsstellen und in der Wohnungslosenhilfe. »Das sind Kürzungen, die vielleicht erst einmal einen Haushalt entlasten, aber zu wesentlich höheren Folgekosten führen.«

»Wir haben das Gefühl, dass nach Budget und nicht nach Bedarf entschieden wird.«

Pierre C. Engama Sozialarbeiter

Pierre C. Engama nimmt als Sozialarbeiter in der Wohnungslosenhilfe durchaus wahr, dass an der Bewilligung von Hilfen gespart wird. »Wir haben das Gefühl, dass nach Budget und nicht nach Bedarf entschieden wird«, sagt er während der Kältehilfe-Pressekonferenz. Er berichtet, dass sein Team viele Anfragen von alleinerziehenden Frauen in Wohnungsnot bekommt, außerdem viele Anfragen von Menschen mit Migrationsgeschichte. Probleme in seiner Arbeit seien unter anderem, dass es zu lange dauere, bis die Anträge auf Kostenübernahme durch den Bezirk bewilligt werden. Dadurch müsse der Träger in Vorleistung gehen, auf die Gefahr hin, dass der Bewilligungszeitraum sich nicht mit dem Zeitraum der schon geleisteten Betreuung deckt.

Tobias Fuchs, Fachbereichsleitung für Soziale Dienste des Sozialamts Tempelhof-Schöneberg kann sich nicht daran erinnern, dass der Bezirk aufgrund von Sparzwängen eine 67er-Hilfe nicht bewilligt hätte. »Unser Bezirk hält das durch, dass wir sagen, nahezu jeder wohnungslose Haushalt entspricht den gesetzlichen Bedingungen, um 67er-Hilfen gewährt zu bekommen.«

Die Prävention von Wohnungsverlust wird im Bezirk durch die Sozialen Wohnhilfen vor allem dadurch geleistet, dass Mietschulden übernommen werden, wann immer möglich – diese könnten durchaus im fünfstelligen Bereich liegen, so Fuchs. Solche Kosten würden auch übernommen, um die »viel teurere Asog-Unterbringung zu vermeiden«, so Fuchs. Damit ist die Unterbringung nach Ordnungsrecht in Wohnungslosenunterkünften gemeint, zu der die Bezirke verpflichtet sind.

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