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USA vor »Shutdown«
Ohne Verabschiedung des Bundesetats im Kongress käme es wieder einmal zu einer Haushaltssperre
Stichtag war Dienstag Mitternacht Ortszeit (nach Redaktionsschluss): Wenn sich Republikaner und Demokraten in den USA bis dahin nicht über den Bundeshaushalt einigen konnten, gibt es eine Haushaltssperre, den sogenannten Shutdown. Den US-Regierungsbehörden würde das Geld ausgehen, um öffentliche Dienstleistungen und Angestellte zu bezahlen.
Am Montag war ein Treffen zwischen Demokraten und Republikanern im Weißen Haus ergebnislos zu Ende gegangen. Neben Präsident Donald Trump waren für die Republikaner deren Chef im Senat, John Thune, und der Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, erschienen. Für die Demokraten nahmen ihr Chef im Senat, Chuck Schumer, und der Leiter im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, teil. Hinterher sagte Vizepräsident JD Vance einen Shutdown voraus. Auch Schumer sprach von »sehr großen Differenzen«. Mit einer Übergangslösung in letzter Minute rechnete zuletzt niemand mehr.
Zentraler Streitpunkt ist die Gesundheitsversorgung, konkret: die Zuschüsse aus der Obamacare-Reform. Von dieser hängt die Versorgung von Millionen Bürger*innen aus den Mittel- und Unterschichten ab. Die Demokraten fordern deren Verlängerung als Voraussetzung für ihre Zustimmung zum Haushaltsgeld, während die Republikaner lediglich einen »sauberen« Haushalt ohne soziale Komponenten verabschieden wollen.
Obamacare, offiziell »Affordable Care Act«, war 2010 in Kraft getreten. Die Regierung von Präsident Barack Obama versuchte damit, Millionen bis dahin unversicherter US-Amerikaner*innen in ein halbwegs solidarisches Gesundheitssystem einzubinden. Die Reform wurde gegen den Widerstand der Republikaner und der Versicherungsindustrie durchgesetzt und sorgte für staatliche Zuschüsse, für die Erweiterung des Krankenversicherungsprogramms Medicaid und für ein Ende der Diskriminierung von Vorerkrankten. Obamacare war nie umfassend, dennoch wird es unter dem Druck von rechts ständig angegriffen und ausgehöhlt.
Von Obamacare hängt die Gesundheit von Millionen Bürger*innen aus den Mittel- und Unterschichten ab.
Shutdowns gab es in der Geschichte der USA bereits mehrfach. Aber was eine lang andauernde Haushaltssperre bedeutet, bekamen die Amerikaner*innen vor knapp sieben Jahren zu spüren: 35 Tage lang, von kurz vor Weihnachten 2018 bis Ende Januar 2019, wurden rund 800 000 Bundesbedienstete entweder unbezahlt beurlaubt oder mussten ohne Gehalt weiterarbeiten, was viele, gerade alleinerziehende Mütter, in existenzielle Not versetzte. Wichtige Sicherheits- und Kontrollfunktionen – von der Lebensmittelaufsicht bis zur Flughafensicherheit – waren eingeschränkt, was zu langen Wartezeiten und erhöhten Risiken führte. Museen blieben geschlossen, die Nationalparks vermüllten. Das öffentliche Leben lag teilweise still.
In denselben Rollen wie am Montag hatten sich Trump und Schumer sowie Nancy Pelosi, die damalige demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, einen Schlagabtausch geliefert. Trump beharrte auf Milliarden für den Bau seiner Mauer an der Grenze zu Mexiko beharrt, die Demokraten lehnten ab. Eine Einigung blieb aus, und es kam zum Rekord-Shutdown.
Bereits im März dieses Jahres drohte eine erneute Haushaltssperre. Zwar hatte Schumer angekündigt, geschlossen gegen Trumps Haushaltsentwurf mit harten sozialen Kürzungen zu stimmen, doch sorgten er und seine Kolleg*innen für die nötigen Stimmen, um den drohenden Regierungsstillstand zu verhindern. Dies sorgte für scharfe Kritik seitens progressiver und linker Kräfte bei den Demokraten, die der Führung das Einknicken vor den Trumpisten vorwarfen. Schumer sah sich Rücktrittsforderungen gegenüber.
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Bei einem neuerlichen Shutdown wären jetzt ein ähnlicher Stillstand des öffentlichen Lebens und soziale Härten wie vor sieben Jahren zu erwarten, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Bei den Angestellten in der Bundesverwaltung drohen nicht temporäre Freistellungen, sondern fristlose Kündigungen. In einem entsprechenden Memo hatte das Haushaltsbüro des Weißen Hauses vergangene Woche bereits die Behörden angewiesen, Entlassungsschreiben aufzusetzen. Es solle »die Gelegenheit genutzt« werden, um dem Personal jener Abteilungen zu kündigen, die besonders vom Shutdown betroffen seien, hieß es darin. Spezielles Augenmerk solle auf »nicht wesentliche« Angestellte gerichtet werden.
Die politischen Kräfteverhältnisse in Washington sprechen für eine schwierige Entscheidungsfindung. Die Republikaner kontrollieren zwar das Weiße Haus und beide Kammern des US-Kongresses, doch in Haushaltsfragen sind sie im Senat auf Stimmen von Demokraten angewiesen, um auf eine Mehrheit von mindestens 60 Stimmen zu kommen. Insofern hat die Opposition einen gewissen Einfluss. Gleichwohl befänden sie sich in einer »Zwickmühle«, befand die Washingtoner Insider-Plattform »The Hill«. Sei die Parteiführung der Demokraten erneut zu Zugeständnissen an Trump und die Republikaner bereit, um einen Shutdown abzuwenden, so habe sie mit einem weiteren Aufschrei an der Basis, mit innerparteilichem Zuwachs von Liberalen und Linken sowie erneuten Rücktrittsforderungen zu rechnen. Bleibe sie hingegen kompromisslos und komme es zu einem Shutdown, so werde das republikanische Trump-Lager nach Einschätzung von »The Hill« die Partei als Blockierer darstellen, die das Land in den Stillstand versetze.
Dramatische Folgen werden insbesondere im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Kalifornien befürchtet, wie das Magazin »Politico« berichtete. Sollten die Obamacare-Zuschüsse nicht verlängert werden, könnten sich die Versicherungsprämien verdoppeln. Damit würden allein dort bis zu 400 000 Menschen über Nacht ihre Krankenversicherung verlieren. »Wir können nichts tun, wenn die Leute sich ihre Versicherung schlicht nicht mehr leisten können«, sagte die Geschäftsführerin eines halbstaatlichen Versicherungsanbieters in Los Angeles. Wegfallende Subventionen beliefen sich auf 2,5 Milliarden US-Dollar. Die sozialen Folgen wären natürlich nicht nur am größten Krankenversicherungsmarkt der USA dramatisch. Auch im Rest des Landes würden die Wellen hochschlagen.
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